Stadtgespräch

Anlässlich der Premieren von Die Wut, die bleibt und Porneia traf sich unser Art Director Johannes Erler mit der Feministin und Kampagnenmacherin Stevie Schmiedel zu einem Gespräch über FEMINISTISCHEN WIDERSTAND.

Wir dürfen uns nicht verbeißen

STEVIE SCHMIEDEL: Schon gehört? Brosius-Gersdorf ist raus!  

 

Mit viel Schwung kommt Stevie Schmiedel in den Raum, in dem das Gespräch stattfinden wird. Wir kennen und duzen uns. Gerade gab es die Meldung, dass die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur für eine der drei neu zu besetzenden Bundesverfassungsgerichts-Stellen zurückgezogen hat. Dem vorausgegangen war eine Kampagne rechter Netzwerke gegen Brosius-Gersdorf, auch weil sie sich für eine liberale Transformation der Abtreibungsregelung ausspricht.

JOHANNES ERLER: Hab’s gehört. Vor ein paar Tagen hast Du auf Instagram den Anfang vom Ende beschworen, wenn das passiert.

SCHMIEDEL: Dieser Erzbischof Grössl hat sie als »Abgrund der Intoleranz« beschimpft. Als wenn sie eine moderne Hexe wäre, keine versierte Juristin, es ist zum Heulen. Und lauter Honks tippen das ihm nach ins Netz. Es ist die Hölle. Aber das gibt es leider auch von links. In Berlin hat die tolle NGO Zentrum für feministische Außenpolitik aufgegeben nach einem heftigen, linksextremen Shitstorm. Alle, die schon mal in einem Shitstorm drinstanden, auch jetzt Brosius-Gersdorf, die wissen, dass man das nicht ewig aushält. Und das macht mich wütend. Weil wir starke Frauen und Frauennetzwerke so sehr brauchen!

ERLER: Kommst Du schnell in die Wut?

SCHMIEDEL: Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Ja, ich werde schnell wütend. Es wird gerade ein bisschen besser in der Postmenopause (lacht).

ERLER: Du merkst das körperlich?

SCHMIEDEL: Ja, das ist spannend, dass Du das fragst. »All the world’s a stage«. Es ist einfach so, dass gerade wir Frauen in den verschiedenen Stadien unseres Lebens Wut unterschiedlich empfinden. Die jugendliche, gerade erblühende Wut junger Studentinnen, die im ersten Semester Genderstudies studieren. Kenne ich. Schlimm wird es, wenn Du Mutter wirst und erlebst, wie Du als Frau nicht vorankommst, während Dein Mann gemütlich nach oben zuckelt. Kenne ich auch. Und kurz vor der Menopause braust die Wut nochmal richtig auf. Ich habe ja Pinkstinks nicht zufällig mit 40 gegründet und zwischen 40 und 50 ohne Ende Schlachten ausgefochten.

ERLER: Pinkstinks Deutschland ist die von dir 2012 gegründete Organisation, die vor allem digital gegen Sexismus und Antifeminismus aktiv ist. Seit vielen Jahren schon eine der reichweitenstärksten feministischen NGOs.

SCHMIEDEL: Genau. Die Arbeit bei Pinkstinks war oft von Wut geleitet. Und dann, das ist bei vielen Frauen so, kommt die Postmenopause und man sieht die Dinge etwas anders, kommt ein bisschen runter. Hold your Horses! Das ist spannend und deshalb musste ich an das Shakespeare-Zitat denken. Ich glaube, dass diese postmenopausale Ruhe in dieser aufgepeitschten Welt gerade dringend gefragt ist. Wir haben aber auf Social Media die jugendliche Wut überrepräsentiert. Und die große Frage ist gerade: Wie gehen wir damit um?

ERLER: Aber als Jugendliche hast Du diese Wut doch auch so stark empfunden, oder? Übrigens ganz so, wie es in Mareike Fallwickls Roman Die Wut, die bleibt beschrieben ist, was auch gerade am Thalia Theater zu sehen ist.

SCHMIEDEL: Oh ja. Ich bin in einer konservativen Welt aufgewachsen. Mein erster Eindruck waren diese Frauenmagazine, die bei uns rumlagen, und die immer nur gezeigt haben, wie wir Frauen zu sein haben. Ich habe von einem Magazin geträumt, das uns stärkt.

ERLER: Sowas wie »Missy«?

