Späte N
achbarn

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Nachbar; der Mensch, der sich gleich nebenan seinen persönlichen Raum errichtet. Alvis Hermanis inszeniert das Private vier in die Jahre gekommener Einwanderer, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem alten Europa in die Neue Welt Amerika umsiedelten. Dabei arrangiert er jede der beiden Geschichten von Isaac B. Singer für sich allein stehend in zwei Sequenzen hintereinander weg. Wie zwei Nachbarn. Ist man erst in der Wohnung des alten Harry Bendiners (Andre Jung) und folgt knappen zwei Stunden seiner mühseligen Routine, findet man sich nach der Pause in der esoterisch gehaltenen Unterkunft Lotte Kopitzkys (Barbara Nüsse) wieder.

Die Charaktere verbindet Einsamkeit und Sehnsucht. Harry weiß erst, dass er sich nach Gesellschaft und jugendlicher Liebe sehnt, als Ethel Brokeles (Barbara Nüsse) sich als neue Dame von links vorstellt. Die vermisst die Sicherheit ihres verstorbenen Mannes. Später folgt man Lotte Kopitzkys komischen und doch verzweifelnden Versuchen Dr. Zorach Kalisher (André Jung) an sich zu binden. Der wiederrum sehnt sich nach seiner zurückgebliebenen Geliebten.

Vielleicht heißt es auf der Broschüre „Späte Nachbarn: zwei Seancen“, weil Hermanis den Kontakt zu Menschen der nahen Vergangenheit ermöglicht. Streicht man Vergangenheit, so wird die Inszenierung zum Kontakt zwischen Menschen. Wir erleben vier Charaktere in ihren Wohnungen. Der persönliche Raum erlaubt dem Zuschauer einen weiteren Einblick in die Person, somit wird der Mensch auf der Bühne noch fassbarer. Hermanis besinnt sich in seiner Inszenierung auf das Private und die Vermittlung von Emotionen. Dabei sucht er nicht nach Allgemeingültigkeit, noch nicht einmal nach Identifikation des Publikums mit dem Dargestellten, sondern nach Empathie.

Vielleicht muss man sich erst überwinden, die Sinnsuche ruhen zu lassen und einfach den Schauspielern folgen. Und als man Barbara Nüsse und André Jung im Nachgespräch erlebt, wird deutlich zu welcher Wandelbarkeit sie fähig sind. In seinen Geschichten „Späte Liebe“ und „Die Seance“ platziert Singer eine Veränderung in das Alltägliche. Am Ende hat sich nichts verändert. Ob man nun den tieferen Sinn herausarbeitet oder einfach observiert, beides funktioniert. Gerade weil man nicht nach Bedeutungen sucht und trotzdem versteht, ist diese Inszenierung gelungen.


Derya Ekinci