> > Stimmen aus dem Exil 2

Stimmen a
us dem Exil
أصوات من الشتات

Blogging: Stimmen aus dem Exil

Die Embassy of Hope hat momentan zwar geschlossen, aber das "Stimmen aus dem Exil" - Kollektiv des Thalia Gauß bloggt auf unserer digitalen Bühne wöchentlich Texte, Erinnerungen, Songs, Illustrationen, Videos und vieles mehr aus den letzten zwei Jahren der mehrsprachigen szenischen Lesereihe.

 

Aufbrüche 28. September 2018

Foto: Sven Malke

 

Arrivals Hall

 

"Here you are:

too foreign for home, too

foreign for here—

never enough for both."

You have not arrived,

and your baggage hasn't:

a haversack of native instruments

and a beating heart. A rhythm

you repeat in your prayers, a mantra.

But you know

they will never truly grasp

what it feels like to touch

the root of every word,

or let its chords stroke your throat,

or what it feels like to weave those chords

in a dark brown soil of love songs,

and they don't know, what it feels like

to scream those chords out loud,

or how they made you cry.

 

They don't know

how anxiety fills your fingers

with recipes—

words, mostly. Or how the weight

of home has been so heavy

you had to pay for extra cargo, or

how you have anglified your name

to make your home easier to carry.

 

There should be nothing that you

don't remember, but the memories

of your earth seep through the cracks

of a manicured ceramic floor

as you struggle with the trapdoor of

a language whose keys will never

reach through your borders,

force-feeding your veins an antidote

against being tongue-tied by

your foreignness.

 

So you write your name

in careful longhand, taught

on another continent— "you've got mail,

Sir! Sweet olive oil, or skin,

and brown eyes with a sparkle of

colonial education, frizzy hair

wrapped in sunlight, and my mother's

fear of god."

Each letter you carve stands for things

no overhead compartment can fit,

things that border control cannot read,

whether from right or left,

things beyond Terminal One, or Two,

because home could mean a journey

you never arrived from.

 

Shorouk El Hariry

 

Foto: Mohammed Ghunaim

 

24 Stunden  ٢٤ ساعة

دمشق ٬ ١٨ تشرين الأول ٢٠١٥ 

ضببت حقيبتي٬ قد حان وقت الرحيل٬ إلى أين….

Damaskus, 8.Oktober 2015

Ich habe meinen Koffer gepackt, es ist Zeit zu gehen.

Ich hatte keine Ahnung wohin es gehen sollte, weil alle Länder dieser Welt ihre Türen vor uns schlossen. Nur die Länder, die ihre Augen nicht vor dem Grauen verschließen konnten, machten ihre Türen auf - für eigenen Profite. 

انسانية   / انسان / انس / نسيان

Menschheit / Mensch / Liebenswürdigkeit / Vergessen

Stammt das Wort „Mensch“ oder das Wort „Menschheit“ von „Liebenswürdigkeit“ oder von „Vergessen“ ab?

 

Türkei  تركيا

Sie verkündeten, es würde mehr Kontrollen an den Grenzen geben, was bedeutet bald sind ihre Türen und auch Augen verschlossen! Also zum Flughafen und nach europäischem Stil: lastminute flight – off to turkey! Ich hatte keine Zeit mich von Mama, Papa, Bruder, Schwester, meiner Familie zu verabschieden. Es war so wie wir es auf damasquinischer Art sagen – eine Verabschiedung zwischen den Türen.

 

Wie traurig ich heute bin, wenn ich darüber nachdenke, dass ich meiner Mutter nicht die Chance geben konnte an unserer Tür um mich zu weinen – ich gab uns nicht die Chance, um unseren Abschied zusammen zu weinen.

 

Nach Beirut, zum Flughafen „Rafik el Hariry“ – der Märtyrer, der in seiner Stadt am Valentinstag 2004 umgebracht wurde.

الى بيروت الى مطار الشهيد الحريري الذي اغتيل في عيد الحب من العام ٢٠٠٤، لتبدأ مع نهايته رحلة السقوط الحر التي عرفته المنطقة.

