Die Kontr
akte des Kaufman
ns. Eine Wirtschaftsk
omödie

Interaktives Online-Theater und Theater-Gutschein

Wer tut sich so etwas an? Freiwillig! Ja, zahlt noch dafür, sich ein Theaterstück anzusehen, das schon als Textvorlage eine Zumutung ist? Das müssen Besucher(innen) sein, die entweder keine Ahnung haben, was sie erwartet. Oder welche, die sich vom Namen einer Nobelpreisträgerin haben blenden lassen. Oder schlicht eingefleischte Anhänger, die Elfriede Jelinek einfach gut oder zumindest interessant finden.

Die Vorlage ist ein sprachliches Kunstwerk. Wunderbare Wortspiele und herrliche Sprachbilder von der ersten bis zur letzten Seite. Meistens endloses Geschwätz, manchmal mit überraschendem Witz, gelegentlich der häufigen Wiederholungen wegen ermüdend formuliert. Mehr als anstrengend zu lesen. Eigentlich nicht zu lesen, geschweige denn als langer Monolog eines „Chors der Greise“, „dreier Engel der Gerechtigkeit“ und „mehrerer Engel der Ungerechtigkeit“ auf einer Theaterbühne zu spielen. Es gibt keine handelnden Personen, sondern nur lose aufeinanderfolgende Gedanken, mehr oder weniger durch etwas zusammengehalten, das man bestenfalls milde als roten Faden bezeichnen könnte. Kein Wunder empfiehlt Jelinek: „Der Text kann an jeder beliebigen Stelle anfangen und aufhören. Es ist egal, wie man ihn realisiert, ich stelle mir vor, dass drei oder vier Männer ihn möglichst laut schreien.“

Jelinek nimmt sich die Finanzmarktkrise zur Brust. Es geht darum, wie Geld, Vermögen und Vertrauen verloren gegangen sind. Ein zweifelsfrei mehr als spannendes Thema. Im Mittelpunkt steht „Das Eigentliche“, das Geld und wie es Menschen dazu verführt, alle moralischen Maßstäbe über Bord zu werfen. „Geld ist nicht alles. Nein, alles ist es nicht, es ist bloß alle. Das Geld ist jetzt alle. Aber es ist nicht alles.“ Was als „Wirtschaftskomödie“ angekündigt wird, ist eine schonungslose, bitter böse, blutige Abrechnung mit dem was Jelinek für das Leben, Handeln und Tun von Geschäftsleuten hält. Eine Tragödie.

Die Aufführung unter der Regie von Nicolas Stemann: zunächst ein Spaß. Die Bühne ist in mehrere von vorne nach hinten auf Stufen platzierte Schauplätze geteilt. Im Vordergrund ein noch mit Plastikfolie umhülltes, nicht einmal ausgepacktes Sofa, dahinter die Instrumente einer Musikgruppe, ein Mischpult, ein Börsenarbeitsplatz, im Hintergrund ein sehr schöner Esstisch, eine Wohlfühlecke und ganz zuhinterst eine riesige Leinwand, auf die ein Beamer Textseiten des Manuskripts, Zeitungsausschnitte, Handzeichnungen oder anderes Bild- und Filmmaterial projektiert. Das Bühnenbild wirkt in seiner wuseligen, unruhigen Gesamtheit wie die Webseite einer elektronischen Homepage. Das Haus ist, im Aufriss von unten bis oben aufgeschnitten, für alles gleichzeitig einsehbar, für alle Hosts und Users offen. Der Theaterbesucher wird eingeladen, sich virtuell selber durch die einzelnen Teile zu klicken. Er kann seine Aufmerksamkeit dem älteren Paar der Geprellten auf dem Sofa schenken, kann der Band oder den jungen Leuten um den Esstisch zuhören oder sich schlicht von Großleinwand, Flachbildschirmen und Monitoren, die kunterbunt über die Bühne verstreut sind, mit wirren Bildern berieseln lassen. Ein multimediales Spektakel, das im Laufe der Aufführung durch Videospots, Gesangseinlagen, Freihandzeichnungen, der Ergänzung der Bühne auf Parkett und Logen und dem Einbezug des Publikums ins Geschehen erweitert wird. Wunderbar. Ein Schritt in Richtung interaktives Online-Theater mit offenem Ausgang, jeden Abend neu, jedes Mal um tagesaktuelle Ereignisse ergänzbar, die über Texte, Bilder, Filmeinspieler auf Leinwand und Monitor auf die Theaterbühne gebeamt werden.

Nach einem furiosen Start folgt nach etwa sechzig Minuten des insgesamt auf drei bis vier Stunden angelegten Stücks ein Höhepunkt. Mehr als Rap, denn als Sprechtext oder Gesang tragen die großartigen Schauspieler die wuchtigen Sprachbilder von Jelinek vor. Schön, dass Nicolas Stemann sich der Regieanweisung widersetzt und nicht nur Männer, sondern auch Frauen rappen lässt. Klanglich und bildlich von den multimedialen Nebenhandlungen unterlegt, wird eine Intensität erzeugt, die vom Zuschauer Konzentration und Aufmerksamkeit fordern und ihn dafür durchaus belohnen. Die gefühlt ewige Wiederholung des selben Grundgedankens mit allen medialen Mitteln des Online-Zeitalters ist die eigentliche Botschaft der „Kontrakte des Kaufmanns“. Sie entlarven vieles, womit mancher Finanzberater seine Produkte an Mann und Frau bringen will als reinen Marketingsprech, wie ein Mantra wiederholt und dennoch ohne Inhalt und Sinn. Das pseudo-philosophische Gelaber ist nicht die Sprache Jelineks, sondern soll das ruchlose Gehabe einer hemmungslosen Finanzbranche demaskieren.

Danach Spannungsabbruch, seichter Klamauk, Leere, vielleicht Erschöpfung – auch beim Publikum. Es wird langweilig. Der Spektakel wird zur Gewohnheit, wirkt abgedroschen, déjà-vu. Pause: Fehlanzeige. Zum offenen Ablauf der Aufführung gehört eine freie, individuelle Gestaltung der Auszeiten. Man verpasst ja auch nichts. Wer die Botschaft verstanden hat, kann sich noch besprechen, beschallen oder bespielen lassen oder nach Hause gehen.

Würde ich für die „Kontrakte des Kaufmanns“ bezahlt haben, hätte mich nicht der Thalia-Intendant im Hamburger Abendblatt so freundlich dazu eingeladen? Nein, niemals. Hätte ich etwas verpasst? Ja, auf jeden Fall. Was lässt sich daraus folgern? Dass es gerade der Gutschein war, der mich ins Theater gebracht hat. Kostenlose Kulturgutscheine sind nicht das Ende des (Staats-)Theaters. Sie sind ein Anfang, um auch kulturfernere Besucher zu gewinnen. Wenn Jelinek avantgardistisch die multimedialen Möglichkeiten der Gegenwart nutzt und das Theater online bringt: Warum sollte dann die Finanzierung im Korsett vergangener Zeiten eingezwängt bleiben?

Zu den Beiträgen der Debatte um Kulturgutscheine und Theatersubvention


Thomas Straubhaar