Das Hirn der Vo
rstellung

Ein Abend hinter dem Inspizientenpult

„Meine Damen und Herren, das ist die erste Zeitansage, es ist 19.30 Uhr, die erste Zeitansage, es ist 19.30 Uhr.“

Eine halbe Stunde noch bis zur Vorstellung. Der Soundcheck ist abgeschlossen, die wichtigen Lichtmarkierungen angebracht. Ein Kaffee liegt noch drin. Und eine Geschichte darüber, wie Barbara Zoppke vor 23 Jahren zum Thalia Theater gekommen und seither geblieben ist, in einem Beruf, den man nirgends in Deutschland lernen kann, ohne den aber die auch technisch immer komplexeren Abläufe im Theater nicht funktionieren würden.

Der Kaffee ist noch nicht ausgetrunken, aber er muss kurz stehenbleiben. „Das ist die zweite Zeitansage, es ist 19.45 Uhr, die zweite Zeitansage, es ist 19.45 Uhr“.

Barbaras Stimme ist ruhig, leise, gut verständlich. Die Vorstellung, dass sie im ganzen Hinterhaus zu hören ist, macht sie längst nicht mehr nervös. Mehr zufällig ist sie zum Theater gekommen, hatte eigentlich ihren Doktor in afrikanischen Sprachen machen wollen, was sie dann nicht beendete, weil sie „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war.“ Und sich mit Sprachen auszukennen, kann am Theater nur von Vorteil sein.

„Das ist die dritte Zeitansage, es ist 19.55 Uhr, die dritte Zeitansage, es ist 19.55 Uhr. Noch 5 min bis zur Vorstellung. Maschinierie, Ton, Licht, bitte auf ihre Plätze.“

Noch brennt auf der Bühne die Arbeitsbeleuchtung. Auf der anderen Seite des Vorhangs hört man die Zuschauer. Überall im Haus beziehen die Betetiligten ihre Positionen. Barbara gibt die Ansage zum Start.  Das Licht auf der Bühne geht aus, die Drehscheibe auf der Bühne setzt sich in Bewegung.

Die unsichtbare Drehscheibe für die nächsten 100 min sitzt auf der linken Seite der Bühne hinter dem Inspizientenpult.  Auf zwei Monitoren mit unterschiedlichen Kameraperspektiven kann Barbara das Geschehen verfolgen, vor ihr liegt ein aufgeschlagenes Textbuch. Immer wieder macht sie leise Ansagen durch die Gegensprechanlage, die Schauspieler oder Techniker auf ihre Positionen bitten. Plötzlich schüttelt sie den Kopf und murmelt: „Was ist denn los?“ Was niemand im Publikum merkt, nimmt sie sofort wahr: Einen Texthänger.

„Nein, war nicht schlimm“, beruhigt sie die Schauspielerin nach ihrem Abgang, „du hast es höchstens etwas zu stark überspielt.“ Der nächste Auftritt läuft nach Plan. Das gilt auch für die nächsten 30 min, einmal abgesehen davon, dass Tartuffe nicht im Licht sitzt. Er hat sich den Stuhl zu weit rechts hingemacht. Dagegen kann auch Barbara nichts tun. Das Licht ist eingerichtet und kann nicht nachkorrigiert werden.

„Warum fährt die Drehscheibe nicht hoch? Ich brauche einen Maschinisten unter der Hebebühne.“ Orgon kann sich zwar darunter quetschen, aber für die nächsten Momente muss die Drehscheibe oben sein. Mit einiger Verzögerung setzt sich die Bühne in Bewegung. Warum sie nicht fuhr, wird Barbara nach der Vorstellung abklären und im Vorstellungsbericht festhalten. Jetzt muss sie erst einmal Tartuffe das Zeichen dafür geben, ein Minitrampolin über die Bühne zu tragen, damit er auf die mittlerweile an ihrer Position angekommenen Drehbühne springen kann.

„Und Einsatz Musik.“ Eine gefühlte Sekunde zu spät setzt die Musik ein. Weil die Schauspielerin im Text gesprungen ist? Nein, der Tontechniker war durstig und stand dann vor der Wahl, Wasser übers Pult zu kippen oder etwas zu spät einsetzen. Das Publikum wird die Verzögerung nicht gemerkt haben.

„Alle Darsteller*innen vom fünften Akt auf die Bühne.“ Noch 12 min zu spielen. Und nach dem letzten Abba-Song dann die Ansage für den Schlussapplaus. Dafür verlässt Barbara zum ersten Mal seit Beginn ihren Platz. Während die Schauspieler*innen sich vorne im Licht verbeugen, steht sie unsichtbar neben der Souffleuse. Ihre Arbeit hingegen hat man den ganzen Abend gesehen.


ThaliaCampus Botschafterin Sylvia