Wieder so ein Wutmoment

SCHMIEDEL: Sowas hätte ich als Jugendliche gefeiert. Das war wohl meine Reaktion auf mein Elternhaus. Da war ich die Anstrengende, die grüne Feministin und alle waren genervt. Ich bin dann nach London gegangen und bin auf die Genderthemen gestoßen. Ich kannte das noch gar nicht, aber wusste sofort: Das ist es! Und mit dem Studium kam noch mehr Wut. Nur konnte ich die erst nicht kanalisieren. Demos waren nicht so meins. Später nach der Promotion meine Lehrtätigkeit, die fand in geschlossenen, akademischen Räumen statt, das hat mir auch nicht gefallen. Und dann war es wieder so ein Wutmoment. Ich habe wegen einer aus meiner Sicht frauenfeindlichen Außenwerbung einen Brief an die ZEIT geschrieben und den hat eher zufällig eine Frau in der Redaktion gelesen, die ihn wichtig fand. Dann gab es ein Interview und massenhaft Post. Viele haben mich ermutigt, eine Organisation zu gründen.

ERLER: Da war die Wut hilfreich, weil sie dich in die richtige Richtung geschupst hat.

SCHMIEDEL: Ja, vor allem, weil ich mit der Wut anscheinend nicht alleine war, auf einen Nerv traf. So entstand Pinkstinks.

ERLER: Ab wann ist man denn Aktivist*in? Ab wann kamst Du von der Wut in die Aktion?

SCHMIEDEL: Das Wort Aktivist*in ist schwierig. Ist genau so wenig geschützt wie das Wort Genderforschung. Es gibt ein Schul-Arbeitsheft gegen Sexismus von mir, das an Schulen bundesweit eingesetzt wird, da steht »Werde noch heute Aktivist*in!«. Wenn Du als junger Typ deinen Buddies sagst, dass die mal mit diesem peinlichen Lockerroomtalk aufhören sollen, bist du Aktivist. Oder die Mutter, die zu anderen sagt, dass sie diesen ganzen rosa-Lillyfee-Bullshit nicht mehr mitmachen will, die ist auch Aktivistin. Ich sehe mich eher als Kampagnenmacherin und Kommunikationsberaterin.

ERLER: »Jedem Zauber liegt ein radikaler Anfang inne«. Das ist der Titel Deines aktuellen Buches und da sind sie wieder, diese Lebensphasen, denn das Zitat ist ja eine Abwandlung des Hesse-Zitats aus dem Gedicht »Stufen«. Mich interessiert daran aber auch der Begriff der Radikalität. Wie weit darf feministischer Widerstand gehen? Wie radikal darf er sein?

SCHMIEDEL: Das kommt darauf an, wo wir gerade stehen. Als wir 2009 mit dem Netzfeminismus anfingen, lebten wir in einer ziemlich satten, stabilen Gesellschaft. Deutschland döste so vor sich hin, auch der Feminismus. Dann kamen die ersten Netzfeministinnen und nahmen ganz viele Frauen mit. Auch wir starteten Pinkstinks und der Name sagt es ja schon: Wir haben Stunk gemacht! Wir waren laut. Große Demos. Coole Leute. Es war witzig. Und es war radikal. Sowas gab es vorher noch nicht. Du siehst heute kaum noch sexistische Werbung und das ist auch unser Verdienst. Wir haben biestige Aktionen gegen Werbeagenturen gefahren, haben die bloßgestellt – und die haben uns dann zu Diskussionen eingeladen. So haben wir Dinge verändert. Es musste so laut und radikal sein.

ERLER: Hätte sich der Feminismus nicht auf sanftere Weise genau so entwickelt? Ganz einfach entlang von Vernunft und Einsicht?

SCHMIEDEL: Auf gar keinen Fall! Dafür ist das patriarchale Narrativ viel zu mächtig. Diese Vorstellung von einer »natürlichen Ordnung«. Wir kommen auf die Welt und nichts ist wichtiger, als das Geschlecht. So ein süßes Mädchen! So ein starker Junge! Das ist das Narrativ, auf dem die Welt gebaut ist. Nur bringt das die Welt heute kein Stück mehr weiter. Und trotzdem ist es so schwer, sich, uns daraus zu befreien. Das geht nicht von selbst, das ist ein harter Kampf. Und der wird gerade wieder noch härter.

