Stadtgespräch

Anlässlich der Premiere von Hope traf sich unser Art Director Johannes Erler (60) mit Henri (21) und Oskar (21), die ihr Freiwilliges Soziales Jahr gerade beendet haben und nun zu studieren beginnen. In dem Gespräch ging es um HOFFNUNG. Es wurde ein optimistisches Gespräch.

in mir ist eine Grundstimmung, dass immer noch alles gut werden kann.
(Oskar)

JOHANNES ERLER: Hallo Gen Z, hier ist der Boomer!

 

HENRI: Wofür schreibst Du das eigentlich genau?

 

ERLER: Für das Thalia Theater. Wir haben eine Gesprächsreihe, die »Stadtgespräch« heißt. Wir unterhalten uns mit engagierten Menschen aus der Stadt über Themen, die in unseren Premieren wichtig sind. Im Dezember spielen wir Hope. Also Hoffnung. Um Hoffnung soll es auch in unserem Gespräch gehen. Viele meinen ja, dass die Gen Z, also eure Generation, so hoffnungslos und lash sei.

 

HENRI: Ich verbinde mit dem Begriff Gen Z nur genau zwei Sachen: TikTok und Tommi Schmitt, der glaube ich ein Millenial ist, also schon ganz schön alt. Tommi Schmitt behauptet in seinem Podcast ständig, die Gen Z würde dies machen oder das machen. Das ist schon merkwürdig. Andererseits habe ich neulich gelesen, dass die Gen Z von den letzten drei Generationen die ist, die am meisten arbeitet. Das fand ich interessant, weil wir ja angeblich so faul sind. Offenbar ist das Gegenteil der Fall.

 

OSKAR: Mir ist es ziemlich egal, wie ich bezeichnet werde. Manchmal muss ich schmunzeln und manchmal ärgere ich mich, wenn ich lese, wie wir angeblich sind. Ich beschäftige mich nicht weiter damit.

 

ERLER: Ihr habt vor gut einem Jahr in Hamburg euer Abi gemacht. Was ist seitdem passiert bei euch?

 

OSKAR: Ich wusste nach dem Abi erstmal nicht, ob ich studieren will. Ich hatte keine Lust mehr auf Lernen wie in der Schule. Ich konnte aber nicht einfach pausieren, dann hätte ich kein Kindergeld mehr bekommen. Zwei, drei Gap-Monate hatte ich schon auch, aber dann war klar, dass ich mich einschreiben oder was anderes machen muss. Durch meine Schulpraktika im Kindergarten und in einer Schule für Kinder mit Beeinträchtigungen wusste ich, dass das meine Richtung ist und kam so auf das FSJ, also das Freiwillige Soziale Jahr. Ich habe das wieder in einem Kindergarten gemacht. Eine spontane Entscheidung, mit der ich im Laufe des Jahres aber immer glücklicher wurde. 

 

ERLER: Wie war es bei Dir, Henri?

 

HENRI: Ich wäre schon gerne erstmal reisen gegangen, aber dafür hätte ich mehr arbeiten müssen und plötzlich war der Sommer rum. Also auch FSJ, auch in einem Kindergarten. Das FSJ war sozusagen mein Gap-Year.

 

ERLER: Das Gap Year, also ein Jahr ohne Schule und Arbeit nach dem Abi, scheint in eurer Generation fest dazuzugehören. Erstmal ab nach Thailand oder Bali. War das für euch keine Option? Abstand finden. Gucken, was geht. Ist ja sowieso alles schwierig.

 

OSKAR: Klar hätte ich Urlaub gut gefunden, aber am Ende des FSJ war ich stolz, dass ich jetzt schon ein Jahr Arbeitserfahrung habe. Es hat Spaß gemacht und ich hatte gutes Feedback. Ich hatte das Gefühl, das zu können. Und ich wusste, dass das mein Weg ist. Dass ich Bock habe, als nächstes Soziale Arbeit zu studieren. Ich bin mit dieser Entscheidung sehr zufrieden.

sind wir pessimistisch, nur, weil wir was sagen?
(Henri)

ERLER: Was machen eure ehemaligen Mitschüler*innen? Sind sie auch alle so geradeaus? Wie ist die Gesamtlage?

