Der zerbroc
hne K
rug

Beate Heine über Regisseur Bastian Kraft

Wer ist die dunkle Gestalt, die sich als Schatten in den Hauseingängen und Toreinfahrten des nächtlichen Wiens verbirgt? In dem Film Noir „Der dritte Mann“, der im Wien der Nachkriegsjahre spielt, taucht die Hauptfigur Harry Lime nur als Schatten auf. Wer war, wie ist dieser Mensch eigentlich? Er ist ein Hochstapler,
Lügner, Betrüger. Einer, der sich ständig neu erfindet und sich notfalls sogar als Toter ausgibt. Sprünge, Überblendungen, Lücken in Biografien und Lebensentwürfen interessieren auch den 32 Jahre alten Theaterregisseur Bastian Kraft, der immer wieder die ästhetischen wie inhaltlichen Möglichkeiten, die in der Begegnung von Filmbild und Bühnenfigur liegen, erforscht. In der Differenz zwischen beiden taucht die unheimliche Frage auf: Was verbirgt sich hinter dem Subjekt? Hat es selbst überhaupt einen festen Identitätskern oder existiert es nur als Maskerade?
Natürlich ist es reiner Zufall, dass Krafts Karriere im Wien des 21. Jahrhunderts begann, am Burgtheater, wo er zunächst als Regieassistent mit einem Abend über Hochstapler auffiel und dann mit Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ als Regisseur reüssierte. Hier thematisierte er die Kunst der Selbstinszenierung, aber auch den unaufhaltsamen Verfall. Selbstbildnis und Bild entsprechen sich in keiner Weise. Was ist wahr, was Lüge? Leibhaftig sterben kann dieser Dorian Gray erst, als er das Bild von sich mordet. Und auch dieser Zusammenhang ist reiner Zufall: Harry Lime stirbt real erst, als der Freund sein wahres Ich erkennt. Seine eigentliche Regielaufbahn begann Bastian Kraft am Thalia mit Inszenierungen in der Gaußstraße: Kafkas „Amerika“, Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ und Virginia Woolfs Zeitreise „Orlando“, der mal als Mann, mal als Frau durch die Jahrhunderte wandelt und sich unablässig neu erschafft. „Wer ist der echte Mensch dahinter?“, fragt der Regisseur. „Wahrscheinlich ist da nichts. Der Mensch ist ein Lügengebäude. Das ist sein wahres Ich, da ist kein Kern“, lautet seine Antwort. Und so steht auch in seiner jüngsten Inszenierung „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist eine zersplitterte Figur im Mittelpunkt: Dorfrichter Adam, der Beschuldigter und Richter zugleich ist. Die Welt bei Kleist ist aus dem Gleichgewicht geraten. Während der Gerichtsver-handlung glaubt jede der Figuren, die Wahrheit zu kennen, weil sie Ereignisse in Zusammenhänge stellt, die rein zufällig sind. Wie eben auch eine Verbindung zwischen „Der dritte Mann“ und Bastian Krafts künstlerischer Arbeit rein zufällig ist. Oder doch nicht?


Beate Heine