Rezensi
onen zu
Räuberh
ände

Schulbotschafterinnen und Schulbotschafter verfassen regelmäßig Rezensionen.

 

 

In diesem Stück geht es um zwei junge Männer, die gerade ihr Abitur abgeschlossen haben. Janik ist die Hauptfigur und wohnt bei seinen Eltern in einer mittelständigen Familie. Samuel ist Janiks bester Freund und wird liebevoll „Adoptivkind“ genannt, da er sehr häufig bei Janik zu Besuch ist und übernachtet. Samuels Mutter ist alkoholabhängig und arbeitslos und kann sich nicht immer um ihn kümmern. Die Mutter von Samuel heißt Irene und hängt den Großteil des Tages bei den „Asis“ vor dem Supermarkt ab. In diesem Schauspiel geht es darum, dass Samuel seinen Vater sucht, der kurz vor der Geburt verschwunden ist. Das Einzige was er von ihm weiß ist, dass er einen arabischen klingenden Namen hat, weshalb er vermutet, er könne ihn in der Türkei finden.


Das Stück zeigt viele verdeckte Momente von Gesellschaftskritik, wie zum Beispiel das Problem, was man nach der Schule machen solle und inwiefern man sich an die Gesellschaft anzupassen hat, was Freiheit ist. Die Geschichte spielt größtenteils in Istanbul, jedoch wird gleichzeitig auch von der Vergangenheit erzählt, wie es zu dieser besonderen Freundschaft gekommen ist und was für Konflikte sie mit sich bringt (vgl. Janik hat Sex mit Irene). Meiner Einschätzung nach ist die Besetzung der Rollen größtenteils gut gelungen. Samuel und Janik sind beide sehr aktive Rollen und die Schauspieler schaffen es gut die schnell wechselnden Emotionen und Szenen darzustellen, schaffen es aber gleichzeitig auch einen guten Monolog (beispielsweise in einer Erzählung aus der Vergangenheit) zu führen und die Zuschauer in das Geschehen mitzunehmen.

 

Irene als Charakter hat positive sowie negative Punkte. Ich finde, sie hat den Schmerz und die Verzweiflung einer Mutter sehr gut dargestellt, der klar ist, dass sie sich nicht um Samuel kümmern kann. Sie wünscht sich das Beste für ihn und sorgt sich trotz ihrer eigenen Probleme um ihn. Wenn es ihr mal gut ging, hat sie sich auch liebevoll um ihn gekümmert.
Inszenierungstechnisch gesehen finde ich teilweise die Auftritte im Hintergrund übertrieben. Manchmal passen die Auftritte, z.B. wenn von ihren Alkoholproblemen erzählt wird, manchmal passen sie aber nicht zu dem, was Janik aus der Vergangenheit erzählt. Jedoch sorgt sie generell dafür, das Leid von ihr und Samuel zu verdeutlichen, was letzten Endes dazu führt, dass Samuel seinen Vater sucht.

 

Die Kostüme sind recht alltäglich, jedoch gleichzeitig individuell. Samuel und Janik tragen beide lockere und weite Hosen, mitten im Stück werden diese fast unbemerkt gewechselt. Dieser Wechsel passt jedoch zu den sehr schnellen Ortswechseln, wozu die Schnelllebigkeit der Kostümdetails passt. Auch das Kostüm von Irene (Kleid bis knapp über die Knie) sowie das Fehlen der Schuhe pointiert sie als Alkoholsüchtige. Die alltagsähnlichen Kostüme entsprechen der Verwendung von Alltagssprache innerhalb des Stückes.

 

Generell ist das Bühnenbild sehr schlicht, im Hintergrund ist auf allen 3 Seiten ein weißer Vorhang zu sehen. Bei Reisen oder Rückblenden wird dieser teilweise zur Projektion verwendet (Reise nach Istanbul). Der Wohnwagen steht zwar optisch gesehen im Hintergrund aufgrund der Einrichtung sticht er jedoch direkt ins Auge. Teilweise wird per Kamera ein Bild aus dem Wohnwagen übertragen. Bei Ortswechseln gibt es kaum einen Bühnenbildwechsel, obwohl die Geschichten an verschiedensten Orten und in verschiedenen Zeiten spielen. Durch die Emotionen, Gestik und Mimik der Schauspieler kann man sich jedoch gut in die einzelnen Situationen hineinversetzen. Dabei helfen auch minimale Veränderungen, wie zum Beispiel ein Kuchen bei der Geburtstagsfeier vor 5 Jahren.

 

Es werden wenige Requisiten verwendet und wenn, dann sehr minimalistisch, sodass sie die Szenerie nur andeuteten um dem Zuschauer zu verstehen zu geben, was gerade passiert bzw. worum es geht. Ein gutes Beispiel dafür ist der Stuhl und der Teller mit Frühstück, der ein Sonntagsfrühstück in einem mittelständigen Haus darstellt. Oft werden Requisiten zu einem anderen als dem offensichtlichen Zweck verwendet, zum Beispiel symbolisiert ein Mikrofon eine Telefonzelle.