 

HENRI: Mittlerweile, so ein Jahr nach dem Abi, haben die meisten sich wieder hingesetzt und wissen, was sie machen wollen. Viele sind ausgezogen, auch in andere Städte. Aber im letzten Jahr waren wir eher die Ausnahme mit unserem geregelten Tagesablauf. Da hatten die anderen ein lässigeres Leben als wir mit unseren 40 Wochenstunden im Kindergarten. 

 

ERLER: Hatten die anderen ein lässiges oder ein lashes Leben? Haben die durchgehangen, oder wussten sie, dass es schon noch werden wird? 

 

HENRI: Ne, da gab es bei vielen auch die Momente, in denen sie durchhingen. Aber die meisten fanden es einen guten Ausgleich, auch mal gar nichts zu machen und dann wieder anzuziehen. 

 

OSKAR: Die meisten wollten es einfach ein Jahr etwas ruhiger angehen lassen. Aber schon mit dem Hintergedanken, dass es ein Jahr später auch weitergehen würde. Mit einem Ziel vor Augen durchatmen. Ganz bewusst.

 

ERLER: Und jetzt habt ihr angefangen zu studieren. In Bremen. Du, Oskar, Soziale Arbeit und Henri Politikwissenschaft. Warum weg aus Hamburg?

 

OSKAR: Wir waren hier mal zum Auswärtsspiel. Wir sind in der Sonne an der Weser längs zum Stadion gelaufen und waren richtig glücklich. Wir wollten aus Hamburg weg, aber nicht zu weit wegen Familie und Fußball. Und dann haben wir bei unseren FSJ-Seminaren einen Jungen aus Bremen kennengelernt, der hat uns in Bremen mitgenommen und uns motiviert, das durchzuziehen.

 

ERLER: Ihr scheint ja insgesamt einen ziemlich stabilen Plan zu haben seit der Schule. Stabiler als andere. Ich saß neulich mit ein paar in eurem Alter zusammen, die waren eher desillusioniert, was ihre Zukunft betrifft. Sehr unentschlossen, was als Nächstes kommt. Womit man noch Geld verdienen kann und dass alles so unsicher ist. Wie kommt es, dass ihr beide so klar wisst, was ihr machen wollt?

 

HENRI: Ich würde nicht sagen, dass immer alles klar war. Wir hatten erstmal nur beschlossen, nach Bremen zu gehen, ohne genau zu wissen, was wir da machen wollen und welche Studiengänge es gibt. Ich glaube, es war auch Glück, dass es dort die Studiengänge gibt, die uns interessieren. Das ist auch ein bisschen Zufall, dass es so perfekt passt mit Stadt und Studium.

 

ERLER: Pusht ihr euch gegenseitig?

 

HENRI: Wir ergänzen uns sehr gut. Wir haben jetzt beide 20 Jahre zuhause gelebt und so ein Break ist ja auch nicht ganz einfach, aber wir machen es gut. Gibt auch keine Probleme mit dem Geld. Wir vertrauen einander. Das ist sehr wichtig.

 

OSKAR: Wir sind charakterlich ganz unterschiedlich, aber wir profitieren voneinander. Beruhigen uns, motivieren uns.

 

ERLER: Die Unternehmensberatung Deloitte will herausgefunden haben, dass die Gen Z pessimistisch in die Zukunft blickt. Zitat: »Diese Tendenz ist in Deutschland noch ausgeprägter als in anderen Ländern. Nur 10% der Millenials und nur 7% der Gen Z glauben an eine Verbesserung der sozialen und politischen Lage. Die Ambitionen der jungen Menschen bezüglich Vermögensausbau, Reisen oder Eigenheim bleiben in Deutschland sogar deutlich hinter dem internationalen Durchschnitt zurück. Auch sind die Deutschen weniger motiviert, selbst die Gesellschaft zu verbessern.« Das klingt jetzt gerade so, als hättet ihr damit überhaupt nichts zu tun. Beobachtet ihr das denn? Habt ihr das Gefühl, dass eure Generation hoffnungslos ist? Gibt es diesen Pessimismus?

