Three Kin
gdoms

Balkan, Baltikum oder britisches Kopfkino

 

Aus rohen Brettern zusammengezimmert, steht ein Raum auf der Bühne, die vierte Wand zum Publikum fehlt. Stahlseile fixieren die „Flimmerkiste“ nach oben hin, sie sehen fast wie Antennen aus. Hat der Raum das Format eines Fernsehbildschirms?

Darin wird Tommy White (Rupert Simonian) von Detective Inspector Ignatius Stone (Nick Tennant) und Detective Sergeant Charlie Lee (Ferdy Roberts) verhört. Ignatius inszeniert es als sportliches Tennismatch, bis Tommy „gesteht“ - und damit dem Zuschauer erzählt - was passiert ist: Für viel Geld hat er eine Tasche unbekannten Inhalts in die Themse geworfen, ohne zu wissen, dass sich darin der Kopf einer Prostituierten aus Osteuropa befunden hat.

Er gibt den Kriminalpolizisten neue Hinweise, sie reisen nach Deutschland. Während Charlie sein Deutsch aus Schüleraustauschzeiten in Ulm hervorkramt, versteht Ignatius absolut gar nichts, redet weiter nur auf Englisch, fühlt sich unverstanden und einsam. Der deutsche Detektiv Steffen Dresner (Steven Scharf) gibt auch nicht zu erkennen, dass er Englisch könne. Dresner, hünenhaft, schwört auf Birchermüsli und findet sein Heil in Arbeit, erfüllt damit schon mal die klassischen Stereotype.

Im Hintergrund des Raums geistern derweil unheimliche Hotelangestellte herum. An jeder Ecke sieht Ignatius Verbindungen zu dem Mord an der Prostituierten, ein ganzes Zuhälternetz verbirgt sich dahinter. Der deutsche Kollege bringt die beiden Engländer zu einem Porno-Drehort, denn ein Video von einer Handycamera hat ihnen diese Spuren gewiesen. Im Studio werden ausführliche Sex- und Masturbationsszenen gedreht, den englischen Gentlemen – und den Zuschauern? – schaudert’s. Ignatius meint, auf dem richtigen Weg zu sein: er muss nach Tallin!

Dort versammelt sich derweil eine Gang aus blonden, durchtrainierten Männern, die ihr Boxtraining absolvieren und von neuen Marktideen sprechen: europäische Mädchen nach China, Afrika und Russland bringen. Als Ignatius in Begleitung des deutschen Detektivs in Estland ankommt, sein übersetzender Kollege Charlie ist verschwunden, trifft er zunächst nur fliegende Birkenblätter an. Der estische Verbindungsmann ist gerade in der Sauna und kasteit sich mit nassen Zweigen. Auch hier soweit das Auge reicht Klischees: der Este gut gebaut, blond, slawisch eben. Dass der fließend Englisch spricht, fällt Ignatius gar nicht auf. Der Deutsche kennt das mit der Sauna, nackt, ein Handtuch um die Lenden, bleiben die Socken schön hochgezogen.

Ignatius bekommt, was er wünscht, den gesuchten Verbrecher „Rebane“ präsentiert, ähnlich wie das anfängliche „Tennisspiel“ wird das Verhör zum sportlichen Event, aber mit „slawischer Note“, Ignatius boxt ihn k.o., wie der schwitzende Engländer, sich gruselnd, wohl erwartet hat, dass die Dinge hier so passieren. Denn letztlich ist es Ignatius, der Engländer, der „Balkan und Baltikum“ nicht unterscheiden kann, es geht um ihn, um seine Selbstinszenierung als heldenhaften, integeren Polizisten: als der Este die Historie des Landes erklärt, erst hätten die Russen, dann die Schweden, dann die Deutschen und dann „du uns gefickt“, antwortet der Brite nur: „I don’t give a fuck on your fucking country“.

Er bleibt in seinem eigenen Film gefangen. Ist am Ende das ganze Verbrechen doch nur ein Albtraum, eine Art „Kopfkino“ von Ignatius? Dank beißender Selbstironie, immerhin ist der Autor Simon Stephens selbst Brite, gerät das ernste Thema des Menschenhandels und der Pornografie nicht zu einem imaginierten Spuk. Ein Theaterabend „wie ein Film, weil man die Handlung vorher nicht kannte“, wie Tilo Werner, Schauspieler aus dem Thalia-Ensemble, aus der Zuschauerreihe verlauten lässt.

Dann aber ein verdammt packender Film, ein Krimi, der die Grenzen des Ekels austestet, eine TV-Serie, die die beängstigende Frage aufwirft: Sehen wir die Realität, wie wir sie uns sowieso schon vorstellen, konditioniert von den Ausmaßen eines Fernsehbildschirm?


Natalie Lazar