„Wir brauc
hen eine Werteg
emeinschaft“

In „Poor/Rich Europe“ lässt Regisseur Volker Lösch Studierende aus den Ländern zu Wort kommen

Autor: Annette Stiekele
Veröffentlicht in: Hamburger Abendblatt

 

Europa war über viele Jahre ein Frieden, Freiheit und Solidarität garantierendes Gebilde. Doch es steckt in der Krise. Seine Legitimation wird angezweifelt. Die Zukunft ist ungewiss. Der Theaterregisseur Volker Lösch arbeitet stets an politischen und sozialen Themen, die ihm unter den Nägeln brennen. Derzeit treibt ihn der schleichende Verfall Europas um.
Für „Poor/Rich Europe“ arbeitet er in Salzburg derzeit mit 21 Theater-Studierenden aus zehn europäischen Ländern. Am 10. November gastiert die Aufführung anlässlich der Thalia-Festwoche im Thalia in der Gaußstraße.

„Die Ungleichheit nimmt in allen Ländern Europas zu“, sagt Volker Lösch. „Es gibt eine Riesenkluft zwischen den Nord- und den Südländern. In Griechenland, Portugal und Spanien sind zuletzt soziale Notlagen entstanden.“ Gleichzeitig mehrten sich die Bestrebungen, eine Festung Europa mit einer hochgerüsteten Außengrenze zu errichten. Populisten und Nationalisten beschwörten Zuwanderung als Ursache aller Probleme.
Lösch orchestriert in der Inszenierung Studierende der Abteilungen Schauspiel, Regie und Theaterpädagogik. Alle haben in ihrem jeweiligen Land recherchiert. Jeder bringt eine Geschichte mit, die von der individuellen Lebenssituation erzählt. Vom Reichtum und Leben in einer Wohlstandsblase in Norwegen genauso wie von rauer Wirklichkeit in Spanien. Von Erfahrungen mit Migration und Gentrifizierung, also Verdrängung alteingesessener Mieter, in den Städten.

Lösch kommt es auf eine soziale Durchmischung an. „Europa ist dann bedroht, wenn man an die sozialen Grundfragen nicht rangeht und den Kapitalismus nicht hinterfragt“, sagt er. Dazu zählen für ihn fehlende Arbeitsplätze auch und gerade für junge Menschen und die Angst vor dem sozialen Abstieg auch der Mittelschicht. „Das muss dringend auf die Agenda. Derzeit kämpft in Europa jeder nur noch gegen jeden, innerhalb des eigenen Landes, und gegen die anderen sowieso“, so Lösch. „Die Solidarität ist weg, und so ist der europäische Gedanke jungen Menschen nicht mehr zu vermitteln.“

Um aus den einzelnen Teilen ein Ganzes zu bilden, ist Lösch derzeit als Mentor täglich zehn Stunden lang auf 15 Probebühnen unterwegs. Der Regisseur, bekannt geworden mit dokumentarischem Theater, in dem er neben Profis häufig Laien aus sozialen Gruppen einband, setzt zur Rettung Europas auf künstlerisches Engagement. Am Ende des Abends steht symbolisch eine Charta mit Werten, die die junge Generation für erhaltenswert erachtet. „Ich glaube, dass internationale Solidarität den Grundgedanken von Europa darstellt, auch wenn inzwischen sogar von linker Seite Nationalismus vertreten wird. Migration ist aber nicht aufzuhalten, wir müssen aktiv damit umgehen. Kein Mensch flieht freiwillig, und wir sind auch Verursacher von Fluchtgründen“, so Volker Lösch. „Europa muss eine Wertegemeinschaft sein. Ein Staatengebilde, das Verantwortung übernimmt. Diese Gedanken sind abhanden gekommen.“ Der Regisseur setzt alle Hoffnung in die nächste Generation: „Die Jüngeren sind wieder stärker politisiert.“