ERLER: In deinem Buch lässt Du aber den Eindruck entstehen, dass zu viel netzaktivistische Radikalität heute nicht mehr hilfreich ist.

 

WIR HABEN DEN KIPPPUNKT VERPASST

SCHMIEDEL: Wir haben den Kipppunkt verpasst. Nicht nur ein deutsches, sondern ein globales Phänomen. Kennst du den rechten Schlachtruf »Go woke, go broke!«? Das bahnte sich schon 2015/16 an. Mit der Flüchtlingskrise, dem Erstarken des rechten Populismus überall auf der Welt. Dann kam die Pandemie. Und die extreme Rechte wurde stärker und stärker, auch bei uns. Damals habe ich zum ersten Mal gedacht: Jetzt müssen wir aufpassen, dass es nicht kippt. Schon zu diesem Zeitpunkt und bis heute dominieren in der eher jungen, netzfeministischen Szene in Deutschland queerfeministische und intersektionale Themen.

ERLER: Mit Intersektionalität ist gemeint, dass sich verschiedene Formen von Diskriminierung und Unterdrückung gegenseitig verstärken können. Dass also zum Beispiel eine lesbische Frau aufgrund ihrer gesellschaftlich problematisierten Sexualität noch mehr Diskriminierung erfährt, als jede Frau an sich schon.

SCHMIEDEL: Genau, und das zu benennen ist sauwichtig! Aber wir brauchen auch Kampagnen, die generalisieren, die erstmal etwas oberflächlich von »Frauen allgemein« sprechen und bei Menschen erste Impulse setzen. Die nicht alle sehr berechtigten Forderungen aller Minderheiten auf einmal einfordern. Doch dann gibt es schnell den Vorwurf, nicht alle und jede mitzudenken. Es ist verdammt schwierig geworden. Und nur selten, leider, massentauglich. Natürlich, das habe ich auch in meinem Buch geschrieben, brauchen wir dringend immer wieder radikale Impulse, das Problem ist aber mittlerweile das Ungleichgewicht der Themen. Wir haben zu wenig Mainstreamfeminismus mit klassischen Themen.

ERLER: Was sind denn diese klassischen Themen?

SCHMIEDEL: Der Kampf gegen sexuelle Gewalt und Schutz der Opfer. Der Kampf gegen weibliche Altersarmut und die verrückten 45% Rentenschere in Deutschland und deshalb: mehr Frauenförderung, dringend mehr Kitaplätze außerhalb der Großstädte. Das Recht auf Abtreibung, aber auch auf gute Versorgung unter der Geburt. Die zunehmenden Essstörungen bei Mädchen, Gendermedizin oder eben die Wechseljahre. Das sind Themen, die die Masse der Frauen in Deutschland betreffen, und die wir wieder auf die Straße bringen müssen. Stattdessen streiten wir uns über das richtige Gendern, haben Schiss, dass unsere Posts irgendwen diskriminieren und somit Angst vor Ärger in der eigenen, linken Bubble und dass wir einen Shitstorm abkriegen. Deshalb geben viele Aktivistinnen auf, ziehen sich zurück. Es wird zu viel diskutiert und zu wenig einfach gemacht. Ich glaube nicht, dass wir so noch den Umschwung hinbekommen.

ERLER: Was genau macht Dir Angst?

SCHMIEDEL: Naja, in vier Jahren sind Wahlen und wenn wir nicht aufpassen, können wir danach Themen wie Abtreibung oder mehr Kitaplätze vergessen. Wir kriegen dann eine Bewegung zurück an den Herd, das wird nicht witzig – und Gendersprache wird unser kleinstes Problem sein. Radikal wäre es deshalb jetzt, wenn einige von uns diese ganze Wut auf Social Media ignorieren und umschwenken. Einige von uns müssen kuschelig und mainstream werden und die Themen der Menschen aufnehmen, die vielleicht sonst bald extreme Parteien wählen. Wenn in Frankreich 50% der Frauen Marine Le Penne für eine Feministin halten, dann geht doch gerade irgendwas grandios schief. Wir haben in Deutschland nur noch 50% der Abtreibungsstellen, wie noch vor zwanzig Jahren. In Bayern gibt es am wenigsten. Auf dem Land haben über 20% der Frauen keine
Nachsorgehebamme.

ERLER: Es geht nicht mehr vorwärts.

