Ein Festiv
al für Hamb
urg
Dankesrede anlässlich der Verleihung des Max-Brauer-Preises 2011 an Joachim Lux, 31.8. 2011
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstandsvorsitzender der Alfred Toepfer Stiftung,
lieber Herr Wimmer,
sehr geehrte Frau Dr.Tidick stellvertretend für das Preiskuratorium,
lieber Mark Terkessidis,
Schlaglichter
„Salamaleikum“ rief vor zwei Jahren Barack Obama, der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in Kairo, ein Schwarzamerikaner mit muslimischen Wurzeln – eine unfassbar große symbolische Geste an die gesamte Welt– ziemlich exakt vierzig Jahre nach dem Mord an Martin Luther King und von der gleichen symbolischen Kraft wie Kennedys „Ich bin ein Berliner“ bei seinem historischen Auftritt in Berlin nach dem Mauerbau. Die Welt hat sich geändert, wie wir es noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätten. Das zwanzigste Jahrhundert liegt gefühlt schon viele viele Jahrzehnte zurück, seine Auseinandersetzungen und Themen um Weltkrieg, Nationalsozialismus und Ost-West-Blöcke sind längst verblasst. Stattdessen: Auseinandersetzung mit globalen Fragen, ihren Rückwirkungen auf unsere Städte, Moscheenbau im Westen, der Kampf gegen xenophobe Strömungen verschiedenster Art und – in wenigen Wochen – die Feier des 50. Jahrestages des Zuwanderungsabkommens mit der Türkei. Schließlich werden wir seit einigen Jahren durch eine neue künstlerisch-intellektuelle Elite – ich nenne beispielhaft Ilija Trojanow, Feridun Zaimoglu, Narvid Kermani oder Mark Terkessidis – enorm bereichert und lernen den Blick von außen schätzen. Wir sind in Bewegung. Aber nicht nur wir, auch der arabische Gürtel, und zwar zur Überraschung vieler, deutlich säkular geprägt. Man könnte viele weitere Beispiele nennen… Ich denke, man kann von einem Paradigmenwechsel von historischen Dimensionen sprechen. Begonnen hat er in vielen Schritten vor Jahrzehnten, auf der Ebene einer weltumspannend wahrgenommenen Ikonographie aber erst ziemlich exakt um die Jahrtausendwende. Nicht mit einem hoffnungsfrohen Aufbruch allerdings, sondern mit einem der großen Verbrechen des noch jungen Jahrhunderts. Mit dem Anschlag auf die Twin Towers - eine gigantische symbolische Geste auch das, und vor allem ein sehr reales Ereignis mit tausenden von Toten. Ausgehend von Hamburg. Noch das vor wenigen Wochen verübte Attentat in Oslo ist ein fernes Echo auf die Islamisten der ersten Stunde.
Machen wir einen Sprung ins 18. Jahrhundert: Ein 38 jähriger Dichter (1729-1788) und Aufklärer kämpft im kleinstaatlich zersplitterten Deutschland für kulturelle und religiöse Toleranz, scheitert, wird in Hamburg mit Berufsverbot belegt und aus der Stadt getrieben. Lessing, dieser Kosmopolit im Postkutschenzeitalter, verlässt Hamburg nach nur drei Jahren (1767-1170). Aber er hält an seiner Idee fest, schreibt ein Pamphlet, eigenartigerweise als Märchen, eine Vision, eigenartigerweise als Theaterstück und träumt: Von der Versöhnung unterschiedlichster Kulturen, - er träumt, mitten in der Provinz, eine weltumspannende Utopie. Das beste, was er in Hamburg kennen gelernt hat, war eine Frau, seine Frau, seine spätere Frau, die er kurz vor seinem Tod in York im Alten Land heiratete.
