Zwei junge Menschen unterhalten sich über ganz alltägliche Dinge, über ihre Hobbys und Interessen, ihre Freunde und Verwandte, ihren Glauben – und darüber, warum einer von ihnen ein Verbrecher geworden ist, während der andere für die Polizei arbeitet. Sie frotzeln, machen Witze, und einander Komplimente. Wenn man diesen Text liest, den kein Schriftsteller, sondern „das Leben“ geschrieben hat, kann es leicht passieren, dass man den Grund für dieses Gespräch vergisst. Und es kommt einem stellenweise so vor, als hätten die jungen Männer ihn selbst vergessen.
Dabei kann man sich den Hintergrund kaum extremer vorstellen: In Toulouse versuchen am frühen Morgen des 21. März 2012 Spezialeinheiten der französischen Polizei vergeblich, die Wohnung von Mohammed Merah, der sich schwer bewaffnet in ihr verschanzt hat, zu stürmen. Die Wohnung im Hochparterre liegt im Halbdunkeln, die Straße ist abgeriegelt. Merah, 23 Jahre alt und Franzose algerischer Abstammung und Muslim, sitzt auf dem Boden in seiner Wohnung, die Waffe in der Hand. Er hat gerade durch Klopfzeichen signalisiert, wo genau, also in welchem Zimmer und vor welcher Wand er sich befindet, darauf hat die Polizei bestanden, das sind die Regeln, wenn man bei einer Belagerung nicht versehentlich erschossen werden will. Überall sind Putz und Splitter, Wasser fließt aus zerschossenen Leitungen. In der Woche zuvor hat Merah sieben Menschen ermordet: drei Soldaten, drei jüdische Kinder und einen jüdischen Lehrer und Familienvater vor deren Schule. Und dies ist der eigentliche Anlass des Gesprächs: Der französische Polizist mit dem Decknamen Hassan, von dem nur bekannt ist, dass er ebenfalls Muslim und nordafrikanischer Abstammung ist, verhandelt mehrere Stunden lang über Walkie-Talkie mit Mohammed Merah. Es geht um die Bedingungen, unter denen der muslimische Extremist sich ergeben würde, und es geht um Merahs Taten und darum, ob er womöglich Komplizen hat. Beide kennen sich von einem früheren Verhör - Merah hat sich deshalb Hassan als Kontaktperson gewünscht Es ist für beide ein Zustand höchster Ungewissheit, Kurzschlussreaktionen auf beiden Seiten sind jederzeit möglich. Es geht um Täuschung und Vertrauen, um Leben und Tod.
Gefördert durch den Preis des Körber Studio Junge Regie 2012
Uraufführung 26. Januar 2013, Thalia Gauß (Garage)
„Das Setting ist absolut harmlos. Denn zum Glück unternimmt Lachmann keinen einzigen Versuch, dokumentarisch zu sein. Was zählt, sind die erschreckend versierten Dialoge und die damit hoch professionell agierenden Schauspieler. Es ist ein sprachpsychologisches Kunstwerk, das keine Partei ergreift und dessen Ausgang von Anfang an klar ist. Es ist ein Protokoll. Der furchtbare Kontext der Situation steht in dieser Aufführung deutlich hinter der Theaterkunst zurück.“ - nachtkritik.de
„Unbedingt hingehen: Wie bereits angedeutet, die schauspielerische Leistung ist hervorragend. Die beiden sind sich ihres Spiel sogar derart sicher, dass spontan improvisiert und Saal verlassende Zuschauer in das Schauspiel einbezogen werden. Viel wichtig ist aber, dass es ihnen gelingt die Protokolle auf eine Weise auf die Bühne zu bringen, sodass man meinen könnte, sie seien für das Theater geschrieben worden. Großartiges Thater, das betroffen macht. Hingehen! - livekritik.de