 

HENRI: Meine These: Die Generation unserer Eltern und Großeltern hatte andere Interessen. Da ging es zunächst mal nach dem Krieg darum, klarzukommen, später, sich was aufzubauen, wieder glücklich zu sein. Klar wurde schon ab den 70ern und 80ern der Mund wieder aufgemacht. Ich denke aber, dass sich nicht die Probleme entscheidend verändert haben, sondern, dass wir jungen Menschen mehr auf diese Probleme aufmerksam machen. Fridays For Future zum Beispiel. Oder jetzt die Demos wegen des Nahostkonfliktes. Da wird von jungen Menschen einfach viel mehr drauf geschaut und kommentiert, und das finden natürlich nicht alle gut, dass wir uns zu Wort melden. Das stößt einigen blöd auf, dass naive Jugendliche auf Probleme aufmerksam machen, die seit langem bestehen, aber ewig unter den Tisch gekehrt wurden. Und sofort sind wir dann pessimistisch, nur, weil wir was sagen?

Ich spüre gerade, wie politisch Erwachsenwerden ist.
(Henri)

ERLER: Also hast Du das Gefühl, dass sogar eine größere Bereitschaft und eine größere Sensibilität da ist, mit den Problemen der Zeit umzugehen? Ihr spürt diese Hoffnungslosigkeit gar nicht so sehr, sondern eher das Bedürfnis, euch zu melden und etwas zu tun?

 

HENRI: Ja, aber das hat natürlich auch was mit dem sozialen Umfeld zu tun, aus dem wir kommen. Wir sind in Hamburg West aufgewachsen. Ich glaube schon, dass es in Billstedt oder Harburg anders ist, weil es da andere Probleme gibt. Das haben wir zum Glück nicht so erlebt.

 

OSKAR: Wir hatten einfach bessere Ausgangsbedingungen und konnten daraus mehr Kraft ziehen, die Probleme anzugehen, die es natürlich gibt. Das ist woanders in Hamburg bestimmt anders, und dann ist die Perspektivlosigkeit auch nachvollziehbar.

 

HENRI: Oskar meinte neulich, dass wir in unserem neuen Stadtteil in Bremen, der Neustadt, zum ersten Mal in unserem Leben mit ganz vielen anderen Kulturen in Berührung kommen. Da ist Hamburg-West und auch Altona doch eher stockdeutsch. In Altona sind die einzigen mit Migrationshintergrund ja die, die in Kiosken oder als Friseure arbeiten. Aber ich finde es toll, mal aus meiner Bubble rauszukommen. 

 

ERLER: Als ich In den 80ern so alt war, wie ihr heute, gab es tatsächlich bereits viele der heutigen Probleme. Waldsterben, Atomkraft, Aufrüstung, Kriege und Friedensbewegung, Emanzipation. In den Jahrzehnten darauf ging es dann immer mehr um das Persönliche. Die Menschen wurden unpolitisch. Während der Merkel-Zeit gingen nur noch knapp 70% der Deutschen zur Bundestagswahl. Der wohlständige, egoistische Individualismus stand und steht ganz weit oben. Das ändert sich, so scheint es mir, jetzt langsam mit eurer Generation. Ich hatte damals trotzdem immer das Gefühl, dass alles möglich ist, dass ich eine gute Zukunft haben werde. Denkt ihr auch so? Seid ihr gut aufgestellt? Wird alles gut?

 

OSKAR: Für uns selbst denken wir positiv. Natürlich zerbricht gerade viel. Auch in Deutschland. Zum Beispiel, was unsere Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft betrifft. Das ist hart und macht schlechte Laune. Der Ausblick auf die nächsten Wahlen ist mies. Wir haben schwierige Jahre vor uns. Aber in mir ist eine Grundstimmung, dass immer noch alles gut werden kann. Ich kann das kaum erklären, habe kaum Argumente. Ich glaube, dass es vielleicht ein paar schwierige Jahre braucht, um anschließend wieder besser zu werden.

