Der global
isierte Unte
rhändler

Es kommt von weit her, es ist fremd.

 

Eine Kultur, die sich von der unseren um Längen unterscheidet. Eine andere Sicht auf die Welt und die Befürchtung man würde es vielleicht nicht verstehen.
Ich hatte etwas anderes erwartet und zugegeben, habe ich ein wenig den Glauben verloren. „Der Unterhändler“, das Gastspiel aus Peking, inszeniert von der chinesischen Theaterlegende Lin Zhaohua verstört meine Illusion der Fremde und lässt mich vermuten, dass wir Menschen uns erstaunlich ähneln, ganz gleich wie viel Meilen zwischen uns liegen. Ein superminimalistisches Bühnenbild, eine omnipräsente musikalische Begleitung, eine Geschichte von großer Klarheit, zeitloser Thematik und eine erfrischenden Komik und Selbstironie.
Der Unterhändler „Zi-Gong“, überzeugend gespielt von Pu Cunxin, einem chinesischen Fernsehstar wird von seinem Meister Konfuzius ausgesandt den kleinen Staat Lu vor dem Untergang zu bewahren und die Belagerung durch den benachbarten Staat Qi abzuwenden. Ein großes Hin und Her beginnt, wobei der Unterhändler gekonnt intrigiert und sämtliche Staaten aufeinander hetzt. Während die Lage eskaliert und drum herum alles und jeder im Wulst der Intrigen zu versinken droht, bleibt der kleinste und schwächste Staat Lu verschont. Es stellt sich also eine Frage der Moral: Wie weit kann Zi-Gong gehen, um das eigene Land zu schützen. Eine zentrale Frage der Menschheit, der Politik, auch in Europa, auch in Deutschland. Besonders auffällig ist die große Ambivalenz zwischen bitterem Ernst und einer teilweise schon banalen Albernheit, die im ersten Moment zu dick aufgetragen scheint, im Gesamtkontext jedoch wieder absolut Sinn macht. Eine Atmosphäre entsteht, die es einem, trotz rasender Übertitel nicht schwer macht zu verstehen oder besser gesagt zu fühlen, was vor sich geht. Bis auf eine unpassende Gesangseinlage in Musicalästhetik tut die Musik ihr übriges und verstärkt den Sog des Stückes, der einen einmal verschluckt, nicht mehr auszuspucken mag. Es ist vielleicht genau die Gradwanderung zwischen Ernst und Ironie, die einem den leichten Zugang zum Stück ermöglicht und es ist erstaunlich, dass nach Ende der lustigen eineinhalb Stunden einem ein universeller Konflikt vor der Linse klebt und man als Zuschauer um das Nachdenken doch nicht herum kommt, wie man zwischenzeitlich hätte vermuten können.
An diesem Abend habe ich ein Stück gesehen, in einer Art Esperanto der Theatersprache, dass mir China und die ganze Welt ein Stück näher gebracht hat. Im Vorfeld des Stückes schwebte mir das Attribut „anders“ vor. Im Nachhinein kann ich dies nun durch „ähnlich“ ersetzen, denn auch auf der anschließenden Party in der Thalia Zentrale konnte ich eine große Gemeinsamkeit in Sachen Tanz und Alkoholgenuss zwischen dem chinesischen Ensemble und den hamburgerischen Eingeborenen feststellen. Es lohnt sich, sich vom Unterhändler um den Finger wickeln zu lassen!


Akin Sipal