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Wiederholung und akustischer Raum

Ein Akkord auf dem Klavier angeschlagen, beginnt nach dem metallischen Anfangsakzent, mit dem die anschlagenden Hämmer die Saiten in Bewegung setzen, sofort mit dem Verklingen, man könnte dem Klavierton deshalb auch etwas Entropisches zuschreiben, der Substanzverlust gehört zum Klavierklang. Und deshalb hat er immer was Melancholisches.

Deshalb wird Klaviermusik in Filmen fast immer stereotypisch eingesetzt, um die Stimmung zu erzeugen: Einsamkeit, Trauer, Melancholie und Sehnsucht. Wenn dann im Film die Tränendrüsen gereizt werden sollen, kommen garantiert noch Streicher dazu. Klischees können über erstaunlich lange Zeiträume betoniert werden.

In Komödien kommt Klaviermusik nicht vor. Mozart und Haydn konnten noch "heitere" Klaviermusik schreiben, danach wirds immer ernster.

AMERIKA fängt mit zwei Klavierakkorden in einer Wiederholungsschleife an, fallende kleine Terz und sechs Herzschläge von einander getrennt, sehnsuchtsvoll verklingend also. Nur, dass hier Amerika ja nicht das Land der Sehnsucht ist, weil Karl Rossmann ja nicht freiwillig das Elternhaus und das alte Europa verlässt. Der Anlass für Karl Rossmanns Amerikareise ist ja der Export eines Problems (er hatte ein Zimmermädchen "unfreiwillig" geschwängert).
Die Klavierakkorde mit Sehnsuchtskonnotation erzählen aber die Geschichte der meisten anderen Auswanderer, nur die Karl Rossmanns nicht, aber genau an der Stelle spannen sie einen größeren Raum auf, erzählen von der Sehnsucht nach Amerika. Die wird aber im Verlauf des Stückes gründlich demontiert.

Die Tonalität der beiden Akkorde kommt von Erik Satie (später werden sie in einer seichten Popmusik wieder auftauchen), der in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts eine „Musique d`ameublement“ entwickelte, eine Musik als Möbel, die einfach da ist, wie eine Einrichtung, dem Zeitfluss enthoben, in der die Sehnsucht in eine Wiederholungsschleife gerät und damit zu einer musikalischen Übersetzung der Industrialisierung wird. Mit dem Satie-Klang wird zusätzlich die Geschichte zeitlich ins beginnende 20.Jahrhundert verortet.
Nun geraten nicht nur die Klavierakkorde sondern auch der Text immer wieder in die Wiederholungsschleife, was sehr wohltuend ist in der Inszenierung eines Romans, der in 70 min. (=CD-Länge) erzählt werden soll. Gerade weil die Geschichte im Zeitraffer erzählt wird, ist es so befreiend, wenn der Regisseur sich aus der Textautomatik ausklinkt und sich Zeit lässt, die Sätze Kafkas, in diese Schleifen geraten.
Wiederholung wird heute im Alltag ja nicht mehr als angenehm, sondern nur noch als nervig erlebt (hotlines). Gerade im 20 Jh. ist sie aber ein Formprinzip geworden und Erik Satie ist einer, der das Wiederholungsprinzip auf die Spitze getrieben hat: z. B. in „Vexations“ die 840-fache Wiederholung eines Klavierstückchens.
Schön, wenn die Akkorde und Kafkas Texte anfangs sich in einander drehen und fast so was wie ein Melodram, eine musikalische Rezitationsform, meist mit Klavier, im späten 19. Jahrhundert, werden.