 

HENRI: Was mir Hoffnung gibt, ist, dass die Menschen mit Macht im Moment alle ziemlich alt sind. Trump, Putin. Die gehen alle auf die 80 zu. Und meine Hoffnung ist, dass die alle bald nicht mehr können. Ich weiß natürlich, dass es immer solche Menschen geben wird. Meine Hoffnung ist trotzdem, dass diese Menschen eine Bewegung, die wegen der großen Probleme notwendig ist, im Moment einfach nur aufhalten. Und dass sich die grundmenschlichen Bedürfnisse nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit am Ende durchsetzen. 

 

ERLER: Oha, ich bin da ehrlich gesagt nicht so optimistisch. Aber ich will euch euren Optimismus nicht nehmen. Ich freu mich sogar darüber!

 

HENRI: Ich habe einfach die Hoffnung, dass diese rechtskonservative Bewegung gerade bei uns jungen Menschen nicht den Rückhalt erfährt, den sie heute noch hat. Ich bin da optimistisch. Ich kenne in meinem Umfeld solche Leute einfach nicht. Insofern ist unsere Generation auch meine Hoffnung.

 

ERLER: Würdet ihr euch als politisch bezeichnen?

 

HENRI: Auf jeden Fall. Ich bin Mitglied bei den Grünen. Wir diskutieren viel. Das steckt von Grund auf in uns drin. Auch hier in der Uni. Ich spüre gerade, wie politisch Erwachsenwerden ist. Wie wichtig das ist. Ich habe noch keine Ämter oder so, aber unpolitisch sein kann man eigentlich nicht mehr.

 

OSKAR: In unserem Freundeskreis reden wir viel. Auch unsere Schulzeit hat mich geprägt. Da wurde auch viel diskutiert. Auch gegensätzlich. Da sind wir mittlerweile gut aufgestellt. 

Vielleicht müssten wir jetzt schon mehr dafür sorgen, dass es nicht soweit kommt.
(Oskar)

ERLER: Wie weit würdet ihr gehen, um eure Meinung und Haltung zu verteidigen?

 

HENRI: Ich würde nicht über das Verbale hinausgehen. In dem Moment, wo Gewalt eine Rolle spielt, bin ich raus.

 

ERLER: Und was machst Du dann?

 

HENRI: Ich war zum Glück noch nie in dieser Situation.

 

ERLER: Ist Demokratie die einzige Staatsform, die für euch in Frage kommt?

 

OSKAR: Ja. 

 

HENRI: Auf jeden Fall

 

ERLER: Und wenn eine radikale Partei an die Macht käme, antidemokratisch zu handeln beginnt, den Staat umbaut mit den Mitteln der Demokratie, was macht ihr dann?

 

OSKAR: Ich glaube, dass sich dann schnell eine sehr starke Gegenbewegung bilden wird, vielleicht nicht unbedingt in der Politik, aber auf den Straßen. Und natürlich würden wir uns dann stärker engagieren. Vielleicht müssten wir jetzt schon mehr dafür sorgen, dass es nicht soweit kommt. Aber je drastischer es wird, um so stärker halte ich gegen.

 

HENRI: Ich hoffe dann immer noch auf meine Grundrechte. Auf die Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Zumindest hier bei uns. Laut werden ist dann wichtig.

 

ERLER: Also momentan würdet ihr euch über das Wort hinaus eher nicht engagieren, schätzt euch aber politisch ein und seid up to date. Gleichzeitig gibt es eine aktuelle Diskussion zum Wehrdienst. Das würde euch dann auch betreffen. Empfindet ihr die momentane Situation nicht als bedrohlich? Wie würdet ihr euch verhalten, wenn irgendwelche Irren Deutschland angreifen? Den Wehrdienst findet ihr wahrscheinlich nicht so toll, oder?

 

HENRI: Ich empfinde diese Debatte als einen Teil der sehr symbolpolitischen aktuellen Bundespolitik. Das lenkt ab von der Debatte, wie man tatsächlich Frieden schaffen kann und soll Bürgerinnen und Bürger mit einfachen Mitteln ruhig stellen. Ich finde, dass man die Menschen darin ausbilden muss, Frieden zu schaffen und sie nicht an der Waffe stark zu machen. Da sollte man sich doch fünfmal überlegen, ob man sich für so einen Halbglatzentyp ein Maschinengewehr unter den Arm klemmt. Mehr Friedensbildung und weniger Kriegsbildung.

