Was ihr wollt
Kurz gefasst
Viola, Königskind, wird bei einem Schiffbruch von ihrem Zwillingsbruder getrennt und von den Fluten verschluckt. Doch das Meer erweist sich gnädig und gibt sie dem Leben zurück. An den Strand Illyriens gespült, erscheint ihr das Dasein traumhaft und schrecklich zugleich. Dennoch bricht schnell die Liebe über sie herein. Sie verliebt sich in den Herzog Orsino, der wiederum liebt Gräfin Olivia, die aber liebt Viola, die sich inzwischen zu ihrem eigenen Schutz als Mann verkleidet hat. Und als ob diese sich verfehlende Liebe nicht schon genug wäre, ist es auch noch eine spezielle Nacht, nämlich die »Zwölfte Nacht«, die traditionelle Zeit des Ausnahmezustands, ähnlich unserem Karneval. Alles steht Kopf – alles ist erlaubt. Und so suchen sich neben der Liebe auch Rache und Gewalt ihre Wege. Ein anarchisches Chaos entsteht, in dem Identitäten verschwimmen, Grenzen überschritten werden und der Rausch alles unterspült.
Shakespeares Komödie über Liebe und deren Möglichkeiten spielt in einem Zwischenreich. Seine Figuren sind nicht der Realität ausgeliefert, sondern bewegen sich durch eine Welt, die den Alltag ausklammert. So bleibt die Konzentration auf die Fragen: Was kann die Liebe? Und was passiert, wenn sie uns abhandenkommt? Auf den ersten Blick scheinen sie banal. Shakespeare jedoch spielt sie auf so vielen Ebenen durch, dass sich ihre Kraft und Komplexität aufschlüsseln lassen, in der Konfrontation mit dem offensichtlichen Mangel und den Beschränkungen, die die Liebe in unserer Welt erlebt.
Shakespeares »Was ihr wollt«
Das früheste Zeugnis einer Aufführung von „Was ihr wollt“ (im Englischen „Twelfth Night or What You Will“) ist die Tagebuchaufzeichnung des Londoner Jurastudenten John Manningham, der die Komödie am 2. Februar 1602 im Middle Temple sah (ihm gefiel besonders der Streich, der Malvolio gespielt wird). Vermutlich ist „Was ihr wollt“ schon 1601 entstanden, also kurz nach „Viel Lärm um Nichts“ und „Wie es Euch gefällt“ – und in zeitlicher Nachbarschaft zu „Hamlet“. Als Vorlage mag Shakespeare Barnabe Riches Erzählung „Von Apolonius und Silla“ von 1581 gedient haben, eine wortreiche Prosaromanze, die wiederum auf Novellen von Belleforest und Bandello zurückgeht und sich nicht zuletzt an den Verwechslungskomödien von Plautus orientiert. Der früheste erhaltene Text findet sich in der ersten Shakespeare-Gesamtausgabe (First Folio) von 1623.
Der Titel verweist auf jene „Zwölfte Nacht“ nach Weihnachten, also den 6. Januar, das Dreikönigsfest (oder Epiphanie, Erscheinung des Herrn). Dies war der letzte Tag der traditionellen Weihnachtsfestivitäten, die nicht wie heutzutage sinnlich begangen, sondern in einer Art dionysisch-anarchischem Karneval gefeiert wurden. Unter Führung eines gewählten Narrenkönigs (Lord of Misrule), der das Regiment in den Adelshäusern übernahm, wurden Alltagsregeln auf den Kopf gestellt, mit Maskenspiel und Verkleidung - beliebt waren vor allem Kleidertausch zwischen Herr und Knecht. Auch im antiken Rom feierte man ab 17. Dezember das Fest zu Ehren Saturns: Mädchen und Jungen sollen in dieser Zeit ihre Kleider getauscht haben, wohl in Erfüllung des Traums vom Überschreiten der Grenze, die Körper und Geschlecht setzen.
aus: Ulrich Suerbaum, Das elisabethanische Theater