Integr
ier mich, B
aby

„Wir sind doch alle mehr oder weniger Touristen in Hawaii-Hemden.“
 
Ich bekomme die Nr. 52 und den Rat „Versuchen Sie zu lachen, wenn sie ein Foto macht“ – so begrüßt mich freundlich ein afroamerikanischer Einwanderer, oder ein Deutscher mit Migrationshintergrund oder ein Hamburger mit Zuwanderungsgeschichte?
Sagen wir David Ubani in seiner Rolle als Integrationslehrer im Jahr 2033.
Im Setting grauer Bierzeltgarnituren sollen wir zu hyperkulturellen neuen Erdenbürgern werden.
Rosmery Schoemborn schießt das Foto für den neuen Pass. Ich versuche zu lachen. Sie ist die spanische Vertreterin des heutigen Vielsprachigkeits-Aufgebots an diesem biogeografischen Theaterabend. Drei Integrationshelfer und die Integrette (Integrations-Superwoman, gespielt von Bernadette La Hengst, der  Erfinderin des Abends) stehen dafür bereit.
„Nehmt euch ein Stück Kreide und gebt euch einen Namen und eine Geburtsstadt“, heißt es.
Um mich herum sitzen nun Pocahontas aus dem Dschungel, Jason aus Kansas und Julia aus Rio de Janeiro. Es kann losgehen. Dazu ein kurzer Sprachcheck. Wer spricht was, bitte Hand heben.
Spanisch: Check, Portugiesisch: Check, Polnisch: Nie ma problemu, African? – African? Nobody who speaks English?
Ahhhh, das meint er! Doch, doch, die Hände gehen zufrieden hoch, die Weltsprache wird selbstredend gesprochen.
Ein weiterer Integrationshelfer, Ali Özkan, bereitet die Runde vorfreudig auf ihren Pflichtsprachkurs vor. Der Herr mit astreinen Türkischkenntnissen in waldgrüner Feinstrick-Weste erklärt: Früher hat man seinen Pass ins Mittelmeer geschmissen, heute macht man einen Kurs und kann bleiben.
Bitte einmal Vorstellen in Türkisch! Wer kennt ein türkisches Gedicht?
Marina Wandruszka erhebt sich aus dem Publikum und verließt ergreifend unsicher ein Stück Papier. Ein Brief des Vaters aus der Ferne.
Nur noch 250 Fragen im Wanderungs-Quiz und dann ist es geschafft. Hamburg wird Integrationshauptstadt!
Gibt es eigentlich ein Wort für „Migrant“ in anderen Sprachen?
Vagabundo! Alien! Tourist!
Özil? Deutscher Fußballer oder türkischen Zuwanderungshintergrund?
Wie oft ging ein Christ im Jahr 2032 in die Kirche? A: Einmal im Monat, B: täglich, C: Einmal im Jahr? – Und ein Muslime in die Moschee?
Wie viel Menschen sind 1988-2009 an der Schengen Südgrenze ums Leben gekommen?
Wer profitierte von der Flucht deutscher Intellektueller in die USA? A: Hollywood, B: Ketchup Industrie (Heinz), C: Hitler. A, B oder C? – Mit Rückblick auf die Auftaktveranstaltung der Dialogreihe „Bridging the Gap“ im Thalia Theater mit der Frage: „Wo bleiben eigentlich die Intellektuellen in der europäischen Krise?“ wäre es sicher spannend gewesen über „C“ zu diskutieren… Aber dieses Quiz baut eine Welt aus Wahr- und Falschheiten, da gibt es keinen Diskussionsraum.
Es folgen persönliche Erinnerungen, Marie Löcker erzählt glaubhaft ihre Ankunft aus Kolumbien „Ich bin hierher gekommen um 11 Uhr, 23 Uhr.“, Christoph Bantzer schwelgt als ein aus Nigeria kommender Mediziner mit „Als ich kam, dachte ich, ich werde Arzt oder Professor hier.“ Marie: „Die Seele bleibt in deinem Land, aber du bist schon hier.“ Musik.
Auf der Videoleinwand kreuzen sich Fluchtschiffe mit Luxuskreuzern und Bernadette La Hengst singt in ihrer zärtlich-hauchigen wie kraftvollen Stimme: „Ich bau ein Haus/mir mitten in den Ozean/geländerlos und länderfrei“.
Mit einem Leuchtglobus auf dem Kopf tanzt sie dem Hyperkultur-Gedanken entgegen. Im Jahr 2033, im Jahr in dem Hamburg zur europäischen Integrationshauptstadt gewählt werden wird, gibt es noch 20% Deutsche ohne Migrationsgrund…wir als Publikum haben die Prüfung bestanden! Die Nationalitätserneuerung wird vollzogen, Pässe mit den eingangs geschossenen Fotos werden verteilt. Wer hat auf seinem Passfoto gelacht? Zum Finale gibt’s den Anfang.
Integrette: „Eigentlich fängt die Integration jetzt erst an, wir haben Tee für euch, bleibt doch, vielen Dank.“ Bleiberecht, vielen Dank!

 


Nicola Scherer