Historischer Kontext
Sehr verehrte Damen und Herren, das waren ein paar Schlaglichter. Sie machen nochmals deutlich, was uns ohnehin immer klarer geworden ist in den letzten Jahren: Wir leben offenbar tatsächlich in einer epochalen Wende. Wenn das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert Lessings also, das Jahrhundert der Freiheitsbewegungen war, das 19. Jahrhundert das der Begründung der Nationalstaaten, das 20. das der totalitären Blocksysteme, wo Nation und Ideologie eins wurden, dann ist das 21. Jahrhundert dasjenige, in dem wir ökonomisch mit der Globalisierung zu tun haben, und kulturell mit der Aufgabe, eine kosmopolitische und interkulturelle Gesellschaft zu gestalten. Das ist kein Modethema, sondern ganz sicher die historische Aufgabe. Sie spiegelt sich überall. Sie berührt aber nicht nur den kleinen Zirkel eines Kulturbetriebs, sondern jeden, wirklich jeden absolut konkret in seiner Lebenswirklichkeit. Von der Sozialarbeit in Hamm-Horn bis zur bürgerlichen Hochkultur. Sind wir mittlerweile einigermaßen auf der Höhe des Problems?
Was bedeutet das praktisch? Für das Leben oder auch für ein Theater? Bestehen wir darauf, dass wir anders sind? Ist alles im Kern gleich? Kermani sagt: „Identität darf alles sein, nur nicht eindeutig, dann wird es gefährlich.“ Was soll das aber bitte konkret heißen? Gerade hat er ein Buch geschrieben, das in diesen Tagen veröffentlicht wird, das vom Siegerland bis Kashmir, vom Iran bis zu Jean Paul, Kafka, und Hölderlin alles umfasst, was auf den ersten Blick n i c h t zusammenpasst…. Christoph Schlingensief wollte uns mit seinem „afrikanischen Virus infizieren“. Was heißt das? Brauchen wir Blutransfusionen von außen? Gibt es noch eine deutsche, eine europäische Kultur? Soll es sie noch geben? Oder ist sie eigentlich eurasisch statt griechisch und lateinisch? Ist es wesentlich, auf Unterschieden zu bestehen? Mit wem soll mein Kind in die Schule gehen? Wieviel Toleranz gegenüber Burkas bringen wir auf? Wie ehrlich ist das? Wie verlogen? Wie steht es bei schwindender eigener religiöser Bindung mit unserem Verhältnis zu anderen? Reduziert sich unsere Internationalität auf unsere gastronomischen Vorlieben? Es gibt bei Lessing den Satz: „Wir müssen, müssen Freunde sein.“ Ein Satz, der unendlich viele Fragen aufwirft. Kann man Freund sein müssen, ohne es zu wollen? Kann das Müssen zu einem Bestandteil des Wollens werden? Kann man es gar doppelt müssen? Brauchen wir nicht gerade die Differenz,- auch unter Freunden? Ist der Fremde nicht der wahre Freund, weil Stachel und Kreativzentrum in einem? - Ein unendliches Thema...Und man sitzt urplötzlich mitten im Schlamassel. Ein Schlamassel, über den viele der bedeutendsten Soziologen, Philosophen, Pädagogen und Schrifsteller von Jürgen Habermas bis Peter Sloterdijk, von Ulrich Beck bis zu Kwame Anthony Appiah, von Ilija Trojanow bis zu Navid Kermani derzeit in einer niveauvoll vielstimmigen Kakophonie nachdenken. Unsere Gegenwart ist mehr und mehr interkulturell. Überall hält sie Einzug, in der Gesellschaft, in der Politik, im Sport, auch in den intellektuellen Milieus. Und jetzt geht es darum, sie zu gestalten, aber wie? Wir wissen es nicht genau. Denn die Zeiten simpler Lösungen, seien es die einer Leitkultur oder eines fröhlich unbekümmerten Multikulti sind längst vorbei. Es ist auf gute Weise komplizierter geworden. Zur Zeit wachsen uns Dinge von außen zu, die uns bereichern, nicht berauben. Vielleicht sind die Nationalkulturen in gewissem Sinne auserzählt und das Fremde ist nicht länger Angstgegner, sondern Bereicherung... Es scheint fast so, als ob uns Weltläufigkeit von außen wieder zuwachsen könnte, nachdem wir sie im vergangenen Jahrhundert mit grotesker Effizienz eliminiert haben. Diesen Verlust an Fremden in der eigenen Gesellschaft, der für die Dynamik unserer Gesellschaft, auch für ihre Eliten- und Kulturbildung unverzichtbar ist, hat Deutschland nie verkraftet, einen Aderlass, den es sich selbst zugefügt hat. Es ist nicht verkehrt, sich dessen bewusst zu sein.
