Die Kontr
akte des Kaufman
ns. Eine Wirtschaftsk
omödie

"Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst"

Eine höchst einfallsreiche„Textumsetzungsmaschine“, die der Theatermaschinist Stemann da schwungvoll anwirft und vier Stunden lang gekonnt am Laufen hält.

Wie jene verspielten, von Motoren angetriebenen, aus Draht und bunt bemaltem Blech gefertigten und mit allerlei Fundstücken bestückten Maschinenplastiken von Jean Tinguely will Stemanns textverarbeitende Theatermaschinerie das Improvisierte und Absichtslose ihrer Konstruktion weniger verbergen als bewusst ausstellen.

Gleich zu Anfang klärt uns der Regisseur vorsorglich darüber auf, dass die Arbeit an der Maschinerie für ihn und seine Schauspieler ebenso wie für die Textproduzentin noch keineswegs abgeschlossen ist, dass da also laufend geändert, erweitert, repariert werden wird, und dass wir gut und gerne vier Stunden einkalkulieren sollen, wenn wir diesem ergebnisoffenen Vorgang trotzdem beiwohnen wollen. Wir wollen. Wie auch nicht? Wann haben wir schon Gelegenheit, der Illusionsmaschine Theater etwas näher auf den sonst so sorgsam verhüllten Leib zu rücken?

Dass der Text, an dem Stemann sich im Verein mit seinen Schauspielern abarbeiten will, für Illusionen aller Art nicht zu haben ist, dass er dem Regisseur also weder mit Figuren noch mit Geschichten, weder mit konkreten Situationen noch mit Dialogen unter die Arme greift, wissen wir – schließlich ist er von Jelinek. Wer wider besseres Wissen auf einem „richtigen“ Theaterabend mit einem „richtigen“ Stück und „richtigen“ Figuren insistiert, wird nicht auf seine Kosten kommen. Aber er ist ja gewarnt. Und er darf zwischendurch raus, wenn’s allzu schlimm oder zu lang oder zu jelinesk wird. Wo sonst wird schon so schonend mit dem Publikum umgegangen?

Nicht geschont werden der Regisseur und die Schauspieler– sie müssen drin bleiben. Und immer alle auf der Bühne. Vier Stunden lang wird da einzeln oder im Chor gesprochen, gesungen, getanzt, gerappt und gezaubert – schließlich muss die „Textumsetzungsmaschine“ mit vereinten Kräften am Laufen gehalten werden. Sie muss nicht nur mit jeder Menge Text, sondern mit allerlei Regieeinfällen, ständig wechselnden Theatermitteln und Bühnentricks so gefüttert werden, dass das Publikum vergisst, dass am Anfang nur das Wort war und nichts als das Wort, eine Endlosschleife von Wörtern, ein Textteppich aus lauter frei schwebenden Sprechakten, kunstvoll gefügten, gezielt redundanten, hemmungslos kalauernden Wortkaskaden.

Formal ist das ein Sabotageakt gegen jede Art von theatraler Illusionsmaschine. Der Sache nach ist diese „Wirtschaftskomödie“ ein entfesseltes verbales Sperrfeuer, eine wilde und wütende Suada gegen jene kapitale Illusionsmaschine, die jetzt in der globalen Finanzkrise ihre ganze zerstörerische Kraft entfalten darf. Ihr Treibstoff: ein explosives Gemisch aus Geld und Gier. Der tiefe Glaube ans große Geld, der höher ist als alle Vernunft und den die Zocker vom Dienst, hier vertreten durch den „Chor der Greise“ mit den abgezockten Kleinanlegern teilen (es ist das einzige, was sie teilen) – dieser Glaube ist es, der die große Illusionsmaschine, diese gigantische Blase aus lauter Nichts bis zum Platzen aufgeblasen hat. Und so gehört ihm, dem Nichts auch das letzte Wort. „Dann gehört Ihnen gar nichts mehr. Nichts.“

Das Mitleid, das Jelinek mit den geprellten Kleinanlegern hat, hält sich denn auch in Grenzen. Deren „weh, weh, weh!“ angesichts sinkender Börsenkurse rührt nicht einmal die Kleinanleger im Publikum zu Tränen.