 

ERLER: Aber so funktioniert natürlich Demokratie: Dass eine Mehrheit den Kurs bestimmt.

 

HENRI: Ich glaube, dass Akzeptieren und gleichzeitig Kritisieren nah bei beieinander liegen. Das ist auch Demokratie.

 

ERLER: Wisst ihr, wer Kassandra war?

 

OSKAR: Schon mal gehört, aber nein.

 

ERLER: Kassandra ist Teil der griechischen Mythologie. Sie war Wahrsagerin und konnte in die Zukunft schauen. Das Problem war, aber dass niemand ihr glaubte. Die Figur der Kassandra liegt dem Theaterstück Hope, das im Dezember am Thalia Premiere hat, zugrunde. Ein Stück also, das »Hoffnung« heißt, sich aber mit der gar nicht so rosigen Zukunft beschäftigt, was ja eher hoffnungslos macht. Heute gibt es auch viele Kassandren, viele Menschen, die sagen, dass die Zukunft nicht schön wird, zum Beispiel wegen des Klimawandels. Trotzdem verändert sich nur wenig. Wenn ihr diese Weissagungen hört, die euch prophezeien, dass sich in eurer Lebenszeit vieles zum Schlechten wenden wird: wie reagiert ihr darauf? Sagt ihr dann: Ich hör dann mal weg? Oder: Scheiß drauf, ich kann’s ja nicht ändern? Oder: Ich tu was? Wir geht ihr um mit diesen dystopischen, teilweise apokalyptischen Zukunftsaussichten?

 

HENRI: Ich finde, dass solche Dystopien oft wie Karikaturen wirken. Sehr überzeichnet. Es lässt sich nicht mehr abstreiten, dass sich die Erde erwärmt und daraus auch Probleme und Leid entstehen. Ob es jedoch in naher Zukunft apokalyptisch wird, kann ich mir nicht vorstellen und hoffe ich natürlich auch nicht. Deshalb der Vergleich mit einer Karikatur.

 

OSKAR: Die Umweltproblematik müsste ernster genommen werden, das glaube ich schon. Andererseits habe ich die Hoffnung und auch das Vertrauen, dass in drastischen Situationen schnell gehandelt wird. Und dass es in solchen Situationen Mittel geben wird, die Probleme zu bekämpfen.

 

ERLER: Wollt ihr mal Kinder haben?

 

HENRI und Oskar gleichzeitig: Ja

 

ERLER: Was sind eure Ziele im Leben?

 

OSKAR: Gute Frage…

 

HENRI: Finanzielle Unabhängigkeit von Staat und Elternhaus. Da fühle ich mich durch mein Studium auf einem guten Weg. Besser geht es immer, klar, aber grundsätzlich ist erstmal finanzielle Unabhängigkeit ein wichtiges Ziel in meinem Leben. Und irgendwann möchte ich spüren: Hier bin ich richtig, hier bin ich glücklich! Ich bin es ja schon, aber eben auch in Zukunft. Ich möchte keine Sorgen haben. Eine Freundin hat neulich zu mir gesagt: »In Zukunft möchte ich irgendwann an dem Punkt sein, wo ich in einem Bioladen meinen Wocheneinkauf machen kann«. Das beschreibt es ganz gut.

 

ERLER: Nie wieder Aldi!

 

HENRI: Genau!

 

OSKAR: Ich möchte auf jeden Fall eine Familie haben. Und ich möchte meinen Kindern dieselbe, schöne Kindheit bieten, die ich selber hatte. Und dann, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, möchte ich in meinem Berufsleben andere Menschen unterstützen, die es nicht so gut haben, wie ich hoffe, dass meine Familie es haben wird. Ich glaube, dass so etwas einen erfüllen kann. Da wir ja einige Jahre arbeiten werden, finde ich das einen guten Weg, Arbeit sinnvoll zu gestalten.

 

ERLER: Was glaubt ihr denn mal zu arbeiten?