Aber was bedeutet all dies für ein Theater? Die Bewegungen in der Welt sind groß. Aber wir machen nur Theater. Und da wird es gleich ganz kümmerlich: Das Ensemble ist vorwiegend deutsch, die Sprache auf der Bühne ist meistens deutsch und die Texte, die wir spielen, weitestgehend europäisch. Kein indisches Nationalepos wie Mahabaratha , kein Gilgameshepos das wir authentisch vertreten könnten, kein Ballhaus Naunynstraße als Thalia-Dependance…Die Grenzen unseres Mediums und die eines Stadttheaters allemal sind beschreibbar. Deshalb haben wir uns ohne allzu konsequenten Starrsinn darauf konzentriert, auf der Bühne unser grundsätzliches Interesse an der Welt außerhalb unserer eigenen zu formulieren. Weltlust, Weltreisen, Weltreligionen, Weltmythen, Perspektiven im globalen Bereich und wollen den Blick auf Dinge jenseits der eigenen Nabelschnur richten. So kommen bei uns auch außerhalb unseres Festivals Stoffe ins Spiel, die sich weniger mit dem bürgerlichen Innenleben als mit den Visionen von großen Weltforschern und Welterkundern wie z.B. „Peer Gynt“ oder mit „Faust I“ und „Faust II“ beschäftigen, mit Fernlust und Weltweh, mit Weltlust und Weltzerstörung, mit UrMythen wie Parsifal, Artus oder Merlin. Den szenischen Auftakt zu diesem Interesse des Thalia-Theaters machte 2009 ein moderner Schelmenroman von Ilija Trojanow. Der Titel des Abends: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ – ein Satz, der es mir in seinem optimistischen Grundgestus von Anfang an angetan hat. Gesagt wird er in dem Theaterstück von einem neunundneunzigjährigen Mann, der seinen jugendlichen, von Weltekel heimgesuchten Enkel zu einer Fahrt mit dem Tandem um die Welt anstacheln will. Denn der alte Mann glaubt an die rettende Kraft der Phantasie...
Das Thalia-Festival
Aber nun, sehr verehrte Damen und Herren, zum Festival. Im Jahr 2007 habe ich Karin von Welck, der damaligen Kultursenatorin, die „Lessing-Tage“ vorgeschlagen. Ich fand das – ehrlich gesagt – selbst irgendwie seltsam und unsexy. Schließlich hat Lessing im Unterschied zu Shakespeare gerade einmal vier repertoirefähige Stücke geschrieben. Auch klingt Lessing ein bisschen sehr nach Gutmenschentum und gymnasialer Oberstufe. Nach kurzem Schweigen aber sagte Karin von Welck: „Warum ist da eigentlich vorher noch niemand drauf gekommen?“ Damit war die Sache entschieden und so gab es in Hamburg plötzlich die Lessingtage.
Sehr verehrte Jury, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für den Max-Brauer-Preis 2011! Mein Dank gilt außerdem der Alfred Toepfer-Stiftung sowie Mark Terkessidis für seine beeindruckende Laudatio. Außerdem möchte ich den zahlreichen Stiftungen danken, die uns bisher unterstützt haben! Schließlich gilt ein ganz besonderer Dank den vielen wunderbaren Mitarbeitern des Thalia Theaters, die das Festival mit viel Luft und Liebe ermöglicht haben. Durch ihre Arbeit.
