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men zu Ödip
us, Tyrann

„Wo anfangen, wo aufhören: Dimiter Gotscheff hat einen Ödipus geschaffen, so intensiv und vielschichtig, so bilderstark und konzentriert, so klug choreographiert, dass die Gänsehaut danach noch lange anhält. […] Das Volk, der Chor, der unter der Führung der ungemein geschmeidigen Patrycia Ziolkowska agiert wie eine wortgewaltige Tanzgruppe, fordert Aufklärung, damit die Götter, die die Pest über Theben gebracht haben, der Stadt wieder Frieden schenken. […] Gotscheff und sein Ausnahme-Ensemble haben einen großen Theaterabend geschaffen, den besten, den es in dieser Spielzeit bisher in Hamburg zu sehen gab, den besten seit langem.“ - NDR Kultur

 

„Mit dem Mut der Verzweiflung und der Kraft des Triumphators in eigener Sache zeigt der großartige Bernd Grawert freilich, wie oft dem „Schwellfuß“ genannten Unglücksgriechen jeder Schritt weh tun muss. […] Ob überhaupt jemand und wer an dieser Konstellation Schuld trägt, was es mit dem Ödipus-Komplex auf sich haben könnte und wie viel Wahrheit den Menschen im Allgemeinen zugemutet werden kann, interessiert Dimiter Gotscheff in seiner kühlen, klaren, spielend schönen Inszenierung des „Ödipus, Tyrann“ von Sophokles in der Übersetzung von Friedrich Hölderlin und in der Fassung Heiner Müllers kaum. Weder Argumente noch Reflexionen bestimmen den Ablauf dieser intensiven, formal nachdrücklichen Aufführung, sondern eine streng narrative Choreographie. Gotscheff lässt das vorzügliche, in jeweils mehreren Rollen eingesetzte Ensemble die alte Tragödie auf eine sehr physische und heutige Weise erzählen. […] Der König ist tot, heißt das am Schluss in Gotscheffs hellsichtig distanzierter wie anrührender Inszenierung, es lebe der König - möglicherweise.“ - Frankfurter Allgemeine

 

„Aus dem von Sex und Crime strotzenden Drama wird von Gotscheff aber mit stählernem Würgegriff jede Sinnlichkeit herausgepresst. Allein Karin Neuhäuser gesteht er ein bisschen Weiblichkeit zu. Doch das Wortoratorium, das dem Regisseur vorschwebte, funktioniert nur selten, weil man oft, ganz banal, zu wenig versteht. Schon Müllers Bearbeitung von Hölderlins Übersetzung bestand ja vor allem darin, die sperrigen Verse des Schwaben noch weiter ins Geschraubte zu drehen. Diesem hohen Anspruch ist die Sprechkultur der Darsteller nicht immer gewachsen (besonders rühmliche Ausnahme: Patrycia Ziolkowska als Chorführerin und Priesterin). So wird dieser anspruchsvolle und manchmal sogar virtuose Abend trotzdem - wie so oft bei Gotscheff - Theater für Leute, die sich gerne ein bisschen quälen lassen.“ - Die Welt

 

„Nicht allen Schauspielern gelingt es, hinter dem starren Sprechduktus, den ihnen die Regie in treuem Glauben an Brecht und das antike Theater verordnet, eine universelle Haltung zu entwickeln. Bernd Grawert als Ödipus ist allerdings überragend. Er trägt als einziger Schuhe und Pulli und spielt den Tyrannen als Gezeichneten, durch die Verletzung seiner Füße von Geburt an Behinderten. Als einen, der nach Befreiung hungert und darum eine wundersame, wütende Kraft entfesseln kann, die ihn plötzlich ausrasten, tanzen und mit ausgestreckten Armen rotieren lässt. Jeder seiner Gesten wohnt die Angst vor der Wahrheit inne.“ - Frankfurter Rundschau

 