Ich sitze am Flughafen und warte auf meinen morgigen Flug. Aber ich hatte keine Gefühle zu diesem geliebten Beirut, zu dieser geliebten Fairuz, zu diesem orientalischen Paris, außer endlich an einen sicheren Ort zu kommen – dieser Ort des Märtyrers könnte hier der sicherste sein.

 

Ich sitze am Flughafen – nicht glücklich, nicht traurig, auch nicht ängstlich; ich habe keine Angst vor dem Unbekannten. Vor den Unbekannten, die jetzt ganz Damaskus und Beirut mit ihren Flaggen, bedecken. 

في المطار أجلس لا حزيناً لا سعيداً لست مدركاً بأني قطعت الحدود و في هذه اللحظة أنا حر نفسي.

Später hat meine Mama gesagt: diese Flaggen sind in unseren Ländern gelandet und schwingen hier, um mit lauter Stimme zu rufen: du müsstest zurück nach Hause kommen, sonst würden sie einen dieser Ritter der Dunkelheit schicken, um dich aus dem Herzen von Beirut zurückzubringen. Doch wer kennt Beirut besser als ich?

لاحقاً أدركت أني لم أكن حتى قريب من إدراك الوقت  و الفعل و القدر، نعم انه حظ الدراويش.

 

 „مرحباً يا وطن, Hallo Heimat!“, so grüßen die Libanesen das Militär und die Polizei an der Kontrolle.

„Wohin geht’s, mein Sohn?“ – „In die Türkei, يا وطن, Heimat.“

„Du bist gestern erst im Libanon angekommen, wo bist du geblieben, mein Sohn?“

In meinem Herzen sagte ich: „Ich bin nicht dein Sohn und fuck you, يا وطن, Heimat”

„Ich bin in Beirut in der Nähe der Amerikanischen Universität geblieben, ich habe Freunde dort und wollte damals hier studieren.“  Ich habe über meine Adresse im Libanon gelogen; die letzten 20 Stunden habe ich am Flughafen verbracht. Hier in diesem Land habe ich keine Freunde mehr.

Herr Heimat stempelte meine Papiere und erlaubte mir seine Heimat zu verlassen.

ختم الوطن على دفتر السفر، و سمح لي سيادة الوطن بمغادرة الوطن.

 

Ich stieg ins Flugzeug ein, für das erste Mal in meinem vierteljahrhundert alten Leben. Ich hatte Angst, aber wie konnte sich die Angst in mir ausdehnen, wo ich doch nun umgeben von Wolken, in den Armen des Himmels fliege. Mein unbekannter Weg erleuchtet durch Sterne.

 

Istanbul, 9.Oktober 2015 اسطنبول، ٩ تشرين الأول ٢٠١٥

في انتظار حقيبتي ، مازلت لا أدرك اين انا ، ما زلت احاول ان اخفي وجودي عن وجوه المارة ، ولكن في الخارج ربما هناك من ينتظر رؤيتك. ابتسم ، فالابتسامة في وجه أخيك تبعث فيه الأمل. 

Ich warte auf meine Koffer, gehe durch die Gates, die Tore des Flughafens und fühle mich erleichtert, da ich das Ungewisse in ein paar Minuten erreichen werde. Wie auf heißen Kohlen stehend wartet er seit 24 Stunden. Mein junger Bruder, der uns zwei Jahren zuvor verlassen hatte. Ich durchquere die Ankunftshalle, bin im Ungewissen angekommen. Der auf mich Wartende ist eine unbekannte Person für mich; seine Gesichtszüge vom Leben und von Sorgen gezeichnet.

أمرُّ به لا أعرفه ، شاب جميلٌ يبدو عليه التعب، معه ستمضي السنين، الصديق المسافر للمستقبل ، ينادي باسمي اخي…كما يحلو له...

