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kie. Ein Prinzess
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Den Anker im Nichts

Eine Wiederkehr aus dem Totenreich, nein aus einem Zwischenreich, von dort, wo man - noch - nicht ruhen darf. Aus dem Äther der Unsterblichen, wie die Stars auch genannt werden. Wie in einem Horrorfilm, wo sich die Toten über nicht-besetzte-Fernsehkanäle-rauschend nur den Auserwählten zu erkennen geben, um mit ihnen zu kommunizieren. Katharina Matz stellt Jackie auch als einen Zombie dar, weniger im Sinne des Regisseurs Oscar Romero, mehr im Sinne des ursprünglichen Zombies, des Wiedergängers. Einem, von dem die Mitmenschen nur denken, er sei bereits tot, dabei war er nur kurz scheintot, um bei lebendigem Leibe erst begraben und dann - zutiefst traumatisiert - wieder ausgegraben zu werden. Dann wandelt er auf der Erde, nicht in der Lage, in das Reich der ewigen Ruhe zu gelangen. Ein Schicksal, welches viele Stars ereilt: vor einigen Jahren wurde mithilfe modernster Technik ein Werbeclip für eine Luxus-Uhr mit Steve Mc Queen produziert. Zusammengestückelt. Postmortem. Now you can shoot the Dead! Einige der indigenen Völker Nordamerikas stellen sich vor, dass die Menschen noch eine gewisse Zeit nach ihrem Tod in einem Zwischenreich bleiben und spinnwebartige Fäden zu den geliebten Menschen aufrecht erhalten, die ihre Hilfe noch brauchen. Erst wenn sie nicht mehr gebraucht werden, können sie gehen. Zu den anderen Toten. Und ruhen. Jackie ruht also nicht. Zu Lebzeiten ruhte sie auch nicht. Brauchen wir sie also? Halten wir ihre Fäden noch fest?

Die Taille. Sie taucht sprachlich immer wieder auf, soll nicht zu sehen sein, sie wird durch das Vermeiden ihrer Anwesenheit zur zentralen Vorstellung, zur Wahnvorstellung, so wird ihr Bild geradezu heraufbeschworen. Auch sonst platzt das Körperliche in Elfriede Jelineks Text geradezu aus den Nähten, es verschafft sich Raum, weil es zu lange nicht beachtet wurde oder doch eher missachtet, sogar misshandelt wurde.
Es ist, als würde sich körperlich auflösen, wer sich zu viel mit dem Image in den Medien, dem Schein beschäftigt, das Wort sagt es schon: Schein. Da ist nichts Stoffliches mehr. Da geht es mehr um Licht und Reflexion. Stofflich sind die Nähte, von denen Jackie spricht, auch sie tauchen immer wieder auf. Nähte, die etwas zusammenhalten, die etwas verbergen, Fleisch, welches durch Nähte hervorplatzt, Fleisch, welches von Nähten verborgen wird, welches die Nähte nicht berühren darf, oder andersherum? Marylin verkörperte das, was Jackie nicht hatte und natürlich vice versa. 2 Frauen die nicht waren, weil sie nicht sein durften, weil wir sie als Schein brauchten. Und brauchen. Sonst würden wir sie ja loslassen.

In der US-amerikanischen TV-Serie Mad Men, angesiedelt in New York Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre gibt es eine Folge, in der die Werber ihrem Vorgesetztem mit einem Blick durch die Tür ins Grossraumbüro der Vorzimmerdamen erklären, was los ist: jede Frau will entweder oder sein: Marylin oder Jackie, Jackie oder Marylin. Währenddessen schweift die Kamera über eine ganze Armada von blonden und dunkelhaarigen Frauen, die nicht nur durch ihre Haarfarbe ihre "Zugehörigkeit" demonstrieren: mit übergeschlagenen, wippenden Beinen lasziv am Bleistift kauend oder ordentlich an der Schreibmaschine tippend, mit zusammengekniffenen Knien und hochgeknöpften Oberteilen. Mit genau diesem Aspekt soll nun in dieser Folge der Serie für ein Produkt geworben werden: wir sehen den Entwurf einer Print-Werbung, gänzlich in Schwarz/ Weiss, auf der ein und dasselbe weibliche Modell mit jeweils einer dunkelhaarigen und einer hellen Perücke Jackie und Marilyn verkörpert, dargestellt vor Weiss bzw. vor Schwarz. Wie in einem Negativ wechselt sie die Seiten: Mit diesem Produkt können Sie beide Frauen sein! Blond und Schwarzhaarig. Licht und Schatten. Leben und Tod.

„Aus uns Frauen spricht der Tod", hören wir Jackie auf der Bühne sagen und mir eröffnen sich Bilder von Jackie und Marylin und der Reigen der Wortpaare setzt sich fort. Heilige und Hure. Prinzessin und böse Stiefmutter. Und und und. Immer wieder die Betonung dieser zwei Seiten, diese Spaltung. Sie ist alt. Die offensichtlich nicht zu ertragende integrierte Fassung der Frau als einer Königin. Welch wunderbare Idee, die Prinzessin von einer Königin, von Katharina Matz spielen zu lassen! Unglaublich elegant steht sie da. Mit einer Brille für Kurzsichtigkeit, so wie sie von älteren Damen getragen werden, die viel gelesen haben. Oder genäht. Oder einfach schlechte Augen bekommen. Weil sie alt werden. Dürfen.

Katharina Matz zeigt uns etwas, was wir nicht sehen können, weil es nicht als etwas Objektives darstellbar ist, sondern immer nur in dem wie wir es sehen wollen, eine Projektion eben.
Das Dia-Karusell an der Raumdecke der Zentrale im Thalia-Theater dreht schon lange vor Beginn der Vorstellung seine einsamen Runden und wirft lauthals analog Bilder an die Wand, die keine sind. Es malt uns den Teufel an die Wand, ohne irgendetwas auszusprechen.
Dann steht Jackie im Licht. Ein wenig geblendet manchmal. Aber durchaus routiniert. Und doch will etwas in ihr nicht. Nicht mehr. Wie ein kleines Mädchen, was jetzt einfach nicht mehr will. Später bekommt das Licht im schnellen Dia-Wechsel des Projektors etwas Blitzanlagen-Foto-artiges: Paparazzi! Es wird geschossen! Dann ist das Licht einfach wieder nur Licht. Dreckiges Licht. Ist das ein Fingerabdruck? Je länger dieser Projektor nichts projiziert, desto mehr bekommen wir zu sehen. Denken wir. Es bleibt ein weiteres Bild, welches wir uns von der Welt machen. Von einem Star, einem toten Star sogar. Dann sind sie ja sowieso noch Star-hafter, die Toten. Dann verehren wir sie besonders.
Ich habe den Eindruck, der Faden ist dünner geworden, wir können uns friedlich ein Stück weit verabschieden.

Sonja Umstätter ist Künstlerische Mitarbeiterin im Fachbereich Film und Digitales Kino an der HfBK Hamburg.


Sonja Umstätter