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Maß fü
r Maß

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Macht. Seuche. Geilheit. Demokratie. Keuschheit. Staatsmacht. Sitte. Widerstand. Moral. Leidenschaft. Übertreibung. Parodie. Fehler. Menschen. Freiheit. Verantwortung. Maßlosigkeit. Macht. Seuche. Geilheit. Demokratie. Keuschheit. Staatsmacht. Sitte. Widerstand. Moral. Leidenschaft. Übertreibung. Parodie. Fehler. Menschen. Freiheit. Verantwortung. Maßlosigkeit. Macht. Seuche. Geilheit ... Diese Schlagworte gehen mir immer wieder durch den Kopf als ich die Premiere von „Maß für Maß“ am 02. Oktober 2020 unter der Regie von Stefan Pucher im Thalia Theater verlasse. Das Gedankenkarussell dreht sich unentwegt weiter und in dem Versuch Klarheit zu schaffen, gerate ich immer weiter in die Spiralen dieser pompösen Inszenierung.

Der Herzog (in dieser Inszenierung eine Herzogin) erkennt, dass seine Vernachlässigung der Regierungsgeschäfte zu einem Sittenverfall in der Stadt geführt hat. Sie überträgt die Herrschaftsgewalt an seinen Stellvertreter Angelo. Die Herzogin gibt vor zu verreisen, bleibt aber als Mönch verkleidet in der Stadt und beobachtet das Geschehen. Angelos Amtshandlungen arten schnell aus: Er will den jungen Claudio zum Tode verurteilen, weil er den Schwedischen Odem bei Frauenbesuchen verbreitet hat. Dafür holt er ein schon längst vergessenes Gesetz auf die Bildfläche. Zudem verordnet er den Abriss aller Bordelle an. Der junge Claudio fleht seine Schwester Isabella, eine junge Nonne, die gerade ins Kloster eingetreten ist, an, bei Angelo um sein Leben zu bitten. Angelo nutzt die Gelegenheit, um endlich sein Begehren nach ihr mit der Freilassung ihres Bruders zu stillen. Er erpresst sie und die verzweifelte Isabella sieht keine Chance unter diesen Bedingungen ihrem Bruder zu helfen. Hier beschließt die Herzogin wieder einzugreifen und verbringt als verkleidete Isabella eine Nacht mit Angelo. Auf dem Höhepunkt seiner Ekstase eröffnet die Herzogin ihm sein Vergehen und Angelo bittet auch für sich um die Todesstrafe.

Stefan Pucher inszeniert dieses Stück mit einem wendbaren Bühnenbild, welches durch die Drehscheibe zum einen den Regierungssitz darstellt und zum anderen das innere Verlangen eines jeden Menschen. Auf dieser Hälfte des Bühnenbildes befinden sich ein fleischiger Schädel, Fleischstücken, Gedärme, ein geopfertes Schaf und ein in sich verdrehter Penis. Ein Bühnenbild welches sich zusammen mit den Kostümen zu einem bunten Schauort vereint. Die beiden Spielorte werden durch drei Leinwände voneinander getrennt und umfasst, denn die Inszenierung arbeitet größtenteils mit einer Live-Übertragung. So kann das Geschehen auf der „anderen Seite“ der Bühne gezeigt werden und ermöglicht dem Zuschauer einen interessanten Blickwinkel. Allerdings wären diese Kameraübertragungen nicht zwingend notwendig gewesen. Viel mehr hätte ich lieber diese eindringlichen Momente live über die Bühne verfolgt und nicht ständig auf eine Leinwand gestarrt. Zum Teil werden sogar ganze Dialoge zwischen Schauspieler auf der Bühne und Leinwand so geführt – ein Stilmittel, welches das Rad nicht neu erfindet.

Zurück in meinem Gedankenkarussell merke ich, dass der Titel der Inszenierung Programm ist. Ein schmaler Grad zwischen maßloser Übertreibung und der Suche nach dem „richtigen Maß“. Dabei werden viele Fässer aufgemacht, die eine Vielzahl von politischen und moralischen Themen aufgreifen und wieder fallen lassen. Vielleicht sollen sie dem Zuschauer ins Gedächtnis gerufen werden und grundsätzlich befürworte ich das „eigene Nachdenken über das Gesehene“, aber der Zuschauer fühlt sich schnell in dieser Wonne verloren. Eine große Bereicherung an diesem Abend ist Jirka Zett, der den vor Leidenschaft brennenden Angelo verkörpert. Mit zarten Bewegungen im Körper und feiner Mimik trägt er die Unterhaltung des Abends. Ohne Zweifel lässt sich sagen, dass diese Inszenierung Jedermann gut unterhalten hat und der brünstige Humor auch die letzte Reihe gefasst hat. Wortwitz und Situationskomik stellen sich der Ambivalenz des Stückes und so lässt sich dieser leicht konfuse Abend in guter Erinnerung behalten. Anders als auf der Bühne zu sehen, vegetiert der Zuschauer nicht in seinem Platz dahin und wird von Fliegen befallen. Die Aufmerksamkeit bleibt bei den Spielern und Spielerinnen, denn wie schon ein altes Sprichwort sagt: „Denn mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.“ - die Messlatte an Eindrücken ist definitiv hoch und so dreht sich das Karussell weiter:

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von Linnea Vogel, Vorstellungsbesuch am 02.10.2020