Die lange N
acht der Wel
treligionen

Und das Publikum sah, dass es gut war – eine etwas andere Schöpfungsgeschichte

 

Am Anfang sprach ein Schauspieler den Rigveda. Und die Bühne war wüst und leer, und es war finster auf den Brettern; und der Geist des Hinduismus schwebte über den Zuschauern.

Und der Inspizient sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und das Publikum sah, dass das Licht gut war. Denn es erhellte die Bühne und ermöglichte den Blick auf einen Religionswissenschaftler von der Universität Hamburg. Da ward aus Licht und Wissenschaftler die erste gefühlte Stunde.

Und der Wissenschaftler sprach: Es werde ein Abend über Schöpfungsmythen und die großen Erzählungen zur Entstehung der Welt. Und es geschah so. Und er sprach über Mythen und nannte den Glauben an die Naturwissenschaft ebenfalls einen Mythos. Und das Publikum fragte sich, ob das gut war. Da ward aus Rede und Mythos die zweite gefühlte Stunde.

Und die Schauspieler rezitierten: die Inuit-Geschichte vom „Vater Rabe“, das Popol Vuh der Quiché-Maya sowie andere Erzählungen. Und es geschah so. Und ein Sitar-Musiker begleitete sie. Und das Publikum sah, dass es gut war. Da ward aus Geschichten und Musik die dritte gefühlte Stunde.

Und die Moderatoren sprachen: Mögen eine Ethnologin und ein Rabbiner auf die Bühne kommen und diskutieren. Und es geschah so. Und der Rabbiner erzählte einen guten Witz. Da ward aus Diskussion und Witz die vierte gefühlte Stunde.

Und die Schauspieler rezitierten wieder: die Austreibung aus dem Paradies, den griechischen Weltentstehungsmythos des Hesiod sowie andere Texte. Und es geschah so. Und ein Physiker durfte sagen, dass er die Mythen anzweifelt, weil sie nicht auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage stehen. Da ward aus Paradies und Zweifeln die fünfte Gefühlte Stunde.

Und noch einmal rezitierten die Schauspieler: diesmal Schöpfungsmythen aus dem Buddhismus, dem Jainismus und aus Neuseeland. Und es geschah so. Und das Publikum sah an alles, was geschehen war, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Erkenntnis und Zufriedenheit die sechste gefühlte Stunde.

In der siebten gefühlten Stunde aber waren alle müde und glücklich, Publikum und Schauspieler, Wissenschaftler und Moderatoren. Da gingen sie gemeinsam essen und später nach Hause. Noch lange werden sie von diesem Abend sprechen.


Janne Kieselbach