 

Das Licht ist sehr außergewöhnlich: zumeist ist der komplette Raum weiß ausgeleuchtet und es entstehen kaum Schatten oder Spots. In besonderen Momenten jedoch, wie einer Party oder speziellen Tageszeiten, wird das Licht angepasst und eine passende Stimmung entsteht. Beim Tanzen gibt es Discobeleuchtung und teilweise werden beide Hauptcharaktere mit Spots beleuchtet. Bei Szenen, die am Morgen oder am Abend spielen, wird das Licht gedimmt und kommt von der Seite wie bei einen Sonnenauf- oder -untergang. Das steht im Kontrast zu dem grellen, klinischen Licht der Anfangs-und Endsituation. Eingebaut werden auch Projektionen zur Reise. Farbiges Licht wird nur bei Tanz-Szenen oder für Abendstimmungen verwendet. Ich hätte mir etwas mehr Einsatz von farbigem Licht gewünscht, jedoch passt dieser minimalistische Einsatz von Lichttechnik zudem Minimalismus, der in der gesamten Inszenierung zu sehen ist.

 

Zur Musik lässt sich sagen, dass klassische Musik oder selbstgemachte Soundeffekts im Hintergrund eingespielt werden, nur in Tanz oder Party-Szenen kommt sie in den Vordergrund. Magengrummeln oder Schritte der türkischen Gang werden von den Schauspielern selbst erzeugt. Die Musik im Hintergrund dient zur Unterstützung der dargestellten Atmosphäre und gegebenenfalls zur Erzeugung von Emotionalität. Wenn sie in den Vordergrund kommt, liegt der Fokus eher auf den Aktionen die ohne einen hörbaren Dialog deutlich an „Effektivität“ zunehmen. Generell wird die gesamte Technik offen gesteuert. Beginn und Ende wird durch den Einsatz von Musik und Licht klar angezeigt, manchmal wird diese Art von Kommunikation auch in das Spiel eingebaut, zum Beispiel in der Szene, in der sich Irene auf Samuels Geburtstag übergibt. Häufig wird der Vorhang von den Schauspielern für Szenenwechsel verwendet, um hindurch zu schlüpfen oder aufzutreten. Manchmal wird auch mit einem Ein- oder -austritt in den Wohnwagen der Auftritt beendet oder begonnen. Dies variiert während des Stücks, was zu Dynamik beiträgt.

 

Zuletzt möchte ich noch anmerken, dass die Geschichte mich sehr berührt, aber teilweise auch verwirrt hat. Z.B. wundere ich mich, warum Samuel und Janik überhaupt Freunde sind, so oft wie sie sich streiten, aber auch aufgrund der schnellen Emotionen- und Szenenwechsel. Die liebevolle Versöhnung der Beiden am Ende hat mich sehr gefreut. Zusammenfassend handelt das Stück von einem Jungen, der zusammen mit seinem besten Freund seinen Vater sucht und von zwei Jugendlichen, die auf der Suche nach Freiheit, Freunden, Familie und Leben sind.

 

28.10.2021, Yuri Staarmann, 17 Jahre, Gymnasium Hoheluft

 


„Ohne dich schlaf´ ich heut´ Nacht nicht ein
Ohne dich fahr´ ich heut´ Nacht nicht heim
Ohne dich komm´ ich heut´ nicht zur Ruh´
Das was will ich will bist du

Nach einem Besuch der Vorstellung „Räuberhände“ nach dem Roman von Finn-Ole Heinrich am Thalia Theater in der Gaußstraße unter der Regie von Anne Lenk wird keiner mehr diesen Ohrwurm los. „Ohne dich“ von der deutschen Pop-Rock-Band Münchener Freiheit geht ins Ohr, wie die Inszenierung ins Gedächtnis. Die Premiere des Stückes war bereits am 16. August 2013 und feierte in neuer Besetzung am 29. September 2020 seine Wiederaufnahme – in einer ungewöhnlichen Spielzeit auf Abstand. Der Roman „Räuberhände“ erzählt die Geschichte der Freunde Janik und Samuel, die gemeinsam nach dem Abitur nach Istanbul reisen, um Samuels angeblichen Vater zu finden. Janik versucht sich von seinen wohlsituierten Eltern zu distanzieren, während Samuel, Sohn einer alkoholkranken Mutter, sich um Alltag und Ordnung bemüht. Nach einem schweren Vorfall ist die Reise nach Istanbul ein Neuanfang, eine Spurensuche, eine Überschreitung von Grenzen und Vertrauensmissbrauch zugleich.

