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Dorothea Grießbach, Filmemacherin und Koordinatorin des Interdisziplinären Zentrums "Weltreligionen im Dialog" zu "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall"

... und Rettung lauert überall“. Ist es Zuversicht, die der Theaterbesucherin, dem Theaterbesucher am Ende mit auf den Weg gegeben wird? Zumindest betritt das Publikum mit dem Theater einen anderen, neuen Raum und kann sich im Laufe von drei Stunden treiben und von Themen konfrontieren zu lassen, die für den Großteil des herkömmlichen Theaterpublikums wahrscheinlich fremd sind. Es geht um Flucht und Grenzen, es geht um eine in Teilhabe und Nicht-Teilhabe getrennte Welt. Gleichzeitig zeigt es Schlupflöcher, die da sind, wenn man sich nur um sie bemüht. Und dazu sind Mut, Kreativität, Glück, oder auch die Kunst der Selbstironie gefragt. Spielen, als Leben spendender, transitorischer Akt, durchzieht dabei in den unterschiedlichsten Facetten das ganze Stück.

Mit dem Betreten des Theaterraums ist das Publikum sofort einbezogen. Es geht an einem hoch gewachsenen Maisfeld entlang. Davor sitzen an einem Tisch zwei Männer. Sie sind versunken in ein Würfelspiel. Erst als jeder Zuschauer, jede Zuschauerin den Platz gefunden hat, wenden sich die beiden Spieler um, blicken erstaunt in das Publikum, das mit seiner ganzen Präsenz den Raum ausfüllt. Theater. Kein Vorhang trennt, schwarze Bühne, grelle Scheinwerfer, farbige Kostüme. Schnell wird deutlich, dass nicht nur das Spiel auf der Bühne, sondern ebenso das Theater als Ort des Spiels thematisiert werden. Ist’s der Kartenabreißer, ist’s die mit beleuchtetem Pult in der ersten Reihe sitzende Souffleuse – das Theater als künstlicher Ort wirkt mit. Am Rande sitzen Musiker und kommentieren voller Spiellaune. Von einer Welt in die andere – rite de passage – Grenzen überschreiten. Grenzüberschreitend ist auch die Umsetzung: mit dokumentarischen Videoaufnahmen oder Szenen aus einer Fernsehshow wird das Theater interdisziplinär.

Seine eigene Geschichte aufarbeitend, nahm sich der Autor Ilija Trojanow der Flüchtlingsthematik vom Ostblock in den Westen an. Fünf Schauspieler – drei Männer, zwei Frauen – und zwei Musiker führen durch verschiedene Stationen einer Flucht. Rückblicke auf längst Geschichtsgewordenes, erzählt in mehreren Episoden. Ausgangspunkt ist das kommunistische Bulgarien der sechziger Jahre, das unerträglich beengend wahrgenommen wird. Die Flucht lässt den Jungen Alex mit seinen Eltern in der Hafenstadt Triest, dann in einem Flüchtlingslager landen. Sprüche fallen wie „rein ist’s leichter wie raus“ oder „Europa ist voll“. Plötzlich ist die Farbigkeit verschwunden, die Kleidung schwarz-weiß und ein neues Spiel entsteht: „Wie bist du geflohen?“

Spielen bleibt ein wesentliches Moment und ist schließlich der Schlüssel zur im Titel angekündigten Rettung. Alex, mittlerweile erwachsen geworden, findet sich schwer depressiv in einer Berliner Wohnung wieder, zwar in Freiheit, aber klaustrophobisch in eine Matratze gewickelt, geistig und physisch zur Unbeweglichkeit verdammt. Neue Grenzen tun sich auf. Da kann auch keine Stimme vom Anrufbeantworter, die Alex für einen Übersetzerjob gewinnen will, helfen. Erst ein alter Bekannter seiner Eltern aus Bulgarien, ein Spieler, ein Mann der großen Sprüche, ein Lebenskünstler, holt Alex wieder ins aktive Leben zurück. Mit Spielen. Und da beginnt vielleicht auch der stärkste Teil des Stücks. Mit viel Wortwitz und einfachen, aber wirkungsvollen szenischen Einfällen kommt es an im Hier und Jetzt, gewinnt an Tempo und eine neue Verbindung zwischen Bühne und Publikum entsteht. Alex wird wieder Mut gewinnen und vielleicht in Zukunft das einlösen, was die Migrationsforschung längst postuliert: Dass Migrantinnen und Migranten der Gesellschaft einen wertvollen Beitrag leisten können. Schließlich sind sie es, die mit ihrer Auswanderung Mut, Flexibilität und Entschlossenheit zeigen und damit all die Eigenschaften mitbringen, die jede Gesellschaft braucht.

Doch zurück zu Alex und seiner Geschichte: Wer meint, Alex’ Absturz in die Depression läge an Flucht und Heimatlosigkeit, wird im Laufe des Stücks eines Besseren belehrt: Der frühe Unfalltod seiner Eltern ist viel wahrscheinlicher dafür die Ursache. Dass ihn letztendlich ein Mensch aus seinen ganz frühen Kindertagen dieses Trauma lösen lehrt, schließt den Kreis. Die Heimat, auch in einem neuen Umfeld, wird man wohl nie los. Und in diesem Falle ist das auch gut so.

Dorothea Grießbach ist Filmemacherin und Koordinatorin des Interdisziplinären Zentrums "Weltreligionen im Dialog", Hamburg