Laudatio auf Barbara Nüsse zur Thalia-Ehrenmitgliedschaft

Barbara Nüsse zum 80. Geburtstag und zur Ehrenmitgliedschaft am Thalia TheateR

 

800 Vorstellungen in der Villa Kunterbunt

 

Liebe Barbara, heute möchten wir Dich ehren und loben – ich weiß, das ist schwer für Dich, weil die Herausforderung, öffentliches Lob hin zu nehmen oder gar zu genießen, ganz entschieden nicht deine Begabung ist. Aber es hilft nichts, da musst Du jetzt durch!

 

Liebe Barbara, Du ewig Junge, Du Zeitlose, Du Kind in der Frau, Du Junge im Mädchen, Du, Autorität für uns alle im Thalia, Du Meisterin der Sprache, die Du Worte zum Klingen bringen kannst wie keine andere, Du Herbe und Du Humorvolle, Du, deren Wahlheimat Hamburg ist, Du, die du neben dem Spiel auf der Bühne, neben dem Wort noch eine andere Leidenschaft hast, nämlich die bildende Kunst.

 

Du Kriegskind, geboren, mitten in Bomben und Zerstörung, mitten in einer Diktatur, in einer Kleinstadt im Ruhrkreis, in Sprockhövel. Du, die Du, als der Krieg endlich zuende war, als Kind in den Trümmern eines zerbombten Landes gespielt hast. Du, die Du wie dein Vater, ein Bergbauingenieur, auch selbst in den Bergbau wolltest, als Bergmännin oder Bergfrau. Du, die Du Dich hast verführen lassen vom Spiel, von der Literatur, von Kostüm und Maske, von der Kunst, von Schönheit – ein ganzes Leben lang. Gottseidank!

 

Denn, wie Du in deiner bisher letzten Rolle, in Camus' „Die Besessenen“, sinngemäß sagst: ohne die Schönheit, ohne Kunst, ohne Shakespeare und Raffael ist alles auf der Welt: NICHTS.

 

Dieser Gedanke zieht sich durch Dein künstlerisches Werk. In vielen Aufführungen hast du die Freiheit von Kunst und Schönheit gegenüber dem Zugriff durch Macht, Wirklichkeit und Politik verteidigt. Immer wieder hast Du die Schwäche des Künstlertums als Stärke gegenüber der rohen Wirklichkeit behauptet und verteidigt – wie im Bochumer „Tasso“ von Claus Peymann (1980), eine in ihrer Zeit sehr bedeutende Aufführung.

 

Später dann hast du auch selbst einen Machthaber gespielt, dem im wirklichen Leben alles misslingt. Einen Zerstörer wider Willen: „König Lear“. Welch ein Weg!

 

Liebe Barbara, ich kenne Dich als Schauspielerin seit vier Jahrzehnten und durfte in Düsseldorf vor drei Jahrzehnten auch mehrfach mit Dir zusammenarbeiten. Du bist in deiner Annäherung an die Literatur immer beides zugleich: bescheiden und radikal. Bescheiden, weil Du Dir nicht anmaßt, die Literatur zu dominieren, sondern ihr zu dienen, radikal, weil es manchmal zu geradezu extremistischen Mitteln führen kann. Es konnte vorkommen, dass Du vollkommen nackt gespielt hast, mit einer aufgeschminkten Ganzkörpertätowierung, fünf Stunden lang wurdest du für jede einzelne Vorstellung von Kopf bis Fuß geschminkt. Dein Körper – ein Gemälde…

 

Anfang der Neunziger Jahre haben wir – auch dies in Düsseldorf – aus Hamburg Deinen Penelope „Molly-Bloom“ Abend übernommen, diesen genialen Ein-Satz-Monolog aus James Joyce "Ulysses". Ich hatte damals die Ehre, dich mit dem kongenialen Übersetzer Hans Wollschläger zusammen zu bringen. Erst gestern hast Du mir erzählt, dass Dir damals einen Mann aus dem Publikum Briefe schrieb. Du hast das nicht weiter ernst genommen: „Och, der meint doch nicht mich, der verwechselt doch mich mit der Rolle! Molly Bloom wartet zwar die ganze Zeit auf ihren Mann, aber ich doch nicht! Wo kommen wir denn da hin!“ Nun, auch eine Barbara Nüsse kann irren: Der Mann begleitet Dich seither und bis heute in Deinem Leben…

