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age
Um alles in der Welt – Lessingtage 2022
20. Januar bis 6. Feburar 2022
Um alles in der Welt – Lessingtage Celebration of Life
Es gibt wohl kein größeres Thema als das Leben selbst: als Gegenstand für ein Festival ist es so selbstverständlich wie unmöglich zugleich. Nichtsdestotrotz ist dies die erste Ausgabe der Lessingtage nach einer Zeit, in der sich unser Zusammenleben grundlegend verändert hat. Obwohl Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise von der Pandemie betroffen waren und sind, standen überall Vereinzelung und Endlichkeit noch mehr als sonst im Vordergrund. Dem wollen wir etwas entgegensetzen: „Celebration of Life“ soll dem jetzt so wichtigen und drängendem Bedürfnis der Freude am Leben Ausdruck verleihen. Mit der Kunst das Leben feiern!
Den Auftakt macht ein Schwerpunkt zum politisch verfolgten, russischen „Gesamtkunstwerker“ Kirill Serebrennikov: Er inszeniert mit „Der schwarze Mönch“ eine Uraufführung eines Tschechow-Textes über die unbändige Sehnsucht des Menschen nach Leben. Wir freuen uns, auch seinen Kinofilm „Leto“ präsentieren zu können. Die Festivalrede hält Nino Haratischwili. In Tbilissi geboren, ist sie eine wahre Grenzgängerin und eine der eigenwilligsten, sprachmächtigsten und unerschrockendsten Stimmen der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur.
„Celebration of Life“ wird im englischsprachigen Raum auch oft als Bezeichnung für eine Trauerfeier verwendet. In diesem Sinne gehen wir auf die Fragilität des Lebens ein und zeigen Produktionen, in denen extreme Lebensentwürfe durchgespielt werden: In „Das Leben des Vernon Subutex 1“ lässt Regisseur Thomas Ostermeier seinen Protagonisten Joachim Meyerhoff die Abgründe einer von sozialer Auflösung geprägten Gesellschaft schmerzhaft erleben. Die schillernde dänische Künstlerin Madame Nielsen wiederum führt uns in „Die Welterlöserin“ unsere Widersprüche vor Augen, wenn es darum geht, die eigene Lebensweise zu hinterfragen: „Sie weiß, dass sie keine Lebensmittel kaufen soll, die mit Flugzeugen hierher transportiert werden müssen, aber, ach, Avocado soll ja sooo gesund sein, und gerade sie braucht ja gesundes Fett!“ Das Verhältnis von Leben und Umwelt thematisiert auch die vielfach preisgekrönte Aufführung des belgischen Performance-Kollektivs Ontroerend Goed – sie bebildern die Umkehrbarkeit der Dinge nach dem Point of No Return inhaltlich und formal: „Are we not drawn onward to new erA“ (lesen Sie es mal rückwärts!). Oder es geht um den radikalen Wunsch, die Lebensform gleich komplett zu ändern: Ein Schaf möchte ein Mensch werden und erleidet in „The Sheep Song“ des flämischen Kollektivs FC Bergman in berührend poetischer Bildsprache alle Ohnmachtserfahrungen, die auch die menschliche Existenz durchziehen. Die Endlichkeit des Lebens und was danach kommt, ist das Thema der „Langen Nacht der Weltreligionen“, die fragt: „Unsterblichkeit: Traum oder Albtraum?“.
Einen Entwurf für das Leben nach der Pandemie macht Toshiki Okada in „Doughnuts“. Der japanische Ausnahmekünstler eröffnet das Festival mit seiner ersten Produktion am Thalia Theater in der Gaußstraße und präsentiert damit die zweite Hausproduktion eines internationalen Regisseurs zu Beginn des Festivals. Ein vorsichtiges, freudiges „Wieder-Herantasten“ an das Leben auf der Bühne unternimmt auch die italienische Kompanie Deflorian/Tagliarini, die mit ihrer Hommage an Fellinis „Ginger e Fred“ erstmals in Deutschland präsent ist.
Am Ende des Festivals entlassen wir Sie mit einem hoffnungsvollen „Have a good day!“, der tausendfach formulierten Verabschiedung der Kassiererinnen, die noch vor einigen Monaten als systemrelevant beklatscht wurden. Die Banalität dieser Floskel, Titel der litauischen Musikperformance, wird zur Verdichtung eines der Gefühle, die bleiben, im – hoffentlich – letzten Aufbäumen der Pandemie. Die Auswirkungen dieser jüngsten Katastrophe, die im Angesicht von Klimawandel und anderen Herausforderungen nur eine weitere unter vielen ist, werden uns noch lange begleiten. Wir können aber jetzt damit beginnen, die Strukturen, die unser Leben bestimmen, als (vor allem im guten Sinne) veränderbar wahrzunehmen. Oder um es mit Kirill Serebrennikov zu sagen:
„Every day is an empty stage“.
Ausblick
Um alles in der Welt - Lessingtage
Januar/Februar 2023
Die 14. Ausgabe des internationalen und politischen Festivals stellt sich der Bewegtheit einer Welt, die sich im Ausnahmezustand befindet. Welche künstlerischen Positionen und Erzählungen entstehen, wenn eine Normalität unterbrochen wird und die Herausforderungen auf vielen globalen Ebenen größer scheinen denn je? Was sind die common grounds, auf die wir uns beziehen können – in einer Zeit, in der wir unser aller zukünftiges Zusammenleben mit Blick auf Klima, Pandemie, Ungleichheit und Krieg gestalten müssen – as actors of local & global change.
Die kommenden „Um alles in der Welt – Lessingtage“ werden in internationalen Gastspielen, Diskussionen, Filmen und Konzerten einen Fokus lenken auf die gegenwärtigen Versuche, Welt zu begreifen. Aber auch auf die künstlerischen Projekte, die der Realität andere Entwürfe entgegensetzen. Entwürfe auch im Sinne des freiheitlichen und aufklärerischen Geistes des Namensgebers Gotthold Ephraim Lessing: ein Festival über den hoffnungsvollen Prozess von Paradigmenwechseln.
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