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Mit Barabara Kisseler ist eine bewundernswerte Kulturpolitikerin gestorben - Von Joachim Lux

 

Schlimme Nachrichten kommen, wann sie kommen, vollkommen unabhängig davon, ob der Empfänger für sie bereit ist – zum Beispiel direkt nach einem unendlich langen Flug in Fuhlsbüttel, mitten in der Menschenmenge, als ich meine Maschinchen wieder an den Strom der Welt anschloss und mich danach traurig in eine Ecke verkroch. Zwar wussten wir alle seit langem um die Schwere der Erkrankung von Barbara Kisseler, aber wir haben bis zuletzt gegen alle medizinische Vernunft geglaubt, dass sie wiederkommen könnte. Es war – und das erzählt einiges über Barbara Kisseler – nicht die ebenso übliche wie verständliche Weigerung der Zurückbleibenden, den Tod zu akzeptieren.
Und es war auch nicht der Narzissmus der Kulturschaffenden, die Angst haben, ihre Dienstherrin zu verlieren. Nein, Barbara Kisseler war als Politikerin wie auch als Mensch eine Lichtgestalt, die Realitäten immer wieder mit viel Optimismus umspielte.
So schaffte sie im Sinne der Kultur viel mehr, als die budgetäre Faktenlage hergab. Vielleicht wäre es ja doch denkbar, dass sie mit Ihrer Energie auch den medizinischen Realitäten  ein Schnippchen schlägt. Sie hat fest daran geglaubt und viele mit ihr. Und tatsächlich: noch vor wenigen Wochen gab es Anzeichen für ihre baldige Rückkehr.
Barbara Kisseler war ein ausgebuffter Politikprofi mit viel Gremien- und Strategiekompetenz. Zugleich aber war sie eine Politikerin, die viel von Kunst verstand und sie, bei gelegentlich auch scharfer Kritik, tatsächlich liebte – eine Kombination, die sehr sehr selten ist und sie zu einer der herausragenden Kulturpolitikerinnen unseres Landes gemacht hat. Viel finanzielles Unbill hat sie mit ihrer Persönlichkeit wettgemacht: mit  Charme und Esprit, mit Bonmotkanonaden, mit durchaus auch hemdsärmeligem Pragmatismus, mit der Begabung zuzuhören, aber auch als formidable Lästerzunge, die mit ihren Apercus vor Rang und Namen nicht zurückschreckte. Sie war nicht nur parteilos, sondern tatsächlich unabhängig. Und hatte keine Angst vor niemandem. Als Politikerin handelte sie genau so wie sie als Mensch war.

Herkulesaufgaben

Als sie von Berlin nach Hamburg kam, lag die Kultur in Hamburg am Boden, ja der Senat war – das muss man sich vorstellen! – über eine sehr schwierige kulturpolitische Lage gekippt. Das Vertrauen der Kulturschaffenden in die Politik war dahin. In den Zeitungen war zu lesen, Hamburg sei «eine klappernde Pforte zum Nichts». In den vergangenen fünf Jahren hat Barbara Kisseler in Hamburg gründlich aufgeräumt. Gemeinsam mit dem Bürgermeister galtes, die skandalösen Vorgänge um die 900 Millionen teure Elbphilharmonie zu ordnen und die Erpressbarkeit durch Baukonzerne abzuwehren – eine Herkulesaufgabe. Künftig werden dort Kent Nagano und Thomas Hengelbrock dirigieren. Eine zweite große Baustelle war das Schauspielhaus. Karin Beier, noch vor ihrer Amtszeit bestellt, fand ein Theater vor, das viel zu lange nicht wirklich betriebsfähig war. Auch in der Museumsszene schwelten seit Jahren Konflikte, die sie befriedete. Schließlich hat die Kultursenatorin die ebenfalls seit einigen Jahren kriselnde Staatsoper mit Georges Delnon und Kent Nagano spektakulär neu besetzt. Aber ihr Auge fiel nicht nur auf die Großen, sie hat viele unterfinanzierte Bereiche gestützt: von den Privattheatern über die freie Szene bis zum Filmfest.

Das Wichtigste aber war: sie genoss das Vertrauen von uns allen. Wir glaubten ihr, wenn sie etwas versprach. Und wir glaubten ihr auch, wenn sie keine Aussichten versprechen konnte. Denn sie liebte die Kultur und konnte umsetzen. Und dies in einer Zeit, wo die Sparvorgaben der Politik angesichts der Schuldenbremse hammerhart sind. In einer Zeit, wo Kultur vielfach mehr verwaltet als dynamisch gestaltet wird.
Mit Optimismus, Heiterkeit und Zielstrebigkeit schaffte sie mit ihrem Minibudget viel, selbst noch, als sie immer zarter und durchsichtiger wurde. Und sie verzichtete trotz Schuldenbremse und Pragmatismus nicht auf Visionen für die Zukunft: Das Jahr 2017 hätte ihr Jahr werden sollen, das Jahr der Musik- und Theaterstadt Hamburg - mit der Eröffnung der Elbphilharmonie und mit dem von Thalia und Kampnagel gemeinsam programmierten Theater der Welt. Von Anfang an war es ihr Ziel, die Kaufmannsstadt Hamburg als Kulturstadt umzuerfinden und sie mit Stärke und Selbstbewusstsein auszustatten. Barbara Kisseler war zweifelsohne eine der großen Kulturpolitikerinnen. Vor allem auch, weil sie eins nicht sein wollte: «ein wandelnder Kompromiss». Das ist ihr gelungen.