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Perfekt inszeniert kommt "Der Fremde" auf die Drehbühne der Thalia Gaußstraße. Es geht um den Mörder Meursault, die Tränen, die er am Grab seiner Mutter nicht geweint hat, eine Frau die er nicht aus Liebe heiraten wollte und nicht zuletzt um den kaltblütigen Mord, für den er hingerichtet werden soll. Auf der sandigen Drehbühne mit Wüstenflair verkörpern die vier Schauspieler die agierenden Personen. Und trotz seiner Reuelosigkeit und scheinbaren Gleichgültigkeit, erweckt der Antiheld Meursault, der sogar im Auge seines unvermeidlichen Todes einen klaren Kopf behält. Emotionslos und alles bejahend, was sich ihm offenbart, wirkt Meursault gottlos auf die Geschworenen des Gerichts.
Besonders begeisternd ist die Inszenierung aufgrund der Drehbühne, die gekonnt dem drumherum sitzenden Publikum das Geschehen von allen Seiten zeigt. Die Wirkung des mit sich hadernden Protagonisten wird durch das Laufen in die entgegengesetzte Richtung der Drehung und der kurzen Perspektivwechsel erzeugt und machen Requisiten überflüssig: Die durchgehend auf der Bühne spielenden Schauspieler schaffen es mit ihren schwarzen Anzügen immer neue Kostüme entstehen zu lassen. Tief philosophisch und hervorragend umgesetzt!
Nina Niesche, Gebrüder-Humboldt- Schule in Wedel, Kl.12

 



„Nachdenktheater“ in der Thalia Gaußstraße

„Na gut, ich werde also sterben. Früher als andere, das war klar. Aber jeder weiß, dass das Leben nicht lebenswert ist. Im Grunde wusste ich wohl, dass es wenig ausmacht, ob man mit dreißig oder mit siebzig stirbt, da natürlich in beiden Fällen andere Männer und Frauen leben werden, und das Tausende von Jahren hindurch.“
Vier dunkel gekleidete Personen betreten die Bühne, drei Männer und eine Frau, aus denen sich Meursault, der Protagonist des Romans, zusammensetzt. Einer der Männer  zieht eine Pistole. Ein Schuss zerreißt die Stille. Meursault hat einen Mord begangen. An einem Araber, das war klar. Monsiuer Meursaults zeigt kaum Gefühle und fügt sich den gesellschaftlichen Konventionen nur deshalb, um keinen Streit mit seiner Umwelt zu riskieren. Bevor Meursault den Mord begann, bekam er eine Nachricht, dass seine Mutter im Altersheim gestorben sei – Ihm schien es gleichgültig zu sein. Er machte sich auf den Weg zum Altersheim. Er bekam die Möglichkeit seine Mutter noch einmal zu sehen, jedoch lehnte er dies ab. Er rauchte in Gegenwart ihres Leichnams, zudem trank er Milchkaffee. Vor dem Gericht steht schnell die Moralität des Angeklagten infrage – hat er etwa wirklich nicht geweint am Grab der eigenen Mutter? Hat er die alte Dame etwa ganz gefühllos in einem Heim entsorgt? Hat er etwa kurz nach dem Tod seiner Mutter eine Affäre angefangen mit einer alten Arbeitskollegin? Und war der tödliche Schuss womöglich nur eine Hilfsaktion für einen Zuhälterkumpel?

Das ganze Theaterstück wird auf einer mit orangefarbenem Sand bedeckten Drehscheibe gespielt. Sie wird an vier Seiten vom Publikum umgeben. Jette Steckel, die Regisseurin des Stückes, hat mit gezielt wirkenden Theatermitteln gearbeitet. Als sich die Bühne einige  Male in Bewegung setzte, genügten ein Lichtwechsel und ein, zwei Schritte, um die Beziehungen zwischen den Darstellern und auch den Orten des Geschehens darzustellen. Um sich in Meursaults Nachbarn Salamano oder gar dessen Hund zu verwandeln, genügt ein Nylonstrumpf, der über die Schultern gezogen wird. Bei Meursault handelt es sich eigentlich gar nicht  um einen schlechten oder sogar dummen Menschen, meint der Staatsanwalt. Er ist sogar außerordentlich klug, Meursault ist bei jeder Antwort und bei jeder Frage klar im Kopf. Er könnte sogar Marie heiraten ohne sie zu lieben, es sei ja das gleiche. Meursault wird zum Tode verurteilt.

„Mein letzter Wunsch ist es am Tag meiner Hinrichtung vom schreienden Hass empfangen zu werden“
Obwohl alle Schauspieler Meursault spielen, wechseln sie permanent die Rollen, auch wenn dies vielleicht ein wenig verwirrend klingen mag, ist es sehr gut zu verstehen. Steckel hat ein wunderbares Stückchen „Denktheater“ in die Gaußstraße gebracht und hatte zu dem noch sehr lobenswerte Schauspieler zur Verfügung (Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Franziska Hartmann und Julian Greis). 
Anita Ukshini, Walddörfer Gymnasium, Klasse 9