Lessingt
age

Um alles in der Welt – Lessingtage 2015
Theaterfestival 24. Januar bis 8. Februar

Die Welt ist in Aufruhr. Bürgerbewegungen in Hongkong, auf dem Taksim-Platz in Istanbul, dem Maidan in der Ukraine. Separatistische Volksabstimmungen spalten Schottland. Rechtsgerichtete Regierungen gewinnen wie in Ungarn mehr und mehr Macht. Ein NSU-Prozess in Deutschland deckt unfassbare Geschehnisse auf, die an Massaker wie das von Anders Behring Breivik in Norwegen denken lassen. Afrikanische Flüchtlinge erreichen Europa und stellen uns vor neue Herausforderungen, doch kaum dass wir uns daran gewöhnt haben, erreichen uns weitere Flüchtlingswellen aus Syrien, verursacht durch ISIS-Gotteskrieger, die den gesamten vorderen Orient aufmischen wollen, als seien sie ein Naturereignis. Und auch alte Wunden heilen nicht, wie die Verwerfungen infolge der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, die nicht enden wollenden Konflikte zwischen Israel und Palästina… Die Liste der Ereignisse scheint unendlich. Dabei kann man kaum noch nachvollziehen, worum es jeweils eigentlich geht: Um nationalstaatliche Identität? Um Religion? Um Geld? Um Pipelines und Rohstoffe? Um Macht? Um Demokratie? Und man weiß auch nicht, wer gegen wen kämpft – Staaten jedenfalls nicht, sondern Söldner, Warlords oder Rebellen, von scheinbar unsichtbaren Mächten ins Feld geschickt. Das alles ist neu: die Unübersichtlichkeit einer ungeordneten Welt. Neu ist auch, dass die Welt globaler geworden ist, und das heißt: kleiner. Jeder Aufruhr im Donezbecken, in Afrika oder in Bagdad betrifft Europa direkt. Besorgt blicken die friedensverwöhnten Europäer in den Himmel über Portugal oder Norwegen, wo russische Kampfbomber kreisen, während im Internet die nächste Rebellion ausbricht, als demokratischer Protest oder Shitstorm – auch das ist schwer zu überblicken.


All das überfordert das Theater, denn es erzählt schlicht von Menschen. Aber ein Festival hat die Chance, Dinge zusammen zu denken. Und Menschen einzuladen, die das Zusammendenken befördern. Das Thalia Theater hat nach Ilija Trojanow, Navid Kermani, Liao Yiwu und Auma Obama zur diesjährigen Eröffnungsrede den berühmten amerikanischen Soziologen Richard Sennett eingeladen, über den Begriff „Aufruhr“ als Zustand unserer Gegenwart zu sprechen. Die Lessingtage bieten zum sechsten Mal ein umfangreiches Programm mit internationalen Theateraufführungen aus Frankreich, Belgien, Griechenland, Ungarn, der Ukraine, Russland, China und Deutschland. Den Auftakt machen wird Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, mit seiner berührenden wie verstörenden Inszenierung zu „Das schweigende Mädchen“, in der die fremdenfeindlichen Gewalttaten des Nationalsozialistischen Untergrunds vor das Jüngste Gericht gestellt werden. Die Spuren der NSU führen nach Hamburg wie nach Köln, wo der türkischstämmige Regisseur und Autor Nuran David Calis gemeinsam mit den Einwohnern der Kölner Keupstraße von den Auswirkungen der grausamen Taten bis heute erzählt. Taten, die auch in Hamburg nicht unbekannt sind.


Mit „Dementia“ kehrt der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó ans Thalia Theater zurück. Mittlerweile ein Star in der europäischen Festivallandschaft, erzählt er von der gegenwärtigen ungarischen Gesellschaft und wie sie sich unbequemer Menschen entledigt. Einen Blick auf die wirtschaftlichen Ungewissheiten werfen gleich zwei europäische Stimmen: Der Franzose Pascal Rambert erzählt gemeinsam mit 40 HamburgerInnen die Geschichte der Mikroökonomie und das griechische Theaterkollektiv Blitz verweist auf die Zeit nach der Zerstörung Griechenlands durch die Wirtschaftskrise.

