Baltic Sta
r Award 2021

Dank von Joachim Lux anlässlich der Verleihung des „Baltic Star Award 2021“

(Sankt Petersburg, 11.10. 2021)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

vor Ihnen steht heute hier ein „Sputnik“, ja, Sie hören richtig. Damit möchte ich nicht auf das Vakzin anspielen, sondern auf den Beginn der Raumfahrt im Jahr 1957. Und auf meine Eltern, die mich, der ich in diesem Jahr geboren wurde, ihren „kleinen Sputnik“ nannten. Das Jahr 1957 ist gleichzeitig das Jahr, in dem St. Petersburg und Hamburg sich – mitten im Kalten Krieg – zu einer Städtepartnerschaft verabredet haben. Ich glaube, wir Heutigen können uns kaum vorstellen, welchen Großmut  I h r e Eltern und Großeltern aufgebracht haben, um nach den Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere an der Bevölkerung von Leningrad, den Deutschen die Hand zu reichen, ja, Freundschaft zu schließen. Wenn ich hier heute als Deutscher vor Ihnen stehe, kann ich gar nicht nicht daran denken, dass hier über eine Millionen Menschen verhungert sind. Wir Deutsche dürfen niemals aufhören, uns unserer historischen Schuld zu stellen. Niemals.

 

In mir kommen Bilder hoch, Bilder von dem armen Petersburger Poeten Daniil Charms, der in Leningrad durch die Nazis den Hungertod sterben musste, nachdem ihm allerdings auch die Sowjets schon übel mitgespielt hatten. Es berührt mich, dass ich in einem Hotel untergebracht bin, das nach Daniil Charms OBERIU-Dichterfreund Alexandr Vvedenskij benannt ist – auch er, mehrfach verbannt und verhaftet, starb bei einem Gefangenen-transport, der auf der Flucht vor den Nazis war. Bilder auch vom 8. Mai 1995, als ich mit einem Theater-Gastspiel im MChat zum ersten Mal in Moskau war, Bilder von einem sonnigen Tag, an dem Millionen Russinnen und Russen auf der Twerskaja standen und gemeinsam mit den Alliierten ausgelassen den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus feierten…

 

Vor dem Hintergrund dieser problematischen Vergangenheit ist es mir eine besonders große Ehre, als Deutscher den „Baltic Star Award“ verliehen zu bekommen. Einen Preis, den schon bedeutende Künstler wie Andrzej Wajda, Gideon Kremer, Krzysztof Penderecki, Arvo Pärt und – aus meinem Gesichtsfeld – der belgische Regisseur Luk Perceval oder der amerikanische Choreograph John Neumeier bekommen haben, aber soweit ich sehe, - außer Heinrich Böll posthum – noch nie ein Deutscher. Ich danke Ihnen sehr für das Vertrauen!

 

 

Aber zur Gegenwart und Zukunft! Was können wir in den Künsten tun – zumal die politischen Spannungen derzeit besonders besorgniserregend sind?

 

Lassen Sie uns bitte noch entschiedener im Geiste des Russen Dostojewski und des Deutschen Lessing den Traum leben, Menschen universell im Respekt voreinander zu verbinden! Und zwar gerade w e i l  sie so verschieden sind. Für diesen Traum bekam Lessing im Hamburg des 18. Jahrhunderts übrigens Berufsverbot. Warum ist so etwas heute immer noch möglich?

Lassen Sie uns bitte, wie der deutsch-jüdische Philosoph Adorno 1951 in seiner „Minima Moralia“ schrieb, das Recht verteidigen, „ohne Angst verschieden sein zu können.“ – eine sehr kluge Formulierung für das, was „Freiheit“ meint!

Lassen Sie uns dafür engagieren, dass die Unterschiede der Nationen, Kulturen und Religionen respektiert werden!

Lassen sie uns dafür engagieren, dass Unterschiede der Hautfarben oder geschlechtlicher Orientierungen geachtet werden!

Lassen sie uns dafür engagieren, dass jedes Menschen Meinung geachtet und nicht mit Sanktionen belegt wird, in Ost und West, im Norden wie im Süden.

 

Warum fällt uns all das, was so selbstverständlich klingt, so schwer? Sind wir nicht hinreichend ins Gelingen verliebt? Es gibt viel zu tun, gerade für die Kultur. Kultur kann dort, wo Politik versagt, Brücken bauen, Grenzen niedererzählen, niederspielen und niedermusizieren! Daran glaube ich!

Kultur ist das kollektive Archiv der Menschheit, ihres Leidens, ihrer Auseinandersetzungen, ihrer Träume und Hoffnungen. Davon werden wir nie aufhören zu erzählen. Denn Kunst ist vor allem eins: frei.

 

Zum Schluss noch einmal zu Petersburg und Hamburg: Hier ist in bald 65 Jahren Partnerschaft schon viel gelungen. Und das Thalia Theater ist ein Teil davon. Lassen Sie uns trotz Widrigkeiten weiter neugierig aufeinander bleiben und den kulturellen Austausch, gerade in problematischen Zeiten, erst recht leben! Lassen Sie uns „Sputniks“ sein. Denn, soweit ich weiß, bedeutet dieses Wort ursprünglich „Weggefährten“ – das wäre doch sehr schön…  

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.