Jetzt aber zum Festival selbst. Was fand da bisher statt? Und wie könnte es weitergehen? Ich will es Ihnen in groben Zügen vorstellen: Das Festival heißt „Um alles in der Welt – Lessingtage 2010“ bzw. 2011 und vielleicht auch 2012 . Das Festival dauert ca zwei Wochen und findet im Zeitraum zwischen Lessings Geburtstag Ende Januar (22. Januar) und Lessings Todestag Mitte Februar (15. Februar) statt. Der Erfolg der ersten beiden Festivals mit je 15.000 Besuchern und 60 größeren und kleineren Veranstaltungen in einem Zeitraum von nur 14 Tagen war bei Publikum und Presse auf Anhieb überwältigend.
Hierfür sind eine Reihe von Faktoren verantwortlich:
1.) Die Idee des Festivals ist, ausgehend von der mit Hamburg eng verbundenen Figur Lessing, das Lokale u n d das Kosmopolitische zusammen zu denken. Es ist uns ein sehr zentrales Anliegen, die kulturelle Identität Hamburgs durch den bewussten Rückgriff auf die Tradition zu stärken und Lessings Ideen von Aufklärung und Weltbürgertum für heute neu zu denken.
2.) Das Thalia-Festival versteht sich als Themenfestival und nicht als mehr oder minder beliebiges Sammelsurium. So etwas gibt es heutzutage kaum mehr, es ist einzigartig. Es widmet sich – wie vorhin skizziert - der zentralen Aufgabe einer zunehmend interkulturellen und kosmopolitischen Gesellschaft. Das entspricht Lessing, es entspricht dem Selbstverständnis von Hamburg, aber auch den Notwendigkeiten jeder Stadtgesellschaft im 21. Jahrhundert.
3.) Die Internationalität des Festivals. Sie bildet sich u.a. in den Gastspielen ab. Es gab Künstler aus Tel Aviv, St. Petersburg, Bogota, Brasilien, Peking, Estland und vielen vielen anderen Ländern. Es sind Gastspiele, die wir thematisch auswählen, Gastspiele, die geeignet sind, sich mit anderen Kulturen und ihrem Umgang mit interkulturellen Fragen zu befassen. Gastspiele, die auch den internationalen Teil der Hamburger Gesellschaft ins Theater ziehen. Und plötzlich öffnet sich das Theater auch für ein Publikum jenseits von Alster und Elbe und die Publikumsgespräche finden auf chinesisch oder russisch oder türkisch statt ... Ein zweites Standbein sind Gastspiele von den besten deutschsprachigen Theatern in Wien, Berlin, München oder Zürich, die interkulturelle und internationale Themen abbilden ebenso wie im letzten Jahr die erstmals stattfindenden Gastspiele von Tanzkompagnien.
4.) Es ist ein richtiges Festival und nicht nur eine Ansammlung von Gastspielen: Neben nationalen und internationalen Gastspielen gibt es Symposien und programmatische Reden, szenische Interventionen, soziale Initiativen und Partizipationsangebote , mit denen das Festival in die Stadt hineingeht, den Lessingtunnel erkundet, die Bewohner der Lessingstraße zusammenbringt etc.
5.) Das Thalia hat das Festival zwar initiiert, aber langfristig soll es nicht nur ein Festival für, sondern von Hamburg sein. Ein Melting Pot für Initiativen vielfältigster Art. Das Thalia als Gefäß. Und das Festival als soziales, lebendiges Gebilde. Schon jetzt arbeiten wir mit vielfältigen Initiativen, Aktivitäten und Organisationen der Stadt zusammen und sind koordinierendes Sammelbecken für ein Festival, das die Hamburger idealtypisch letztlich selbst ausrichten sollen. In der Sehnsucht, die Internationalisierung unserer Stadtgesellschaft zu gestalten und im Festival kulturell abzubilden. Hier gibt es Arbeiten aus den Soziotopen interkultureller Arbeit, aber auch soziale Aktivitäten, die das Grundanliegen des Festivals ganz konkret in die Stadt tragen.
