Die Protoko
lle von Toul
ouse

Muslime sind nur wir

 

Im März 2012 belagerte die französische Polizei die Wohnung von Mohammed Merah in einem Stadtteil von Toulouse. Merah – ein Franzose mit algerischem Hintergrund und Muslim – hat einige Tage zuvor aus religiösen Gründen sieben Menschen erschossen. Drei davon waren Kinder aus einer jüdischen Schule.
„Die Protokolle von Toulouse“ bezieht sich auf ein Polizeidokument, das bei dieser Belagerung entstanden ist. Die Aufführung greift das Gespräch zwischen dem Attentäter und einem Geheimpolizisten – „Hassan“ – auf, der den gleichen biographischen Hintergrund wie Mohammed Merah hat. Mehr als 15 Stunden standen die beiden miteinander über Walkie-Talkie in Kontakt, eine gekürzte Fassung (Übersetzung: Karen Krüger) hat Regisseur Malte C. Lachmann auf die Bühne gebracht.
Und da sind sie. Die beiden Männer sitzen nebeneinander auf einer kleinen Disco-Bühne und führen ein scheinbar freundschaftliches Gespräch. Die Hauswand, die in der Wirklichkeit dazwischen lag, gibt es in der Inszenierung nicht. Die schwierigen Bedingungen dieses Treffens scheinen in der Aufführung verschwunden zu sein. Vielmehr wirkt es so, als ob Mohammed und Hassan einfach irgendwo in Hamburg an der Elbe sitzen, Bier trinken und sich dabei nett unterhalten könnten.
Das gesamte Stück über bin ich damit beschäftigt, alle wichtigen Aussagen aufzuschreiben, um am Ende festzustellen, dass ich diese Sätze bereits kenne. Aus diesem Gespräch erfahren wir nichts über Mohammed, außer, dass er als dogmatischer Muslim bereit ist, für seinen Glauben Menschen umzubringen. Ebenso wenig erfahre ich aber über Hassan. Seine Aufgabe ist es, den Attentäter nach draußen zu locken. Dafür sucht er seine Rolle im Gespräch irgendwo zwischen lockerem Kumpel und strengem Polizisten.
Der Kontext des Originaldokuments wird nicht nur gekürzt, sondern er verschwindet in diesem Moment, in dem die Rollen von Muslimen nordafrikanischer Herkunft von zwei weißen Männern gespielt werden. Das Gespräch „von Muslim zu Muslim“ kommt mir dadurch vor, wie eine Ansammlung von Klischees, die aus der Mitte der deutschen Gesellschaft gesprochen werden. Auf diese Weise erfahren wir aus der Aufführung vielmehr etwas über uns. Wir sind diejenigen, die „einen Muslim“ produzieren, indem wir ihn immer wieder als einen Attentäter auf die Bühne bringen. Obwohl das Gespräch in dieser Form stattgefunden hat, wird dadurch eine extreme Situation aufgegriffen, die den Glauben anderer Muslime genauso wenig schildert wie diesen der religiösen Christen.
Ich finde die Inszenierung gefährlich, weil sie die Verbindung von Terrorismus und Islam durch ein „wahres Leben“ zu bestätigen sucht. Dabei zeigt sie aber die Repräsentations- und Positionierungsprobleme des deutschen Theaters. Nicht jeder Stoff lässt sich inszenieren, ohne darüber nachzudenken, wer man selbst ist und an welchem (privilegierten) Standort man steht.

Joanna Jurkiewicz