Zu
m 8. Mai

von Joachim Lux

Am 8. Mai 2020 begehen Deutschland und Europa den 75. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Nationalsozialismus. Der Weltkrieg war zu Ende, Hitlerdeutschland hatte am 8. Mai 1945 die Kapitulation erklärt. Im Gedenken an diesen Tag zeigt das Thalia Theater online Luk Percevals Inszenierung „Jeder stirbt für sich allein“ (1912) von Hans Fallada. Wir würden diese Inszenierung gern live zeigen, aber das geht derzeit nicht. Der Abend ist ein Zeugnis für die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit!

 

„Jeder stirbt für sich allein“ hat alle nur erdenklichen Preise bekommen: Aufführung und Bühnenbild des Jahres, Deutscher Theaterpreis Faust für Regie und Bühne, Berliner Theatertreffen und viele mehr.
Das Corona-Virus, das ganz Deutschland und Europa, ja die Welt im Griff hat, verhindert das öffentliche Gedenken an das Kriegsende und den geplanten Staatsakt in Berlin – in Berlin übrigens erstmals ein Feiertag. Nach heutigen Schätzungen starben infolge des von Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkriegs in nur sechs Jahren bis zu 80 Millionen Menschen. Auf den Ruinen von Europa baute die damals junge Generation der heute über 85jährigen Europa wieder auf.
Aleida Assmann hat angeregt, diesen Tag, der zugleich den Grundstein für die Idee eines freiheitlichen Europas gelegt hat, zu einem gesamteuropäischen Gedenktag zu machen.

 

Den 8. Mai 1945 vor allem als Tag der „Befreiung“ zu lesen anstatt als Tag der Kapitulation war für die Deutschen ein weiter Weg, ermöglicht erst durch eine große Rede von Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1985). Zehn Jahre später wurde der 50. Jahrestag an dicht aufeinanderfolgenden Tagen mit großen Staatsakten in Paris, London, Berlin und Moskau gefeiert. An Weizsäcker anknüpfend luden Michel Friedman und Jürgen Flimm unter dem Titel „Die Freiheit hat Geburtstag. Engagieren wir uns!“ zu einem „fröhlichen Fest der Freiheit“ (Jürgen Flimm) ins Thalia-Theater ein – u.a. mit Vanessa Redgrave, Armin Müller-Stahl, Will Quadflieg.

 

An demselben 8. Mai 1995 wurde ich in Moskau Zeuge, wie Millionen Menschen aus allen ehemaligen Sowjetrepubliken auf der Twerskaja den Sieg der Freiheit über den Faschismus (und nicht explizit über die Deutschen) feierten. Während wir aus diesem Anlass Vladimir Sorokins „Ein Monat in Dachau“ im Künstlertheater zeigten, trafen sich parallel die damaligen Staatschefs der 4 Alliierten Bill Clinton, Boris Jelzin, François Mitterand und John Major sowie: Helmut Kohl. Tagsüber schien die Sonne, als ob sie sonst nichts vor hätte, Chemiebomben machten es möglich, abends schneite es dann wieder…

 

Und heute? Ist kein öffentliches gemeinsames Denken über 75 Jahre Frieden und Freiheit in Europa möglich. Aber wir können uns an den Widerstand kleiner Leute wie Hilde und Otto Quangel in Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ erinnern. Immerhin.