Anderse
n. Trip zwis
chen W
elten

„Mängel haben wir alle, aber man hat doch auch Begabung.“

Es ist ja so, dass ich nicht unbedingt der Typ bin, der mit Märchen etwas anfangen kann - das liegt vielleicht an meinem tiefsitzenden Misstrauen gegenüber bewusstseinserweiternden Drogen. LSD oder Ecstasy empfand ich nicht nur immer schon als Hippiequatsch, nein, viel grundsätzlicher ist mir an den Drogen die Einschränkung des Bewusstsein das Liebste – erweitern kann ich selbst und meist will ich auch gar nicht.

Ich tue gerne was man mir sagt und es wurde mir gesagt, ich müsse das Programmheft nicht nur kaufen, sondern auch vor Vorstellungsbeginn gewissenhaft durcharbeiten, sonst ginge die Hälfte an mir, dem Andersen- und Drogenskeptiker, vorbei. Gut. „Das ist aber nicht das Bühnenbild, oder?“ frage ich ein wenig nervös meine charmante Begleitung, nach dem ich beim Blättern auf mehrere Bilder gestoßen bin, die mich stark an Tim Robbins, Johnny Depp und diesen gruseligen Schokoladenfilm erinnern. „Doch!“ sagt sie und legt ihre Hand auf mein Knie. „Oh Gott!“ sage ich und lege das Heft beiseite. Ich bin nervös. Zeit genug, das Publikum zu studieren. Das ist interessant. Es ringt mir einiges an Bewunderung ab, dass es diese Bürgerlichkeit, die sich hier den Weg in den Saal bahnt, überhaupt noch gibt und dass eben dieses Publikum sich etwas anschaut, das ich mir anschaue, weil mir jemand gesagt hat, ich müsse mir das mal anschauen. Das Publikum beruhigt mich, die Gespräche, deren Fetzen ich aufschnappe, beruhigen mich, einzig die schräg vor mir sitzende, sagen wir, expressiv parfümierte Dame nimmt mir ein wenig den Atem. Das ist gut mit dem Publikum, da scheint etwas verhandelbar und alle machen den Eindruck, als würden sie sich einlassen, zumindest einlassen. Das ist nicht so ein Gesinnungspublikum, wie ich es häufig vorfinde, das sich meist nur in der eigenen Haltung verstärken will und da ist, weil andere da sind und das hören, was sie hören wollen und alles andere nicht verstehen wollen oder überhören oder für einen Versprecher halten. Und während ich so im Romantischen schwelge, applaudiert das Publikum den Musikern zu, die die Bühne betreten: Carsten „Erobique“ Meyer und Matthias Strzoda. Hemd, Krawatte, Hosenträger und rote Strümpfe. Der rote Vorhang öffnet sich und bei aller Skepsis ist das ein ganz schönes Bild, das sich da auftut: Die glatte, kunstvoll gearbeitete Bühnenbildwand und die beiden Musiker rechts hinter ihren Instrumenten mit dem Charme der unprätentiösen Könnerschaft zwischen Variété, Saloon und biererprobten Familienfesten mit gepflegter Unterhaltung. Ein Schauspieler klettert an der Wand, ein anderer spricht seinen Text und das Publikum lacht. Warum lacht das Publikum? Ist man auf eine radikale Weise amüsierwillig? Liest man bereits im anspielungsreichen Stück? Sind die Verweise bereits erkennbar? Haben alle das Programmheft gelesen? Oder ist es einfach die Freude darüber, dass sich in dem Klettern, in dem Sprechen und in den Kostümierungen, eine Kompetenz und ein Theater zeigt, das wirklich Theater sein will? Ich habe meine Probleme mit diesem Theatersprech, mit dieser Kunstfertigkeit, die mich an Orte entführen will, die ich nicht kenne und auch eher nicht besuchen will.

