Rezensionen zu
Jed
er stirbt für s
ich allein

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Aber nicht jeder lebt für sich allein. Vor allem in einer Zeit, die nicht mehr von Leid, Angst und Hass geprägt sein könnte. Während des 2. Weltkrieges entscheidet sich das Ehepaar Anna und Otto Quangel, Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten. Nachdem ihr Sohn im Krieg stibt, ist dieser Widerstand das einzige, was sie am Leben hält. Ihre mit Hand geschriebenen Karten geben Kraft, Tag für Tag neu aufzustehen und vor allem einen Sinn,  sich der Situation und dem Führer nicht zu ergeben.
Die Sätze der Figuren sind so eindrucksvoll, dass sie noch Tage später im Kopf jedes Zuschauers schwirren. Was bringt der Reichtum durch Krieg? Kann ich es essen? Werde ich dann selber reich? Und selbst wenn, was soll ich dann den ganzen Tag machen? Nie mehr arbeiten? Auf jeden Fall rechtfertigt es nicht den Tod Millionen unschuldiger jungen Menschen und die unzähligen kaputten Familien, die der Verlust hinterlässt. Das Stück, basierend auf Hans Falladas Widerstandsroman „Jeder stirbt für sich allein“ von 1947, beeindruckt in voller Länge. Es braucht ganze 4 Stunden, um das Publikum zurück in diese Zeit zu versetzen. Luk Perceval und Christina Bellingen (verantwortlich für die Theaterfassung) schaffen mithilfe großartiger Schauspieler Szenen, in denen das gesamte Publikum lauthals lacht und greifen gleichzeitig ohne Euphemismus die Tragik des Nationalsozialismus auf.
Eine Postkarte des Ehepaar Quangel wird im Flur eines Hauses gefunden, beginnend mit dem Satz „der Führer hat mir meinen Sohn ermordet“. Die überzogene Hysterie der beiden Figuren in dieser Szene ist unfassbar lustig. Sie schmeißen sich den Brief hin und her, als wären es kochend heiße Nudeln. Der Brief wird versteckt, gegessen, es wird sich gegenseitig auf absurdester Weise misstraut und angeschuldigt. Wie könne man bloß so leichtsinnig mit dem Leben umgehen und diesen Brief im Flur aufheben und dann sogar noch mit in die Wohnung nehmen? Insbesondere wir Jugendliche können uns überhaupt nicht vorstellen, wie man solch eine Angst verspüren kann, beobachtet, verfolgt und verurteilt zu werden, wegen eines Stück Papiers. Aber was für mich absurd scheint, war damals Alltag.
Das Stück fesselte mich, die Entfaltung jeder einzelner Figuren mitzuerleben. Alle Charaktere sind so vielseitig und facettenreich. Das Leben ist eben nicht nur schwarz und weiß, gut oder böse. Sondern oft eine chaotische Mischung von Träumen, Erfahrungen, dem Streben nach Anerkennung und Gerechtigkeit, die das Beste, aber auch das Undenkbarste aus uns Menschen herausbringen kann.
Elf Schauspieler und ein Tisch rekonstruieren eine Welt, von der es unvorstellbar ist, dass es sie so gegeben hat. Aber genauso gab es sie. Und in vielen Teilen unserer Welt reagieren Menschen immer noch genauso auf einen Brief, der Kritik gegen das Regime formuliert- mit purer Angst und Hilflosigkeit. „Jeder stirbt für sich alleine“ inspiriert. Zwei Menschen umgeben von Leid und selber verloren in ihrer Trauer nehmen ihr Leben so nicht hin. Sie nehmen ihr Schicksal als Treibstoff, etwas zu verändern.

Liliána Takács, 12. Klasse der Sophie-Barat-Schule

 
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„Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada, inszeniert von Luk Perceval überzeugt durch eindrucksvolle und stimmgewaltige Schauspieler, interessantem Bühnenbild und einer gelungenen Mischung aus Tragik und Komik.

Zwar muss man für den vierstündigen Theaterabend viel Zeit und Geduld mitbringen, man wird aber auf jeden Fall belohnt. Nicht umsonst hat das Stück den FAUST- Theaterpreis 2013, den Preis für die beste Inszenierung des Jahres 2013 und für das beste Bühnenbild 2013 bekommen.
Auch wenn die Handlung eine sehr ernste ist – ein Ehepaar verteilt während der NS- Zeit kritische und widerständische Flugblätter und wird verhaftet und umgebracht- so gibt es auch mitunter einige sehr witzige Momente, etwa durch den schlitzohrigen und selbstzufriedenen Ehemann Enno Kluge, der von einer Frau zur nächsten rennt, um von ihr finanziert werden zu können und nicht arbeiten zu müssen. So wird der mitunter sehr schwere Stoff etwas einfacher zum Schauen gemacht und der Kontrast zwischen der Trauer und der Hoffnung erscheint umso deutlicher. 
Ähnlich wie in der Inszenierung von „FRONT“ lässt Luk Perceval die Schauspieler eindringlich zwischen vollkommener Klarheit, Resignation und ängstlichem Wahnsinn alle Gefühlszustände während des Krieges zeigen, auch wenn es sich diesmal nicht um den Ersten, sondern den Zweiten Weltkrieg handelt. So erfährt man viel über die Charaktere, versteht ihre Ängste, Träume und Handlungen. Es gibt keine vollkommenen Helden in diesem Stück. Niemand ist gänzlich sympathisch, aber alle sind authentisch.
„Jeder stirbt für sich allein“ ist also ein hochinteressantes Stück und sehr zu empfehlen.

Luisa Keßlin, Jg. 11, Gymnasium Bondenwald