Zum Beispiel haben wir tausende von Schülern angeregt, sich auf unsere Initiative mit Lessing und seinen Themen künstlerisch zu beschäftigen, und sie haben sowohl Zäune wie auch den Hauptmannplatz "belegt". Dann haben wir den Lessingpreis, den höchsten Staatspreis der Stadt Hamburg, der gleichwohl unbegreiflicherweise nur alle 4 Jahre verliehen wird und ein lächerliches Preisgeld ausweist, ausgerichtet. Und vieles mehr….
Eine Kooperation allerdings muss ich noch besonders erwähnen, es ist die mit der Hamburger Akademie der Weltreligionen. Mit ihr zusammen veranstalten wir die „Lange Nacht der Weltreligionen“- ein Juwel des Festivals. Hier wird eine zentrale Kulturinstitution der Stadt, wie in diesem Fall das Thalia, zu einem Ort, wo sich die Stadtgesellschaft in ihrer realen, über das Bürgertum hinausgehenden Vielfalt zusammenfindet. Hier kommen das Soziale und das Kulturelle zusammen, die Breitenwirkung und die Hochkultur, das Deutsche und die internationale Vielfalt unserer Stadtgesellschaft. Hier wird der Bürger als Citoyen erreicht und nicht nur als bourgeois. Schließlich wird hier eine säkulare Institution zum Ort der Auseinandersetzung mit dem Sakralen. Mit Christentum, Islam oder Judentum, mit Hinduismus oder Buddhismus. Und nicht selten sitzen bei mir im Büro Theologen, die sich fragen, warum das so erfolgreich ist… Hier hat sich am deutlichsten das ereignet, wovon ich träume.
Unser Festival denkt das Soziale und das Kulturelle zusammen. Es ist nur dann mehr als eine Eintagsfliege, wenn es versucht. sich tief in der Stadt zu verankern, und das Soziale und das Kulturelle, ja auch das Hochkulturelle zusammen zu denken. Deshalb finde ich es sinnvoll und für das Thalia eine Ehre, dass heute zwei auf den ersten Blick vollkommen ungleiche Preisträger zusammengefasst werden, und wir den Preis gemeinsam bekommen mit der Initiative „Impuls Mitte“, einer Initiative, die soziale Gemeinschaft von unten und vor Ort ermöglicht und organisiert.
Dieses Denken, nämlich das Kulturelle und das Soziale zusammen zu denken, war übrigens auch das eines der wesentlichsten Bürgermeister unserer Stadt: das Denken des sozialdemokratischen Bürgermeisters Max Brauer. Er übersprang mühelos den heute oft so schwierigen Unterschied zwischen einer minderheitsverdächtigen sogenannten Hochkultur wie dem Thalia-Theater und der sozialen Breitenwirkung eines Volksparkstadion. Er – selbst aus armen Verhältnissen stammend - umarmte beide. Ohne Max Brauer und Kurt Körber wäre das Thalia heute eine Kriegsruine anstatt eines der wesentlichsten Theater des deutschen Sprachraums.
Vielleicht ist der heutige Nachmittag ja eine mögliche Initialzündung für eine Kooperation mit „Impuls-Mitte“. Denn das Ziel, die Bürgergesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt zusammenzuführen, verbindet uns offenbar. Ganz im Sinne des aufklärerisch-idealistischen Freundschaftsbegriffs, der komplexer ist als man vielleicht glaubt.
Zum Auftakt des ersten Festivals 2010 hielt Ilija Trojanow eine große, Maßstäbe setzende programmatische Rede über "Weltbürgertum heute". Er hat uns darüber aufgeklärt, dass Lessings Ringparabel, von einem Juden erzählt und fester Bestandteil der so genannten deutschen Leitkultur, eigentlich aus dem italienischen Decamarone stammt, und wenn man länger und tiefer forscht, eigentlich aus dem asiatischen Raum … – soweit zur Absurdität einer abendländischen Leitkultur. Ihre Genese ist zwar einerseits lateinisch und griechisch, andererseits aber arabisch und asiatisch.