Dem Phänomen der Civil Wars in ihren konkreten Realitäten widmen sich die Arbeiten der israelischen Regisseurin Yael Ronen, die in „Common Ground“ die Folgen der Bürgerkriege im Balkan thematisiert und der ukrainische Regisseur Andriy May, der mit „Maidan Tagebücher“ die Geschehnisse auf dem Maidan dokumentiert. Zum Abschluss des Festivals gibt es eine Pikanterie mit anschließendem Fest: Das Baltic House aus St. Petersburg zeigt einen russischen Macbeth mit einem ukrainischen Hauptdarsteller...


Und als besonderes Ereignis zeigen wir erstmals den gesamten Nibelungen-Zyklus nach Wagners Ring an einem Tag: eine interkulturelle Erzählung von der Geburt der Menschheit bis zu ihrer Selbstvernichtung. Begleiten Sie uns auf vielen abwechslungsreichen Reisen mit aufwühlenden Ereignissen unserer Zeit.
Wir freuen uns auf Sie!


Joachim Lux, Sandra Küpper

Das Programmheft des Lessingtage 2015 zum Download

 

Thalia-Produktionen:

Eine (mikro)öko­nomische Welt­geschichte, getanzt
von Pascal Rambert
und Éric Méchoulan

 

Nathan der Weise
von Gotthold Ephraim Lessing
Regie Nicolas Stemann
Mit dem Sekundärdrama
„Abraumhalde“ von Elfriede Jelinek

 

Die lächerliche Finsternis
von Wolfram Lotz
Regie Christopher Rüping

 

Die Schutz­befohlenen
von Elfriede Jelinek
Regie Nicolas Stemann

 

Hanumans Reise nach Lolland
von Andrej Iwanow
Regie Tiit Ojasoo & Ene­Liis Semper

 

NIBELUNGEN! Der ganze Ring
Regie Antú Romero Nunes
nach Richard Wagner, Friedrich Hebbel und Altvätern

 

Die Wilde 13. Vom Sitzen auf angestammten Plätzen
von Olivia Wenzel
nach K. Schaefer & M. A. Reyes
Regie Jan Gehler

 

 

Gastspiele:

Kammerspiele München
Das schweigende Mädchen
von Elfriede Jelinek
Regie Johan Simons

 

Schauspiel Köln
Die Lücke 
von Nuran David Calis

 

Theater Bremen Junge Akteure
Kinder|Soldaten
von Gernot Grünewald

 

NTGent
Afrika
von Peter Verhelst

 

Beijing Young Dramatists Association
Bernstein
von Liao Yimei
Regie Meng Jinghui

 

Maxim Gorki Theater, Berlin
Common Ground
von Yael Ronen & Ensemble
Regie Yael Ronen

Proton Theatre, Budapest
Dementia 
von Kornél Mund­ruczó & Kata Wéber / Proton Theatre
Regie Kornél Mundruczó

 

Blitz Theatre Group, Athen
Late Night

 

Compagnie La Baraka, Lyon
El Djoudour (Roots)
Choreografie Abou Lagraa

 

Hiros, Brüssel
Some Use for Your Broken Clay Pots
von und mit Chris­tophe Meierhans

 

Fix&Foxy, Kopenhagen
Triumph of the Will
nach Leni Riefenstahl
Regie Fix&Foxy

 

Baltic House Festival Theatre, St. Petersburg
Macbeth
von William Shakespeare
Regie Luk Perceval

 

Maidan Tagebücher
von Natal’ya Vorozhbit
Regie Andriy May

 



Lange Nacht der Weltreligionen:

REligion und gewalt

 

Trailer Lessingtage 2015
Impressionen der Lessingtage 2015

Eröffnungsrede von Richard Sennett
Förderer