Rezensionen zu
Ein M
ensch b
rennt

Schulbotschafterinnen und Schulbotschafter verfassen regelmäßig Rezensionen

 

 

Das Stück ist in einer Zeit der Krisen, Konflikte und Kriege mit globalem Ausmaß verortet, im Deutschland der 70er Jahre. Die Welt ist in zwei antagonistische Lager aufgeteilt, den kapitalistischen Westen, der eine freie Marktwirtschaft betreibt, die die westliche Welt mit einem Übermaß an Konsumgütern und materiellen Wohlstand überflutet und der Expansion des konträren Kommunismus entgegenwirkt, durch militärische Inventionen und schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts in Vietnam und in den kommunistischen Ostblock, der die Revolution der Arbeiter durchsetzen will und dabei mit allen Mitteln der autokratischen Tyrannei, des ideologischen Dogmatismus und der politischen Abkapselung vorgeht.


Das von den Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg annektierte und geteilte Deutschland ist davon auch betroffen und genauso gespalten und zerrissen, wie die Welt. Es ist aber auch die Zeit der Proteste, des Aufruhrs und der Umbrüche. Eine aufbegehrende Jugendrevolte bildet sich, sowie ein aufkommendes Umweltbewusstsein, das Aktivismus und die in den 80er Jahren gegründete Partei “Die Grünen” hervorbringt. Teil dieses neuen Aktivismus und der politischen Einmischung ist auch die Anti-Atomkraft-Bewegung, der auch die Figur des Stücks, der radikale Aktivist Hartmut Gründler angehört. Er zieht zur Untermiete bei den Kelsterbergs ein. Eine gewöhnliche mittelständische Familie, die sich vor allem für Fußball, Fußballsticker und ihr privates Familienglück interessiert.


Der Vater Kurt Kelsterberg ist skeptisch gegenüber dem aufopferungsvollen Engagement und den radikalen politischen Ansichten seines Untermieters, der versucht, die von ihm so bezeichneten “atomaren Lügen” der Regierung aufzudecken und gegen die Errichtung eines Endlagers für Atommüll rebelliert. Der Vater tut dies als Wahnvorstellungen und Verschwörungstheorien ab. Die Mutter Marta Kelsterberg hingegen lässt sich von seinen politischen Vorstellungen einnehmen und unterstützt diese, sie wird selber zur aufständischen und zur erklärten Gegnerin der Atomenergie, die nun versucht, auch ihre restlichen Familienangehörigen davon zu überzeugen.

 

Doch der Aktivismus von Gründler scheitert, er bleibt ungesehen und ungehört, schlussendlich wirkungslos. Frustriert darüber fasst er den endgültigen Entschluss, alles zu opfern, was er hat, sein Leben. Er reist nach Hamburg, um sich in der Mönkebergstraße mit Benzin zu übergießen und sich als Symbol selbstgewählter Rebellion anzuzünden. Doch selbst sein Selbstmord, seine politische Rebellion bleibt wirkungslos und wird beinahe nur von der Mutter gesehen und wertgeschätzt.
Die Ehe der Eltern zerbricht an den unterschiedlichen politischen Positionen, worunter besonders ihr gemeinsamer Sohn Hanno leidet, aus dessen Perspektive uns diese Geschichte erzählt wird.


Das Theaterstück schafft es, diese Geschichte in sanften und schlichten, wie kraftvollen und einprägsamen Bildern zu schildern. Selbst die wiederholten Musikeinlagen, bei dem selbst Schreibmaschine und Megaphon zum Musikinstrument umfunktioniert werden, wirken nie unpassend und fügen sich harmonisch in eine stringente und doch vielfältige Entität ein, die dem Stück zudem einen mitreizenden Rhythmus und eine lebendige Atmosphäre verleihen. Die Schauspieler spielen ihre Rollen überzeugend und einfühlsam und die schlichte Kulisse, ein Art Holzverschlag, der mit Schallisolierung gedämmt ist, und die unpolitische Blase der Mittelschlicht, sowie die getrennten politischen Ansichten verdeutlichen soll, fügt sich mühelos in das Schauspiel ein.


Das Stück wirft die Frage auf, wie weit politischer Protest gehen darf, ob er überhaupt lohnenswert und sinnvoll ist und inwieweit er Unbeteiligte involvieren darf. Eine Fragestellung, die gerade in unserer heutigen Zeit sehr aktuell und relevant ist, in der wir erneut mit neuen gesellschaftlichen Umbrüchen und globalen Konflikten konfrontiert sind, die uns zum politischen Handeln auffordern.  Wie die Klimakrise, die technische Revolution der Digitalisierung, die zur Speicherung unserer Daten führt, die massenhaften Wanderungs- und Fluchtbewegungen und die Unterdrückung durch autoritäre staatliche Restriktionen. Als Antwort auf diese politischen Herausforderungen unserer Zeit bildet sich eigener politischer Aktivismus, wie die “Fridays For Future” Demonstrationen, sowie neue politische Leitbilder, Rebellen und Whistleblower, wie Greta Thunberg, Edward Snowden oder Carola Rackete, die versuchen unsere Welt politisch mitzugestalten und sich in den Dienst der Wahrheit und der politischen Gerechtigkeit stellen und dafür ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre gesellschaftliche Existenz einsetzen. Ich für meinen Teil befürworte diesen politischen Einsatz und sehe auch die Bürger in der Verantwortung, für ihre politischen Vorstellungen einzustehen.


Schade, dass das Stück daher die Notwendigkeit von politischem Protest nur sehr einseitig beleuchtet und ihn zum Scheitern verurteilt, bzw. ihn ausschließlich als zerstörerisch und kontraproduktiv hinstellt, der das private Familienglück sabotiert und stört. Dabei haben doch gerade die Proteste in den 80er Jahren, die zum Fall der Mauer beigetragen haben, gezeigt, was politischer Protest vermag. Dennoch ist “Ein Mensch brennt” ein Stück von brennender Aktualität, das Fragen aufwirft, die auch noch heute zur Diskussion stehen, zum Nachdenken anregt, kraftvolle Bilder und eine intensive schauspielerische Erfahrung bietet.

 

Laurence Volquardsen, HAW Mode-Design, 3. Semester