Über der kleinen verspiegelten Telefonzelle, in der sich der große Roman erzählen muss, in der sich Philipp Hochmair windet und anstößt und die er nur gegen Ende verlässt, ist eine äußerst kleine Video-Projektionsfläche angebracht (TV-Größe) in der Breite der Telefonzelle, fast so wie ein kleiner Werbescreen, auf dem läuft zu Beginn als Werbung/Ankündigung "AMERIKA" in roter LED-Schrift, so wie die newsticker auf dem Times square, das Rot wird auch für lange Zeit die einzige Farbe bleiben, sonst alles in schönen graublau Tönen. Man hat den Eindruck der Farbfilm ist noch nicht erfunden, Stummfilmzeit. Bis dann die neonfarbenen post-it Zettel geklebt werden, mit denen Karl Englisch lernt. Die Szenen in der beengenden Box werden übertragen auf die Werbefläche und man bekommt nun als Zuschauer mehrere Perspektiven angeboten, je nachdem wie Hochmair die live-Kamera bedient: die räumliche auf die Box mit Inhalt und die zweidimensionale Umkehr-Abbildung auf dem Schirm.
Die Präsenzen sind sowieso eingeschmolzen, Hochmair spielt in der Box ,die Kunstglas-Scheibe zwischen Schauspieler und Publikum und mit Mikroport, erst spät im „Naturtheater von Oklahoma“ kommt man mit der live Stimme im Theaterraum in Kontakt, unverstärkt, direkt.
Es gibt einen paradoxen Zusammenhang zwischen Anhebung der Lautstärke, also elektroakustischer Verstärkung und einhergehendem Präsenzverlust, es entsteht so was wie eine Entfernung des Schauspielers vom Theaterbesucher als Zuhörer, möglicherweise liegt das an der Botschaft des Mediums Verstärkung: Schauspieler und Zuhörer befinden sich nicht mehr im selben akustischen Raum. Zugespitzt formuliert, wer die Verstärkung hat, hat die Macht und generiert einen Herrschaftsraum. Natürlich gibt die elektroakustische Verstärkung dem Regisseur die Möglichkeit eines „akustischen close-ups“ und ist damit eine Möglichkeit, mit einem zentralen Mittel des Films, die Theatermöglichkeiten zu erweitern.
Aber Hochmair erledigt das Problem mit seinem körperlichen Einsatz, der Energie und Spielfreude, mit der er zwischen den verschiedenen Figuren hin und her springt, auf beeindruckende Art.

Schön, die zufällig entstehenden stills, je nachdem wo die Kamera gerade zum Liegen gekommen ist. Mit der Kamera und den Spiegelflächen bringt Hochmair mehrere Schauspieler ins Spiel. Ein guter Einfall von Bastian Kraft, damit das Monologische in den Hintergrund zu drängen, schön, wenn Robinson, (der mit seinem Kumpel Delamarche, den naiven Karl Rossmann ausnimmt und ihm wieder mal die Laufbahn in den USA versaut) auf der Videowerbefläche auftaucht und eine zweite Schauspielerfigur, ebenso von Hochmair gespielt, diesmal in billiger Videofarbe ins Spiel bringt.

Mit Amerika gelingt Bastian Kraft und Philipp Hochmair ein großartiger Abend, der mit Kafka Scheitern und Ausbeutung in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht nur erzählt, sondern auch stellenweise physisch erlebbar werden lässt und an keiner Stelle käme der Gedanke an einen Monolog auf, den man doch bei dem Set up: „großer Roman mit nur einem Schauspieler“ erwartet.

Das Formprinzip der Wiederholung wird von Bastian Kraft zunächst durch die Musik installiert und wandert dann in den Text, ein gelungenes Beispiel wie über genuin musikalische Prinzipien, Text in Bewegung gerät und das noch in dieser eigenen Verbindung zwischen Sehnsucht und Starre.

Generell scheinen sich mir die Experimente auf der Theaterbühne wenig um Musik zu drehen, Bühnenbilder erweitern sich gerade in der letzten Zeit in den Bereich der bildenden Kunst, sind oft großartige Skulpturen, Licht und Kostüme werden in den Klischees hinterfragt. Den Klischees der Musik im Theater wird viel zu wenig entgegen gearbeitet, Funktionen werden willig erfüllt, sei es als Szenen- oder Akt-Trenner, Zitat, Atmosphäre, auch die ungebrochene emotionale Funktionalisierung gibt’s immer noch. Kompositorische Gesamt-Konzepte fehlen oft in den Inszenierungen, Vieles ist ein musikalischer Zitatenreigen. Dabei ist der Theaterraum eben auch ein Hörraum („gehörte Sprache!“) und es scheinen mir da viele Potentiale, diesen Hörraum über musikalische Experimente neu zu erschließen, noch Brach zu liegen.

Michael Maierhof ist Komponist und lebt in Hamburg.


Michael Maierhof