Fuck y
our
ego!
Lars Wittershagen
Diese verwirklichen sich nicht. Oder sie enden als kraftloses Jammern der Intellektuellen, über das Kapitalisten nur lachen können. Die Welt aber ändert sich selten, so zum Beispiel in den frühen 1920er Jahren in Russland, zur Zeit der russischen Avantgarde, während der sich Gesellschaft und Kunst von Grund auf erneuert haben. Anton Makarenko, russischer Pädagoge und Schriftsteller, stellte sich die Aufgabe, aus jugendlichen Straftätern „neue Menschen“ zu machen. Er leitete eine Kolonie, die im Geiste Rousseaus und Pestalozzis, Tolstois und Gorkis zum Fundament einer neuen Form der Gemeinschaft wurde. Seine Utopie hat sich verwirklicht. Makarenko glaubte an das Kollektiv, in dem jeglicher Egoismus unterbunden wurde, notfalls mit Gewalt.
Wir leben in einer Zeit, in der die Demokratie in ihrer jetzigen Form hinterfragt wird. Wir brauchen neue Formen. Neue Menschen. Wir gehen auf die Barrikaden mit einem Gebet auf unseren Lippen: „Lasst uns unsere Hoffnungen!“ Das international gefeierte estnische Regieteam Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper wird mit „Fuck your ego!“ zum ersten Mal in Deutschland inszenieren und Makarenkos gewaltiges und kontroverses, ideologisches und harsches soziales Poem neu hinterfragt auf die Bühne bringen.
Uraufführung 26. April 2012, Thalia Gauß
„Sebastian Zimmler zappelt mit allen Gliedern, ächzt und speit. Seine Position ist nicht die bequemste. Kopfüber steckt er in einer Blechtonne mit Wasser. Aber Schauspielern wird nichts geschenkt. Schon gar nicht bei dem energetischem Verausgabungstheater, für das die beiden estnischen Theatermacher Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper stehen. Derzeit proben sie im Thalia in der Gaußstraße einen Abend mit dem Titel "Fuck your ego!", der am 26. April zur Uraufführung gelangt. Nein, kein launiges Jugendstück. Sondern ernster gesellschaftsutopischer Stoff auf Basis der Ideen des russischen Schriftstellers, Pädagogen und Kommunarden Anton Makarenko. […] Ojasoo vermittelt eine mitreißende Dynamik, die bislang allen international gefeierten Produktionen des Theaters NO99 aus dem estnischen Tallinn zu eigen ist. Junges athletisches Theater, gleichermaßen Text, Tanz und Ausdrucksmitteln des Performativen verpflichtet. Die Hamburger konnten dies bei des Lessingtagen bereits zweimal bewundern. Vor zwei Jahren begeisterten die Esten mit einem unverfrorenen ironisierten Beitrag zur Debatte um Kunstförderung in "Wie man einem Toten Hasen die Bilder erklärt". Zehn Darsteller wuchsen darin, Joseph Beuys gleichnamiger Kunstaktion von 1965 zitierend, auf klug choreografierte Weise zur sozialen Plastik. Bei den diesjährigen Lessingtagen beglückte Sebastian Nüblings multilinguale Umsetzung der "Three Kingdoms" von Simon Stephens mit deutscher, britischer und eben estnischer Beteiligung.“ - Hamburger Abendblatt Live