Rezensionen zu
Die R
äuber

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Schillers “Die Räuber” wurde 1782 uraufgeführt. Er selbst schwänzte die Militärakademie um seiner Uraufführung beiwohnen zu können. Das Drama verschaffte ihm über Nacht nationale Bekanntheit und gilt bis heute als eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass nahezu alle zeitlosen, übergeordneten oder in Schillers eigener Epoche verordneten Deutungsansätze des Dramas herausgearbeitet wurden. Von der Materialismus-Kritik bis hin zu Kategorien von Gut und Böse, wurde alles mehrfach diskutiert, jedes Wort wurde umgewälzt. Um es einfach zu machen: der Originaltext ist alt und ausgelutscht.

 

All das scheint Michael Thalheimer egal zu sein, wenn er Franz Moor zum wiederholten Male seine Wut auf die Welt schildern lässt, ohne etwas hinzuzufügen. Er trifft keine großen Entscheidungen, nutzt keine Zeichen der Gegenwart, setzt keine Kontexte. Der Aufführungstext weicht, nach postmodernen Maßstäben, kaum vom Theatertext ab. Das ist problematisch, denn “die Funktion der Inszenierung besteht darin, das Werk getreu den vom Autor im Dramentext niedergelegten Aufführungen relevanten Zeichen auf der Bühne umzusetzen” (Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2014, S. 85) und nicht den Dramentext nahezu wortgetreu wiederzugeben, besonders nicht wenn, er so sperrig ist.

 

Dabei ist die Inszenierung wunderschön und gespickt mit ästhetischen Momenten. Der Augenblick, in welchem Franz enthüllt wird, die Euphorie von Karl inmitten der sich drehenden Bühne, die blutverschmierten Räuber, untermalt von Bert Wredes atmosphärischem, an “Dead Man” (Jarmusch, Jim: Dead Man. Los Angeles: Miramax Film 1995). erinnernden Soundtrack. Auch, dass an ein riesiges Gefängnis oder einen Wald erinnernde Bühnenbild ist für das Auge. Nur leider nicht mehr.

 

Die Inszenierung wirft darüber hinaus noch einige Fragen auf. Wenn schon mit der patriarchalen Ader des Stückes gebrochen werden soll, indem Amalia als emanzipiert und die Räuber als Räuberinnen inszeniert werden, warum besetzt Thalheimer dann ausgerechnet Franz mit dem von Schiller intendierten Geschlecht? Auch wenn Merlin Sandmeyers Spiel Spaß macht, seine Verrenkungen, sein Kampf, seine Unruhe, ist es doch fraglich, warum in einer Inszenierung voller Frauen einem Mann die größte Rolle zukommt.

 

Für wen ist die Thalheimer Inszenierung etwas? Menschen, die sich mit dem Stück beschäftigt haben, es kennen und schon einmal gesehen haben, werden das Thalia kaum klüger verlassen, als sie es betreten haben. Menschen, die noch nie etwas von “Die Räuber” gehört haben werden vom Text erschlagen. Die richtige Zielgruppe sind wohl Menschen, die das Drama gelesen haben oder zumindest mit der Sprache vertraut sind, aber sich noch nicht intensiv Gedanken gemacht haben, frei nach dem Motto: endlich mal nen´ richtigen Schiller sehen!

 

Jonas Harms, Universität Hamburg, 20 Jahre