Es dauert nicht lange, dann kommt der erste Song: Schalalala, 1000 Lichter, Töne wie Leichen. Die Sache gewinnt an Fahrt, wird sogar interessant, weil sich die Musik, die Tonalität, die Melodien und Texte mit dem was zu sehen ist auf eine eigentümliche Weise verbinden. Als ich dann - erst gesprochen, dann gesungen - Hildegard Knefs wunderbares Lied „Ich bin zu müde, um schlafen zu gehen“ erkenne, verlangt es mich nach einer Zigarette, einem Salamibrot mit Gürkchen und einem Bier, denn aus dem Theater gebiert sich zusehends eine Nummern-Revue, die durch die Geschichte des sich verselbstständigen Schattens von Hans Christian Andersen ver- und gebunden wird. „Chamisso“, sagt meine Begleiterin anschließend, „Adelbert von Chamisso hat 1813 Peter Schlemihls wundersame Geschichte aufgeschrieben und da geht es auch um einen Schatten. Schlehmil verkauft seinen Schatten und wird damit unendlich reich.“ Sie beteiligt sich mit diesen Sätzen an einer vitalen Diskussion, die vor dem Theater stattfindet: Gemeinschaftlich tragen die Besucher ihre Informationen zusammen. „Es war einmal eine stolze Teekanne“ hebt eine Dame in Abendrobe an,“ stolz auf ihr Porzellan, stolz auf ihre lange Tülle, stolz auf ihren breiten Henkel; sie hatte etwas vorne...“ Die gesellige Runde lacht und eine andere Dame fasst präzise zusammen: „Guck, so tragen wir jetzt alle unser Wissen zusammen... so ist das ja auch gedacht.“ Da ist eine gute Stimmung vor dem Theater und der Abschlussapplaus dauerte seine Zeit und irgendwie hat da etwas funktioniert, was sich mir nicht ganz erschließt. Die Spur von Chamisso verfolge ich weiter. Andersen und er kannten sich und die Geschichte Der Schatten, die das Rückgrat des Abends bildet, ist dreißig Jahre nach dem Schlemihl veröffentlicht worden. Aha, denke ich, das meint dieser Moment in dem der Schauspieler sagt, die Geschichte sei bekannt. Ich bin kein Detektiv und so gebe ich mich mit ein paar Stichproben zufrieden. 4 von 20 Textfragmenten, die ich mir als besonders aufgeschrieben habe, haben ihre Quellen, die anderen prüfe ich nicht mehr, da hat sich einer Gedanken gemacht und das kann man dann auch mal so hinnehmen. Und auch wenn sich mir die Begeisterung verschließt, gibt es doch eine Reihe Lieblingsmomente, die ich mir notiert habe: Bruno Cathomas als eine Art Liberace ohne Klavier, der sich vor dem Video-Bild seiner Nacktheit inszeniert und auf wunderbare Weise eine Beziehung mit den Musikern herstellt. Die vielen guten Momente von Karin Neuhäuser, die die Musiker auch nutzt, um sich in ihrer Rolle und Position zu verstärken und in dieser wunderbaren Betonung spricht, bei der man am Satzende die Stimme hebt und nicht senkt. „Gründgens, Knef, Mephisto“ sagt meine Begleiterin, die in dieser Betonung das Stilmittel des Diabolischen ausmacht. Und dann gibt es auch viele Sätze die einrasten: Man hat doch auch Begabung. Wäre ich früher doch nur jung gewesen. Der Mensch kann unglücklich und zugleich zutiefst affektiert sein. Man gibt kein Geld aus für jemanden der nicht stehen kann. Und dass die Poesie gegenüber wohnt und dass man dort in drei Wochen alles sieht, sogar soviel sieht, dass man die Frage, was man gesehen hätte, als Kränkung empfindet, weil alles eben alles ist, auch das ist gut. Und dass der Schatten reich wird und der Gelehrte stirbt, auch das fasst mein verkrampftes Herz an und nebulös finde ich mich da wieder, nur eben ohne Reichtum und Gelehrtsein.

Aber spricht da am Ende wirklich der eine Schatten den anderen mit seinem richtigen Namen an? Werden da wirklich die Schauspielerbiographien im Nebensatz zum realen Element erhoben? Nun hatte ich mich daran gewöhnt, dass unter allen Schatten die da auf der Bühne stehen, zumindest eines klar ist: es wird etwas dargestellt. Und dann soll der Schauspieler doch noch eben mal reale Person sein? Das verstehe ich dann nicht mehr und dann wünsche ich mir doch entschiedener eine Revue, bei der das Publikum die Könnerschaft beklatschen kann und Schauspieler Schauspieler oder Artisten sind. Oder eben ganz anders, aber das ist vielleicht dann nichts für die große Bühne.

Armin Chodzinski ist Performancekünstler und Publizist. Er wohnt in Hamburg.
http://www.chodzinski.com