 Ich lief an ihm vorbei, erkannte ihn nicht. Abdullah rief: „Mohammed!“

„Ahlan Unbekannter, Ahlan Exil, auf Nimmer wiedersehen Heimat.“

اهلاً بالمجهول ، اهلاً بالمنفى و بالأمل ، ولك السلام يا وطن …  

 

 Mohammed Ghunaim

 

Foto: Mohammed Ghunaim

#LeaveNo
OneBehind

Hier geht es zu der Petition #LeaveNoOneBehind

Von und mit: Mohammed Ghunaim (Ziko), Shahin Shekho, Shorouk El Hariry, Milad Atfeh, Amal Swaid, Nail Doğan, Najd Al Bakr, Rayan Farousi, Yousef Ghazawi Video: Diaa Tarabulsi Live-Musik: Abdullah Ghunaim, Momen Shawish, Min-Dju Jansen, Meisam Amini, Hosain Amini Thalia-Ensemble: Birte Schnöink, Tilo Werner Szenische Einrichtung: Sophie Pahlke Luz, Anna Sinkemat

انكسارات| في ال ٢٨ من ايلول ٢٠١٨|

 

Ami Tu Bugu

 

امیتو بگو 

امیتو بگو توانش داری 

امیتو بگو خوابی یا بیداری حاجی

امیتو بگو کی برد کی زد 

امیتو بگو کی خورد که چت 

 

میتو بگو توانش داری 

امیتو بگو خوابی یا بیداری لاشی

امیتو بگو کی برد کی زد 

امیتو بگو کی خورد که چت

 

مثل سکس ممانه این تکست آ 

گپی که مزنم کو ، چک با 

حقیقت پش رویت تا 

ببینی که چی میشه ته راه 

مقبولی ستاره شده ماه 

مثل سری که رفته بالای دار 

صدای زجر اور آه 

کل زندگیت باختی دمی چاه 

از خاطر لحظه ای سکس با 

نیکل و جولی از کوچه هالیوودی ها

در زیر پتو آرزو کردی کل امینا را خو خو 

مثل جوره کمسایی در روی هوا چرخک زدی تو 

مثل دفعه اولی که سیگرتی کشیدی 

خود باختی و چیز را که دیدی دیگه ندیدی

 

von Meisam Amini

 

Film: Diaa Tarabulsi

Bild: Rabea Alsayed

 

Ein Brief von Yousef

 

Ich wurde nach langer Haft in Hamburg in ein anderes Gefängnis in Bremen verlegt. Es gibt ausreichend Pflege und Grundleben. Essen ist auch kein Problem, denn es ist verfügbar. Aber die Katastrophe ist, dass ich wegen der Atmosphäre des düsteren Gefängnisses, nicht essen kann.

Der Ort macht mich ängstlich und kurzatmig, ich habe keinen Appetit und ich fühle mich einsam.

Ich bin ein Mensch und ich habe Gefühle, genau wie alle anderen Menschen. Ich bin hinter Gittern und seitdem habe ich meine Freunde und Lieben nicht mehr gesehen. Ich habe wegen der Finsternis der Gefangenschaft nicht mit der Außenwelt kommuniziert.

Es ist nie einfach im Gefängnis zu sein. Ich bin in einer Krise, habe Depressionen. Ich sterbe fast im Gefängnis und niemand weiß von meinem Tod. Ich werde meinen Verstand verlieren, weil das Gefängnis mich von der Welt isoliert und meine Träume einsperrt.

Ich habe keine Straftat begangen. Ich bin nicht wegen einer Straftat angeklagt. Ich bin ein Mensch und bitte um Entlassung aus dem Gefängnis. Ich bitte um ein Leben in Würde und Stabilität. Ich bin müde von diesem Leben. Ich kann die ganze Nacht nicht schlafen. Und wegen des Mangels an Schlaf, habe ich Kopfschmerzen und meine Augen tun weh.

Ich beginne zu schwächeln und mein Körper nimmt schrecklich ab. Ich habe in meinem Land viel gelitten und hab Bitterkeit durch Ungerechtigkeit, Leiden, Krieg und Zerstörung erlebt.

Wo ist das Mitgefühl und die Freundlichkeit für den Menschen?

Wo ist das Mitleid?

Wo ist die persönliche Freiheit?

Wo sind die Menschenrechte?

Wo ist die Menschheit?