SCHMIEDEL: Noch schlimmer: Wir tun so, als wären wir schon sehr weit gekommen, aber in Wirklichkeit bewegen wir uns rückwärts. Heute nur noch die eigene linke Bubble zu erweitern, hilft nicht mehr, sie wird nicht groß genug werden und stark genug sein, um gegen die mächtigen Netzwerke von Rechtsaußen anzukommen. Deswegen bin ich vor drei Jahren aus meinem geliebten Pinkstinks raus, habe das Buch geschrieben und dann mein neues Projekt »wokidoki« gestartet. Ich wollte wieder mehr ins Machen kommen.

ERLER: Wokidoki?

SCHMIEDEL: Das ist meine neue Organisation. Wir »Woken« müssen ein bisschen mehr »okidoki!« sagen. Wir müssen flexibler und kreativer werden, uns nicht verbeißen. Wenn wir merken, dass wir zum Beispiel mit der Gendersprache nicht weiterkommen, dann sollten wir sie erstmal ruhen lassen und es anders probieren. Feminismus in den Mainstream zu ziehen, ohne sich dabei von rechts vereinnahmen zu lassen, das sehe ich im Moment als radikal an. Wir dürfen uns nicht weiterhin für was Besseres halten. Und wir müssen dringend über unsere eigenen Netzwerke hinausdenken.

ERLER: Es gibt unter den jungen, feministischen Frauen viele, die fordern, endlich in der Sprache genau so radikal zu sein, wie es von rechts vorgemacht wird. Nicht so zurückhaltend, nicht so moralisch, sondern genau so draufzuhauen. Und Du versuchst nun Deine Gegner*innen zu umarmen? Ist das der neue feministische Widerstand?

SCHMIEDEL: Ja. Hug your enemy.

ERLER: Joachim Gauck sprach mal von radikaler Toleranz. Dieses Zitat halte ich mir oft vor Augen, wenn ich in die Wut komme.

SCHMIEDEL: Ich würde es radikale Empathie nennen. Ich bin Reiterin und weiß, dass gestresste Pferde nichts lernen. Menschen sind da nicht anders. Wenn ich den Alten Weißen Mann anschreie »Check your Privileges!!!«, dann wird er alles andere machen, als das. Es wird nicht funktionieren, wenn wir uns nur anbrüllen.

 

RADIKALE EMPATHIE

ERLER: Brecht sagt in seinem Gedicht an die Nachgeborenen: »Ach wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selbst nicht freundlich sein«

SCHMIEDEL: Die Frage ist, was mein Ziel ist. Statt noch einen Shitstorm loszutreten, gehe ich heute lieber mit bunten Powerpoints in Räume, wo konservative Menschen »die Genderzicke aus Hamburg« sehen wollen. Die wollen sich mal anschauen, was die so zu sagen hat. Die rufen auch dazwischen und schimpfen. Aber hinterher lachen sehr viele und nehmen mein Buch mit. Und auch, wenn sie nie gendern werden, sagen sie, dass sie jetzt einfach mehr von der Debatte verstehen. Man kommt aber an diese Menschen nicht ran, wenn man nicht auf sie zugeht. Und diese Empathie, die fehlt gerade oft im Feminismus. Diese Freundlichkeit. Da sagen die Frauen dann: »Das ist aber unser Recht«. Natürlich ist es unser Recht! Es wird aber nicht vom Gegenüber gehört, wenn wir nicht auch deren Ängste mitempfinden. Und ja, es ist supermühselig, immer freundlich zu bleiben, sich ständig mit Menschen mit konservativen oder sogar rechten Positionen auseinanderzusetzen. Aber so baue ich meine Kampagnen.

ERLER: Sag mal ein Beispiel.

SCHMIEDEL: Bei wokidoki habe ich als Pilotprojekt eine Broschüre für Kirchengemeinden herausgegeben, die die Abschaffung von §218 thematisiert. Und in der die Trauer und die Ohnmacht von Männern, über einen Schwangerschaftsabbruch nicht mitentscheiden zu können, ernst genommen wird. Und trotzdem theologisch, medizinisch und juristisch erklärt wird, warum §218 nicht mehr zeitgemäß ist. Das Ding wurde mir von Kirchengemeinden aus den Händen gerissen und dafür gelobt, dass es so ein freundliches Angebot ist. Auch wir Femis müssen halt den alten Werberspruch beherzigen: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

ERLER: Ich habe mal geschaut, woher das Wort »radikal« eigentlich kommt. Radix, lateinisch, die Wurzel. Interessanterweise gibt es zwei Definitionen. Erstens: Mit Rücksichtslosigkeit und Härte. Aber auch: Von Grund auf, ganz und gar. Gründlich. Finde ich interessant, weil das Wort zuletzt eher in der ersten Weise interpretiert wird.