Janik (gespielt von Johannes Hegemann) und Samuel (gespielt von Patrick Bartsch) nehmen das größtenteils jugendliche Publikum mit in die Welt des Erwachsenwerdens und der Rebellion gegen die vorgegebene Struktur. Zu Beginn ist die Bühne spießig sauber von weißen Vorhängen eingerahmt, in der Mitte sitzt Janik und beobachtet den Ablauf des Frühstücks in seiner Familie. Die idyllische, liebevolle Stimmung, die beschrieben wird, lässt Janik Fehler in seiner Familie suchen und so wird das Brot erst einmal auf dem Boden mit dem Fuß zermatscht, bevor der Vater in der Fantasie des Jungen sich verschluckt und beim friedlichen Frühstück stirbt. Schnell wird klar, dass Janik sich von seinen Eltern abgrenzen will. Ganz anders als sein bester Freund Samuel. Wenn Patrick Bartsch die „noch unschuldige Bühne“ betritt, kommt Schwung in den Raum. Erst werden die Schuhe ordentlich aufgestellt, dann werden Breakdance-Moves ausgepackt und die Jungs raufen sich bei einem Luftkampf. Die Dynamik zwischen den beiden Spielern schwingt unverzüglich ins Publikum und die innige Freundschaft der beiden wird nicht in Frage gestellt.

Die Szenen werden immer wieder durch einen Zeitsprung in die Vorbereitung des Abiturs unterbrochen. Janik und Samuel gehen feiern, treffen dabei auf Samuels Mutter Irene. Zu „Ohne dich“ wird getanzt, Konfetti gestreut, bevor Janik und Irene hinter „Stanbul“ verschwinden, Samuel ihnen folgt und zusammen mit Janik wieder auf die Bühne gelaufen kommt. Danach folgt sofort ein Bruch in die neue Szenerie. Der Zeitsprung wird bei jeder Wiederholung etwas klarer und setzt sich stückweise zusammen, sodass nach einiger Zeit dem Publikum der brennende Punkt klar wird. „Stanbul“ spielt während der gesamten Inszenierung eine zentrale Rolle. Der Wohnwagen, der zuerst eine Schrebergartenlaube darstellt und schließlich zum Hostel in Istanbul wird, ist der zentrale Kernpunkt, um den es sich dreht. Ob auf das Dach, in oder hinter den Wohnwagen geflüchtet wird – er ist neben den Vorhängen das einzige, was auf der Bühne zu finden ist. Die Vorhänge werden aufgezogen und „Stanbul“ wird rustikal auf die Bühne gebracht. Wenn die Spieler sich im Wohnwagen befinden, zeichnet eine Kamera das Bild auf und projektiert es direkt auf die Fläche des Wohnwagens. Projektionen kommen an diesem Abend auch großflächig auf den Wänden zum Einsatz, wenn die Eindrücke der Fremde in Istanbul mit Sounds überhandnehmen. Eine raffinierte Idee, die die Überforderung in der Fremde, aber auch die Erwartungshaltungen an ein Land bildlich und hörbar übersetzt.

Durch das minimalistische Bühnenbild sind die drei Protagonisten auf ihr Spiel „reduziert“, sodass der Fokus durchgehend auf der Verbindung zueinander liegt. Johannes Hegemann und Patrick Bartsch spielen sich hierbei leichtfüßig die Bälle zu und harmonieren auf der Suche nach Identität und Herkunft wunderbar miteinander. Umso härter trifft es dann einen, wenn die Freundschaft zu bröckeln beginnt und die Zerbrechlichkeit von Vertrauen thematisiert wird. Eine Mischung ausVerlustängsten und der Ausbruch aus vorgegebenen Strukturen übernehmen die bis dahin leichte Kost und bringen Tiefgang in die Handlung. In wie weit schafft es Janik sich wirklich von seinen Eltern abzugrenzen? Kann Samuel seine Herkunft und die damit verbundene Identität auch nachträglich finden? Eine Inszenierung die mit Vorstellungen und Realität spielt, zwischen Idealen und eigener Gestaltung balanciert und dabei nie die Freundschaft aus dem Blick verliert. Eine Freundschaft mit Räuberhänden, die aus Geben und Nehmen besteht und hinter die perfekten Fassaden schaut. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit, die vor allem Jugendliche authentisch und nah abholt, wird man gemeinsam mit Janik und Samuel ein Stück weit erwachsen: „Stanbul“ verschwindet, die makellosen Vorhänge werden wieder zugezogen und Janik landet auf einem zu kleinem Stuhl wieder in der Bühnenmitte.
 
von Linnea Vogel, Vorstellungsbesuch am 29.09.2020
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Das Stück „Räuberhände“, in dem es um eine Freundschaft von zwei Jungen geht, hat mir sehr gut gefallen. Durch die Sprünge zwischen der Gegenwart und den Erzählungen von Janik und Rückblenden in die Vergangenheit offenbarten sich langsam Geschehnisse, die die scheinbar wunderbare Freundschaft auf eine harte Probe stellten. Die beiden Protagonisten Janik und Samuel waren mir sehr sympathisch, weshalb die Offenbarung zum Ende des Stückes traurig und schockierend war. Nichtsdestotrotz wurde bei diesem Stück auch viel gelacht und ich habe mich gut amüsiert.