Ich bitte jedes lebende Gewissen darum, meine Situation mit Mitgefühl und Menschlichkeit zu betrachten.

Ich wurde von Banditen bedroht. Sie haben gedroht, mich zu töten. Sie stahlen mein Geld und ich bin während meiner Flucht oft von Tod zu Tod geflohen. Ich habe während meiner Reise viel Geld verloren, bis ich in Deutschland angekommen bin. Deutschland ist mein einziges Ziel und mein einziger Traum in meinem Leben.

 

Yousef Ghazawi

 

Foto: Sven Malke

 

Enttäuschungen

 

Meine Last wacht im Morgengrauen auf, kriecht in die kleine Küche, bereitet eine Tasse konzentrierter neuer Enttäuschungen für diesen Tag vor und stellt sie neben ein Glas Hoffnung auf den Tisch. Sie weckt mich mit ihrer heiseren Stimme und kalten Hand auf meiner Stirn.

Ich wache mit einem Zucken auf, nachdem mir ihre plötzliche Kälte die Schönheit meiner Träume nahm. „Guten Morgen, hab keine Angst“, sagt sie. „Ich habe deine Tasse zubereitet“. Ich danke ihr lächelnd. Ich trinke langsam, schweigend – wandere zwischen der Leere dieser Wände, gebannt vom bitteren Geschmack.

Ich stehe auf um zu gehen, aber sie rennt mir nach und hält mich an der Tür zurück. „Du hast vergessen, dein Glas zu trinken“, sagt sie und reicht es mir. Ich nippe daran, trinke - und der süße Geschmack zwingt mich zu einem Lächeln. Ich gehe aus der Tür, voller Hoffnungen und Enttäuschungen für einen neuen Tag.

Ein neuer Tag, der vom gestrigen Leid erblüht, so als würde man immer wieder neugeboren, sobald die Sonne über dem Unbekannten erwacht.
Ich gehe auf den Straßen. Nicht meine Füße führen mich, sondern mein Herz.

„Ich lebte weniger, als ich sollte,“ ein Satz, den ich niemals sagen würde. Nur dies unsichtbare Glas voller Hoffnung trinken wollen und erfüllt von Lebenskitzel vorwärts ziehen.

Ich gehe wie eine Schildkröte, die einen felsigen Berg hinauf klettert, sie zerkratzt sich ihre Seiten und die Brust, nicht das Herz. Ich gehe langsam weiter gen Spitze.

Umgeben von Hasen bin ich, bin traurig wegen der Kleinheit meiner Füße, so klein sind sie, dass ich nicht mit ihnen rennen und springen kann. Ich bin traurig - sie hüpfen jeden Tag am selben Ort.

Vorwärts gehe ich wie die, die ihr eigenes Schicksal in die Hand nahmen. Das Schicksal und das Leben selbst zu wählen. Nicht zulassen, die Benommenheit, die das Leben stiehlt.

Es ist die andere Art von Gottes Liebe für uns.

Ich folge den Fußspuren derer, die geboren sind, um Dinge zu machen, die andere nicht können: das Leben durch eine andere Brille sehen, dieses Leben leben so wie sie selbst es wollen, und nicht so wie es das Leben von einem erwartet.

Wie ein Prophet, der sieht was keiner sieht, sehe ich den Gipfel jeden Tag näher auf mich zukommen, umarme ihn, wenn ich meine Augen auf einem Kissen schließe; auf jedem Kissen, das meine körperliche Müdigkeit und Unzugehörigkeit und manchmal meine eigenen Zerstreuungen und den Lärm meiner Gedanken fest umarmt.

In der tiefsten Nacht schreie ich meine Lunge aus, schreie die älter werdende Erde an.
Ich breche die Türen der Dunkelheit, fange meine Träume, halte sie in meinem Herz.
Träume sind Hoffnungen.
Hoffnungen sind Realität, Und in meiner Realität entfalte ich mich.

 

Najd Albaker

 

Stimmen a
us dem Exil
أصوات من الشتات

Hier geht es zu allen früheren Ausgaben von "Stimmen aus dem Exil"