Wie geht es weiter mit dem Festival?
(Geld) Sehr geehrte Damen und Herren, die Aumerksamkeit für unser Festival ist groß. Offenbar trifft es ins Herz der Gesellschaft. In Wahrheit aber hat es noch Eischalen, ist erst am Anfang. In Wahrheit ist der heutige Preis weniger Ehrung für die Vergangenheit als Verpflichtung und Ermutigung für die Zukunft. Jetzt muß das Baby laufen lernen. Viele kommen auf uns zu, wollen mitarbeiten, Ideen beisteuern, das Festival verbreitern.
Aber – und hier gilt es einen sehr schwierigen Punkt anzusprechen – es gibt trotz zahlreicher Förderer keine solide Grundfinanzierung. Es braucht Hebammen, Geburtshelfer, Paten und Ammen. Und vielleicht auch einen ärztlichen Notdienst. Denn heute – und hier muß ich selbst tief durchatmen – ist die Deadline, der Tag, an dem ich entscheiden muß, ob es das Festival weiterhin gibt oder eben nicht. Denn es besteht zwar, wie vorhin schon gesagt, in Vielem aus Luft und Liebe, aber ohne Geld geht es nicht. Bis gestern Abend um 22 Uhr stand alles auf des Messers Schneide. Meine größte Sorge: heute hier als Beerdigungsunternehmer geehrt zu werden für etwas, dessen Abschaffung ich bekannt zu geben habe. In meinem Redemanuskript gibt es zwei Varianten Variante 1) Wir müssen das Festival abschaffen. Dennoch will ich Ihnen erzählen, wie es hätte weitergehen sollen. Variante 2.) In den letzten Stunden hat man uns – buchstäblich in letzter Sekunde - unter die Arme gegriffen. Ich bin zugegebenermaßen etwas erschöpft, aber auch sehr glücklich, dass es auch so ist. Zusätzlich zu den bisherigen Unterstützern wird das Festival nun durch weitere und aufstockende Anstrengungen der Körberstiftung, der Zeitstiftung und der Alfred Töpfer Stiftung ermöglicht. Besonderer Dank aber gilt auch dem Feuerwehreinsatz unserer Kultursenatorin Barbara Kisseler. Liebe Frau Kisseler, sie können heute nicht hier sein, aber ich hoffe, dass Ihnen mein Dank übermittelt wird. Wir haben es geschafft, wenn auch auf den allerletzten Drücker. Die Gelder, die da in letzter Sekunde geflossen sind, sind hilfreich, ausreichen tun sie noch nicht, und ich hoffe von unverhoffter Seite auf weitere Unterstützung. A la longue aber braucht es –dies sei auch klar und deutlich gesagt - eine solide und dauerhafte finanzielle Grundlage,- nicht nur für uns, sondern für die Festivallandschaft in Hamburg überhaupt.