 

OSKAR: Kann ich noch nicht sagen. Im Kindergarten hat es mir gefallen. Aber ich werde mir noch viel mehr anschauen und sehen, worauf ich Lust habe. Also noch kein konkretes Ziel

 

HENRI: Ich will nach dem Bachelor noch meinen Master machen und dann vielleicht als Quereinsteiger als Lehrer arbeiten. Falls es das dann nicht ist, habe ich die Breite meines Studiums, um was anderes zu machen. Als Berater. Als Journalist vielleicht.

 

ERLER: Neulich blieb ich auf dem Bahnhof in Hannover hängen, weil der Zug kaputt war, und alle standen auf dem Bahnsteig und rauchten. Ich lernte da einen jungen Mann, euer Alter, kennen. Erst meckerten wir ein bisschen über die Bahn und ich erzählte ihm, wie pünktlich früher alles war. Dann wurden wir allgemeiner zwischen früher und heute und irgendwann sagte er: »Weißt Du was? Seid ich ein bewusst handelnder Mensch bin, geht eigentlich in Deutschland alles nur den Bach runter. Von Jahr zu Jahr wird alles immer schlimmer«. Er war aber nicht wütend deshalb. Er meinte, dass er klarkäme und versuchen würde, es so gut wie möglich zu machen. Das fand ich interessant. Wie ist das bei euch? Habt ihr diesen ständigen Krisenmodus auch schon so verinnerlicht? Nehmt ihr das überhaupt noch wahr?

Vielleicht habe ich mich tatsächlich ein bisschen damit abgefunden, dass Tag für Tag diese Katastrophen passieren.
(Henri)

HENRI: Eigentlich nicht. Ich weiß, was der Junge meint, aber es betrifft mich auch nicht so. Vielleicht habe ich mich tatsächlich ein bisschen damit abgefunden, dass Tag für Tag diese Katastrophen passieren. Wir waren zehn, als der Bürgerkrieg in Syrien eskalierte und die Flüchtlingswelle nach Deutschland einsetzte. Das war das erste, glaube ich, was ich weltpolitisch bewusst mitbekommen habe,

 

OSKAR: Bei mir entsteht mehr und mehr der Eindruck, dass je älter ich werde und je mehr ich Gesellschaft und Politik verstehe, natürlich und offensichtlich viel den Bach runtergeht, dass aber auch immer sehr viel draus gemacht wird, oft mehr, als es tatsächlich ist. Und dann löst es mit der Zeit auch immer weniger in mir aus, weil ich es gewohnt bin. 

 

ERLER: Seid ihr neidisch auf Menschen, denen es besser geht, vor allem finanziell? Gibt es da ein Gefühl von Ungerechtigkeit?

 

HENRI: Ich würde es nicht neidisch nennen, sondern eher ungerecht. Die Schere zwischen reich und arm, wo wir ja irgendwo dazwischen liegen, ist so extrem. Aber Neid bringt uns nicht weiter.

 

OSKAR: In bestimmten kleinen Situationen bin ich schon mal neidisch. Wenn jemand von unseren Freunden gerade in der Sonne ist zum Beispiel und wir frieren hier. Aber grundsätzlich bin ich nicht neidisch. Ich bin sehr zufrieden. Ich bin auch auf Reichtum nicht neidisch, gerade weil ich weiß, wie Leute ticken, die reich sind. Ich habe es in meiner Schulzeit ja oft mitbekommen. In dieser Hinsicht bin ich auf jeden Fall nicht neidisch.

 

ERLER: Interessiert euch Theater?

 

OSKAR: Ich war vor einem Jahr zuletzt im Thalia. Da hat ein Freund von uns mitgespielt und der hat uns eingeladen. 

 

HENRI: Ich weiß es gar nicht mehr. Ist schon länger her.

 

ERLER: Aber vielleicht interessiert ihr euch nach unserem Gespräch für das Stück?

 

OSKAR: Ich interessiere mich sowieso für Theater. Wir hatten ja das Glück bei uns auf der Waldorfschule, dass wir viel Theater gespielt haben. Das war schon eine richtig geile Zeit. Die Proben und sich in eine Rolle hineinzudenken.

 

ERLER: Dann bin ich sicher, dass das Thalia euch zur Hope-Premiere einladen wird. Und dann sehen wir uns!