„Die Analyse des Ödipus-Traumas ist das Zentrum des Dramas, und Dimiter Gotscheff verpasst dieser Kriminalhandlung ein poetisch-musikalisches Gewand. Von Beginn an lässt er seinen Hauptakteur Bernd Grawert in den Zeilen und Worten förmlich baden, seine Bewegungen umkreisen, liebkosen den Text beinahe, auch wenn er nichts versteht oder nur hilflos Wort für Wort seine ihm unbekannte, fluchbeladene Lebensgeschichte entdeckt. Die durchbohrten, verletzten Füße (Ödipus heißt auf Griechisch "Schwellfuß"), die ihn einst nach seiner Verbannung als Kind an der Rückkehr zu den Eltern hindern sollten, prägen symbolisch sein Wesen: Bei Gotscheff trommelt Ödipus damit seinen Herzschlag auf die Bühne, ziellos nervös, aber doch unerbittlich und drohend: Der Rhythmus des Schicksals, nach dem der Tyrann tanzt. Später, wenn die Erkenntnis dämmert, scheint sich Ödipus über sein Schicksal zu erheben und tanzt buchstäblich weiter nach diesem inneren, schlichten Rhythmus, mit ausgebreiteten Armen und wilden Drehungen - ein makaberer Todes-Sirtaki voller Verzweiflung. […] Viel Beifall gab es fürs Thalia Ensemble (fulminant Bibiana Beglau in drei Rollen) und das Regieteam um Dimiter Gotscheff, das dem archaischem Text große poetische und sinnliche Momente abgerungen hat.“ - Spiegel online

 

„Gotscheff liefert eine sehr körperbetonte Inszenierung, einen wild ringenden Ödipus, eine tanzende Iokaste, einen vogelartig krächzenden Chor mit ausgreifenden Gesten der Verzweiflung. Mit imposanter Direktheit und knappen Mitteln hat nicht nur Sophokles seine ungeheure Thematik bewältigt, auch Regie und Bühne (Mark Lammert) beschränken sich auf Kargheit und die physische Ausdruckskraft der Darsteller, die - bis auf Ödipus - barfuß gehen, rennen, taumeln, zuweilen fast wie ein Tanztheater. Unterhaltung wird da kaum geboten. Man muss sich konzentrieren auf diese grausame Familiengeschichte. […] Exzessive Körpersprache auch beim Chor - vier Männer und drei Frauen in weiten, schwarzen Anzügen. Mit ausgreifenden Armen rennen sie an den Bühnenrand, krähen wie Aasgeier von existenzieller Not. Als biegsame Masse schmiegen sie sich lauernd ins Eck. Immer beobachten, kommentieren sie, allen voran Chorführer Patrycia Ziolkowska, die klar und selbst verwirrt das Unausweichliche verkündet. Kreon ist bei Bibiana Beglau ein albtraumhafter Todesvogel mit weiten Schwingen. Einzig Iokaste bekommt bei der großartigen Karin Neuhäuser einen realistisch zupackenden Ton. Als liebende Frau, die selig tänzelt, als erschrockene Mutter, die, bei aller Schmach, ein kurzes Glück darüber zeigt, dass ihr tot geglaubter Sohn noch lebt.“ - Hamburger Abendblatt

 

„Wer handelt, macht sich schuldig. Wer nicht handelt, auch. Heiner Müllers Deutung, die Gotscheff und sein engagiert spielendes Ensemble auf die Bühne schaufeln, lotet diesen unlösbaren Widerspruch in seiner tragischen Tiefe eindrucksvoll aus. Im gleichen Maß wie Ödipus' argen Weg der Erkenntnis betont Gotscheff in seiner Inszenierung die Rätselhaftigkeit: Die Inszenierung ist deutlich von der Auseinandersetzung mit dem absurden Drama, mit Samuel Beckett geprägt. Bühnenbildner Mark Lammert belässt die Bühne im großen Haus fast ganz roh, nur ein riesiger, goldfarbener Sack, der entfernt an einen überlebensgroßen Punchingball erinnert, hängt vom Schnürboden herab, wohl ein Symbol für Apoll und sein vieldeutiges Orakel, für das Rätsel, warum das menschliche Vermögen nicht ausreicht, Gründe und Folgen unseres Handelns zu erkennen. Dimiter Gotscheff fordert sein Publikum, er gibt kein Pardon. Unterhaltung wird nicht geboten, Konzentration verlangt. Das Thalia in Hamburg hat eine anstrengende Inszenierung im Repertoire, großes, schweres, uraltes und gleichzeitig ganz aktuelles Theater.“ - Deutschlandradio Kultur

 

„Ödipus nimmt sein Schicksal an. Ein eindrucksvolles Bild ist das – doch es gibt viele eindrucksvolle Momente in dieser Inszenierung. So kann der von der Pest geplagte Chor nur noch stammeln und stöhnen. Und Iokaste, gespielt von der großartigen Karin Neuhäuser, fällt wie ein Stein vom Stuhl, als sie begreift, mit wem sie ihr Bett geteilt hat. Eine faszinierende Aufführung – Es gab Bravos für die Darsteller und Jubel für den Refisseur.“ - NDR 90.3