Perspektive für die Zukunft
Wenn ich mir jenseits von Preisen etwas wünschen darf, dann dass das Festival sich künftig vom Mutterhaus Thalia ausgehend wie ein Rhizom über die Stadt zieht, von Kampnagel über das Thalia bis zur Elbphilharmonie, dem St. Pauli-Theater, dem Schauspielhaus und der Kulturfabrik in Altona, so dass Hamburg am Ende auf diesem listigen Umweg doch noch das bekommt, was es sich seit Jahren vergeblich ersehnt: das große Hamburger Theaterfestival. Ein Festival für Hamburg. Ein Festival der Hamburger. Das Festival würde sich vom Thalia lösen und ebenso wie die bestehenden Festivals in einem größeren Zusammenhang aufgehen, in einem großen Theater-, Musiktheater- und Konzertfestival. Der Traum, den Hamburg ein Jahrzehnt lang mit der Triennale träumte, würde wahr und es entstünde ein „verstetigtes Alleinstellungsmerkmal“, wie die politische Verwaltung es ausdrücken würde. Die Handelskammer würde es freuen. Hamburg würde danken. Und übrigens auch die Bettenindustrie, die dann mit oder ohne Kulturtaxe glücklich würde… Es wäre ein Festival, das über das Theater hinausgeht, das in die Stadt hineinwirkt, die Stadt nach außen strahlen lässt. Wie die Wiener Festwochen, Avignon oder das Edinburg Festival. Ob es dann Festival der Kulturen oder Hamburg und die Welt oder Hamburger Festwochen oder Ein Festival für Hamburg heißt, mögen Marketingstrategen entscheiden, sofern sie den Grundgedanken nicht aus dem Blick verlieren. Er kam einmal von Lessing, den man aus Hamburg vertrieben hat, weil er im Postkutschenzeitalter als Kosmopolit unterwegs war…. Liebe Frau Kisseler,auch wenn Sie heute nicht hier sein können: ich fürchte, das war ein Vorschlag!
Schluss:
„Hamburg ist nicht das Tor zur Welt, sondern eine klapprige Pforte zum Nichts“, schrieb vor einem Jahr ein Journalist pointensicher in der FAZ. Daß die Formulierung lustig ist, heißt noch nicht, dass sie stimmt. Allerdings leider auch nicht, dass sie nicht stimmt. Anstatt an Journalisten halte ich mich lieber an die Wirtschaft. Wenn der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft sagt, Kultur sei Hamburgs zweiter Hafen, wird sie – auch ökonomisch – gute Gründe dafür haben. Wenn die Hamburger Handelskammer seit kurzem einen Masterplan fordert, um die Spitzenposition Hamburgs in der Kultur auszubauen, wird sie ebenfalls gute Gründe haben – auch ökonomische. Und am vergangenen Wochenende hat Bürgermeister Olaf Scholz, wie Max Brauer Sozialdemokrat, in einem bemerkenswerten Artikel in der „Welt“ geschrieben:„Städte sind Laboratorien der Moderne. Geburtsstätten des Neuen. Und deshalb sind sie etwas Mut machendes. Langsam beginnen wir in Hamburg, diese kreative und innovative Seite des Stadtlebens wieder in den Vordergrund der Diskussion zu stellen. Unsere Stadt hat geographisch, wirtschaftlich und kulturell die Chance, zu der deutschen Metropole zu werden.“ Das sind Worte, wie sie in Hamburg lange nicht zu hören waren. Sehr verehrter Bürgermeister, das freut uns, das ist sehr, sehr viel Wert – und wir setzen darauf, dass den Worten Taten folgen! Und nehmen Wirtschaft und Politik gern in die Pflicht. Denn was passiert, wenn man in der Kultur eine offene Flanke hat, haben wir alle gemeinsam im letzten Herbst erlebt…
Vielleicht könnte das oben skizzierte, größer gedachtes Festival, das über die Kultur hinausgeht und die Gesellschaft als Ganze sucht und erfaßt, für Hamburg eine gute Idee sein. Wien, Berlin, Salzburg, Avignon oder Edinburg leben es vor.… „Fragen Sie mich nicht, auf was ich nach Hamburg gehe. Eigentlich auf nichts,“ sagte im 18. Jahrhundert kein Journalist, aber einer, der auch nur drei Jahre blieb: Lessing. Beantworten wir es ihm heute so, daß er bleiben können könnte. Und vielleicht sogar gerne bliebe. Dann dürfen die Tauben am Gänsemarkt von mir aus auf sein Denkmal koten, soviel sie wollen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass Lessings Licht leuchtet, es ist das Licht der Aufklärung, wir brauchen es. Der Hamburger Himmel mit seiner Nähe zum Meer – er möge leuchten wie sonst nirgends!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Joachim Lux