Jelineks ganze ungebrochene Wut, ihr entfesselter Sarkasmus aber gilt der Gier und dem menschenverachtenden Zynismus derer, die unbeschadet aus dem Desaster hervorgehen. Keine Menschen sind es, die im „Chor der Greise“ zu Wort kommen, sondern die freigelegte Mechanik ihrer Transaktionen, eine Logik, der alles Menschliche fremd ist. Aus ihnen spricht allein die Stimme des Geldes, des Marktes, der Bank.

Das Geld ist der eigentliche Protagonist des Abends. Es spricht, es arbeitet, es darf ‚hingehen, wo es sich wohl fühlt’, es darf ‚lieber da sein, wo es Gesellschaft hat, als da, wo es allein ist’, es darf ‚Spaß, Sport Spiel und Unterhaltung haben’ – kurz es hat, omnipräsent wie es ist, die Menschen als Akteure längst an die Wand gespielt. Es triumphiert auf der ganzen Linie und hat in Jelineks Text denn auch konsequent den größten ‚Handlungsspielraum’. Eben das aber ist die größte Herausforderung für den Regisseur – schließlich hat er es mit lebendigen Schauspielern auf einer Bühne zu tun hat. Stemann nimmt diese Herausforderung auf die denkbar klügste und einfallsreichste Weise an. Er zerlegt Jelineks Textteppich in lauter verschiedene Sprechakte und sorgt dafür, dass die mit ihnen gefütterte „Textumsetzungsmaschine“ lauter bühnengeeignete Elemente ausspuckt: Dialoge und Monologe, Choräle und Popsongs, Powerpoint-Präsentationen und Zaubertricks, Maskenspiele und Filmprojektionen, Musikinstrumente, Tiermasken, Ballons, zusammenbrechende Stahlbauten und jede Menge Kostüme und Requisiten, mit denen die Schauspieler ein anarchisches Durcheinander auf der Bühne anrichten. Und mittendrin Stemann als Spielmacher, als singender, rappender, Gitarre spielender Conférencier, der das streckenweise entfesselte Geschehen doch immer unter Kontrolle hat.

Im mittleren Teil des Abends allerdings gerät ihm seine Textumsetzungsmaschine gewaltig ins Trudeln. Die Redundanz der Texte macht sich breit, die szenischen Spielsituationen ziehen sich hin, man schaut auf die digitale Uhr, die die noch verbleibenden Text-Seiten zählt und entscheidet sich für eine Brezel im Foyer. Wer jetzt nicht rausgeht, wird nicht lange bleiben. Oder einschlafen. Wer zwischendurch seine eigne Pause setzt, kann sich danach mit frischer Aufmerksamkeit auf das Bühnengeschehen einstellen, das in der Zwischenzeit gewaltig an Fahrt aufgenommen hat und in ein furioses Finale mündet.

Doch auch wenn Stemanns in vier Inszenierungen erprobte Fähigkeit, Jelinek-Texte bühnenfähig zu machen, gar nicht genug gelobt werden kann, wenn der Einfallsreichtum und die Leichtigkeit, mit der er den Endlosschleifen ihrer assoziationswütigen Sprachexerzitien zu Leibe rückt, uns einige intelligente und unterhaltsame Abende beschert haben, hinterlassen die „Kontrakte des Kaufmanns“ ein kleines Unbehagen bei mir. Als würde eben dieser Einfalls- reichtum und diese Leichtigkeit diesmal der Schwärze und Schwere ihrer Befunde ihre Schärfe und ihre Dringlichkeit nehmen, als würde er die Wut und den Sarkasmus, der diese „Wirtschaftskomödie“ grundiert, spielerisch unterlaufen und uns unbehelligt, aber gut unterhalten aus der Vorstellung entlassen. Sie macht es uns für mein Gefühl zu leicht zu vergessen, was wir nur allzu gerne vergessen und woran Jelinek uns einmal mehr erinnert: „dass es so weiter geht, ist die Katastrophe“. Natürlich ist der Unterhaltungswert eines solchen Befunds begrenzt - leichter lebt es sich allemal mit der Devise „die Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst.“ Auch auf der Bühne, aber...

Ursula Keller ist Journalistin, Dramaturgin und Autorin. Von 1992 bis 2005 leitete sie das Literaturhaus Hamburg.


Ursula Keller