Im Fokus des Bühnenbildes steht ein Wohnwagen, der sehr vielseitig eingesetzt wird. Zum Beispiel steht dieser als Wohnwagen im Garten, dient als Zimmer in Istanbul, in dessen Inneren mit einer Kamera gefilmt wird und das Bild auf die Außenwand des Wohnwagens projiziert wird (der Zuschauer hat das Bild aus dem Inneren z.T. auch durch Fenster und Tür gesehen) und es wirde auch vom Dach aus bespielt. Sehr wirkungsvoll ist eine Szene mit stimmungsvoller Musik, tollem Licht, Tanz und Konfetti die im Laufe des Stückes mehrfach wiederholt wurde.
 
Eine sehr gelungene Darstellung ist die Reise nach Istanbul, in der das Publikum durch anfängliche Fotoeinblendungen und arabische Gesänge, sofort in das Leben in der Türkei gezogen wird. Telefongespräche aus der Türkei werden mit dem Mikrophon geführt. Das Ende bleiben die Lebenswege in der Zukunft der beiden Jungen  offen. Ich habe bisher nur Positives zur Inszenierung gehört und auch ich kann das Stück nur empfehlen.

von Julia Menk, Gymnasium Süderelbe Jg 12
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Das Ende der Schulzeit ist für junge Erwachsenen der Schritt in eine meist ungewisse Zukunft - die Welt steht einem offen und die Frage ob Ausbildung, Studium oder doch erst einmal reisen ist nicht leicht zu beantworten. Dies gilt auch für die besten Freunde Janik und Samuel aus Finn-Ole Heinrichs Roman „Räuberhände“, die es nach ihrem bestandenen Abitur in die türkische Metropole Istanbul zieht. Schon seit Jahren träumen sie in ihrer kleinen Laube „Stambul“ davon, sofort nach dem Abi abzuhauen und in Istanbul einen Neuanfang zu wagen. Weit weg von Janiks perfekten, aber nicht zu perfekten Eltern und Samuels alkoholabhängiger Mutter. Doch kurz vor der Reise begeht Janik einen verhängnisvollen Fehler, der die Freundschaft der Jungen auf eine harte Probe stellen wird.

Der Debütroman von Heinrich wurde nun im Thalia Theater Gaußstrasse auf die Bühne gebracht. Dank überzeugender schauspielerischer Leistungen sowie der passenden Einspielung türkischer Musik und einfallsreicher Filmtechnik werden die 90 Minuten in Altona ein Theatererlebnis, welches nicht nur für Schulklassen und Abiturjahrgänge empfehlenswert ist. Der Aufbau des Stückes ist einzig durch Janiks reflektierende Assoziationsketten bestimmt und es liegt an dem Zuschauer, sich auch in Samuels Rolle hinein zu versetzten, um einen neutralen Standpunkt zwischen beiden Freunden erlangen und Sympathien hegen zu können. Auf der einen Seite der erzählende Janik, der nach Istanbul reist, um ein Abenteuer zu erleben und Samuel nahe zu sein und auf der anderen Seite jener, der mit dem Vergangenen abschliessen will und einzig nach Istanbul gekommen ist, um für immer dort zu bleiben und seinen vermeintlich verlorenen Vater zu finden.

Die dieser Tage häufig angesprochene Thematik der Identitätssuche – und Findung junger Menschen spielt in „Räuberhände“ eine ebenso wichtige Rolle, wie der Wunsch nach Freundschaft und der Wille zum Ausbruch, den jeder in sich trägt, an dem letztendlich dann doch die Meisten scheitern oder scheitern wollen.  Ob nun Janik oder Samuel scheitern, sie Samuels Vater wiederfinden und welche zentrale Rolle Irene, Samuels Mutter, in dem Stück spielt, dass sollte jeder theaterbegeisterte Hamburger mit einem Besuch im Thalia Gaußstraße selber herausfinden. Lohnen tut es sich dank der Schauspieler Sven Schelker (Janik), Patrick Bartsch (Samuel) und Sandra Flubacher (Irene) sowie der grandiosen Technik des Theaters und Heinrichs empfehlenswerter Buchvorlage allemal.

von Lisa K., Gymnasium Ohmoor, Vorstellungsbesuch 17.08.2013