SCHMIEDEL: Ich habe über den Philosophen Gilles Deleuze promoviert. Deleuzianer glauben an die Überwindung von Polaritäten durch Wurzelgeflechte. Radikal kann auch eine Wurzel oder eine Wurzelbewegung sein, die sich immer weiter aufbricht, immer mehr vernetzt, sich weiterentwickelt und nicht stehenbleibt, immer wieder Neues hervorbringt.

ERLER: Ist dieser neue, sanftere Weg auch ein bisschen Resignation?

SCHMIEDEL: Nee, es ist das, was für mich dringlich ist. Keine Resignation, gar nicht. Eher so ein »Macht ihr bitte weiter, aber ich muss woanders hin.« Pinkstinks zu verlassen war ein sehr schwerer Schritt. Das war mein Baby und ich habe dafür alles gegeben, auch viel Mist erlebt, viel Bedrohung. Ich stand auf der rechtsradikalen »Judas Watch List«. Aber jetzt war es für mich Zeit, die nächste Stufe zu gehen. Die Arbeit von Pinkstinks bleibt weiterhin superwertvoll und wichtig. Es muss nur dringend weitere Formen von Feminismus für andere Zielgruppen geben, vor allem für den konservativen Mainstream.

ERLER: Machen Dir Anfeindungen nichts aus? Vielleicht auch aus Deiner alten Community? Kannst Du das trotzdem durchziehen?

SCHMIEDEL: Ich habe immer Anfeindungen von links und von rechts bekommen, da gewöhnt man sich leider dran. Du bist entweder zu feministisch oder nicht feministisch genug. Das war bei Pinkstinks genauso wie jetzt bei wokidoki. Nur, dass ich jetzt nicht bei jedem Post die Spenden für ein Dutzend Arbeitsplätze in Gefahr bringe. Bei wokidoki arbeite ich nur mit freien Mitarbeiter*innen. Wir sind klein und fein.  


ERLER: In diesem Jahr hast Du für Dein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen!

SCHMIEDEL: Das war surreal. Du kriegst einen grauen Brief und mein Mann und ich dachten, das sei ein Verkehrsticket!

ERLER: Gerade hat Kulturstaatsminister Wolfram Weimar das schriftliche Gendern im Kanzleramt verboten, weil es seiner Meinung nach sprachentstellend ist.

SCHMIEDEL: Also dieser Brief, den ich bekam, war völlig unverständlich formuliert, auch ganz ohne zu gendern. Aber das Ding ist: Gendersprache ist eben auch nicht zu Ende gedacht.

ERLER: Du genderst doch selbst.

SCHMIEDEL: Ich gendere, wenn ich es für angebracht halte. Ich finde es furchtbar, mit dem generischen Maskulinum angesprochen zu werden. Aber wir haben keine Zeit mehr, uns darüber aufzuregen.

ERLER: Hast du eigentlich eine Beziehung zum Theater?

SCHMIEDEL: Und ob! Ich habe sogar einen MA (Master of Arts) in Theatre Arts. Das steht nur nirgendwo, weil es keinen Sinn macht für meine heutige Arbeit. Habe ich in London gemacht, bevor ich in Gender Studies promoviert habe. Meine Abschlussarbeit habe ich über Christoph Schlingensief geschrieben. Ich war völlig verknallt in ihn. Ich habe gezittert, als ich ihn das erste Mal angesprochen habe.

ERLER: Was wirst Du Dir im Thalia anschauen?

SCHMIEDEL: Du hast mir von Porneia erzählt. Das interessiert mich natürlich. Auf jeden Fall schon mal ein spannender Titel!

ERLER: Das Stück basiert auf der griechischen Komödie Lysistrata, in der sich die Frauen von Athen und Sparta ihren Männern sexuell verweigern, um die punischen Kriege zu beenden. Und das auch schaffen!

SCHMIEDEL: Sehr aktuell! Erinnert mich an Südkorea. Die 4B-Bewegung. Sexuelle Enthaltsamkeit wegen des heftigen Sexismusses koreanischer Männer. Auch das ist aktueller feministischer Widerstand!