 

Hamburg ist seit Jahrzehnten Deine Wahlheimat. Du warst am Schauspielhaus, du hast mit Uli Waller - noch auf Kampnagel - Deinen „Molly Bloom“-Abend erfunden, und nun wirst du 2025 insgesamt 15 Jahre festes Ensemblemitglied am Thalia Theater gewesen sein– eine Theaterewigkeit. Du bist ein Geschenk für Hamburg, ein Geschenk auch für das Thalia Theater: deine Villa Kunterbunt.

 

Du hast bei uns unzählige Rollen gespielt und mit einigen der klingendsten und besten Namen unserer Theaterwelt zusammengearbeitet. Eine besondere Verbindung aber hast Du zu Jette Steckel: mit ihr hast du u.a. eine weltverlorene Figur der besonderen Art erarbeitet: den Prospero in Shakespeares „Sturm“. Und du hast mit Jette Steckel die Haratischwili-Trilogie erarbeitet – ein gewaltiges Werk. Noch immer stehst du, 80 Jahre jung, im „Das achte Leben (Für Brilka)“ wie selbstverständlich mit Hulahoop-Reifen auf der Bühne. Immer wieder geht es um die Autonomie, um Räume des Schönen und des Spiels, auch der Kindlichkeit. Wie heute als rebellische „Pippi Langstrumpf“.

 

Das hat aber nie etwas Poetelndes, nichts sich selbst bedeutend Machendes, sondern: du bist immer sehr sehr klar, du bestehst auf Luzidität und Bodenhaftung – Sprockhövel, Wuppertal und das Bergwerk lassen erfrischend grüßen!

 

Liebe Barbara, Du bist eine wahrhafte Ausnahmeschauspielerin. Du wolltest nie hipp sein, und hast dich doch dem Auf und Ab von Theatermoden und Aufgeregtheiten jeweils neu gestellt. Weil Du nie aufgehört hast, neugierig zu bleiben. In diesem Sinne bist Du in unserem Ensemble oft die jüngste und offenste, und doch mit einem klaren Kompass.

 

Liebe Barbara, dass Du eine großartige Schauspielerin bist, ist völlig klar, und wurdest dafür vielfach geehrt: als Schauspielerin des Jahres (1980, für Deine Leonore in Peymanns „Tasso“), als Trägerin des Gertrud Eysoldt-Rings (2010 für „Lear“) und des FAUST-Preis (2018 für Deinen Prospero).

 

ABER: Du bist eben auch ein großartiger Mensch. Ja, du gibst uns allen immer wieder Halt: den Regisseuren, dem Ensemble, dem ganzen Haus.

 

Liebe Barbara, weißt Du eigentlich, wieviele Vorstellungen du seit 2010 bisher am Thalia gespielt hast? 233?, 323, 512?, 604? Nein! Alles falsch. Wir haben nachgesehen: Halte dich fest, es ist unglaublich: Heute und zwar exakt heute hast Du am Thalia Deine 800. Vorstellung gespielt!

 

Liebe Barbara, ich danke Dir im Namen aller Schauspielerinnen und Schauspieler des Thalia Theaters, ja im Namen des ganzen Hauses und im Namen des Hamburger Publikums dafür, dass Du uns in der Vergangenheit so reich beschenkt hast und uns hoffentlich noch lange beschenken wirst!

 

Als Zeichen der Wertschätzung wirst Du heute, in einer von Senator Carsten Brosda und mir unterzeichneten Urkunde zum Ehrenmitglied des Thalia Theater ernannt. Möge das Thalia für Dich und uns alle noch möglichst lange unser aller Villa Kunterbunt bleiben!

 

Und natürlich gratulieren wir alle Dir am Tag deiner 800. Vorstellung zu Deinem 80. Geburtstag.