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Während die meisten Menschen zwischen den Feiertagen genüsslich faulenzen, wird im Thalia Theater noch richtig gearbeitet: In Kornél Mundruzcós Inszenierung von „Die Weber“ wird gewebt, genäht und geschuftet; und das zu einem erbärmlichen Hungerlohn. Natürlich haben die Weber bald schon die Nase gestrichen voll und trommeln, unter der Führung Moritz Bäckers, das Ende der Champagner saufenden Fabrikanten herbei. Diese stopfen sich ihre Diamanten und Goldbarren in jede Kleider- und Körperöffnung, bevor die aufständischen Weber im Prunkladen des Fabrikanten Dreissiger auch die letzte Marmorsäule umstürzen. Nur der alte Hilse, der schon seit zig Jahren im Webstuhl sitzt, will diesen während der, in seinen Augen, gottlosen Aufstände nicht verlassen; und wird letztlich symbolträchtig von einer Gewehrkugel tödlich getroffen.

Die Vorlage zu diesem Stück, Hauptmanns „Die Weber“, beschreibt das Elend der schlesischen Weber in den 1840-er Jahren. Doch Kornél Mundruzcó ist es gelungen, das Leiden einer ganzen sozialen Schicht in die heutige Zeit und auf den Jungfernstieg; bzw. nach Hamburg zu verlegen. Gerade da das Stück in einer Zeit der Billiglöhne- und produktionen leider immer noch nicht an Aktualität verloren hat, überrascht es so kaum, dass die aufständischen Weber nicht anders aussehen als die meisten Zuschauer. Und auch Deissingers Prunkladen könnte vor seiner totalen Zerstörung so am Jungfernstieg vorzufinden sein.
Jedoch sind wohl die Weber noch nicht ganz im 21.Jahrhundert angekommen; jedenfalls klingen sie nicht so. Während also das Ambiente an die heutige Zeit erinnert, sprechen sich die halb-verhungerten Weber auf Schlesisch über ihr Elend aus. Bisweilen glaubt man, man schaue sich einen ausländischen Film an, da bei dem unverständlichen Grunzen und Krächzen der Schauspieler extra Untertitel eingeblendet werden müssen.
Dementsprechend ist es also lobenswert, dass ein Spagat zwischen Historik und Aktualität angepeilt wurde, aber die groteske Mundart zerstört zum Teil die Bezogenheit des Stückes auf die momentane Zeit.

Dabei scheint es, dass nicht oft genug gezeigt werden kann, wie schlecht es den Webern eigentlich geht. So reicht es anscheinend nicht, dass eines der schwer schuftenden Weberkinder beim erfolglosen Verkauf der Ware kränkelnd umkippt; es muss auch noch die alte Frau Baumert, exzellent von Victoria Trauttmansdorff dargestellt, mit all ihren Erbrechen und Erkrankungen vorgeführt und der Hund aus Mangel an anderen Optionen geschlachtet werden; kurz nachdem sich der alte Baumert vor lauter Hunger und Wahnsinn Eisblöcke gegen den Kopf schlägt und diese dann verzehrt.
Die wahre Problematik liegt dabei nicht an diesen einzelnen Szenen, denn diese kommen gelungen herüber und zeigen, wie elendig und verarmt die Weber sind; sondern daran, dass im Vergleich dazu die Aufstände läppisch und fast schon nebensächlich erscheinen. So wird zwar der Pastor mit sehr viel Liebe zum Detail ermeuchelt und letztendlich die gesamte Szenerie zerstört; aber mehr auch nicht. Daher bleiben die Erwartungen an einen bildgewaltigen und heroischen Aufstand unerfüllt; was natürlich schade ist, da das Potenzial vorhanden wäre.

Das Bühnenbild hingegen hätte so nicht bildgewaltiger und aufwendiger sein können: während es im düsteren und engen Keller vor sich hin dampft, sich Wäschekörbe neben diversen Maschinerien stapeln, liegt direkt darüber ein eleganter, prunkvoller Laden; riesige, moderne Kronleuchter, Marmorsäulen und Ausblick auf das Hamburger Rathaus inklusive. Gerade zu Beginn des Stückes, als all die Weber an diversen Stationen ihren Tätigkeiten nachgingen, wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn so wirklich eine Hose produziert worden wäre. Gerade diese Liebe zum Detail verleiht  dem recht naturalistischen Stück Charakter.

Jedoch hat dieser Charakter woanders gefehlt: Nämlich bei der Darstellung der einzelnen Charaktere. So ist kaum aufgefallen, dass die Person des alten Hilse, gespielt von Axel Olsson, im Stück auftauchte, bis dieser im letzten Akt von einer Gewehrkugel getroffen wurde. Und auch die Figur des Moritz Bäckers als  Aufstandsanführer hätte man gerne noch rebellischer, noch aussagekräftiger gesehen, gerade da mit Jörg Pohl in der Besetzung das Potential vorhanden ist. Marie Löcker, in der Figur der Emma Baumert, konnte mit ihrer Darstellung als fürsorgliche und charakterstarke Mutter der Weberfamilie durchaus überzeugen und auch Victoria Trauttmansdorff in der Rolle der alten Baumert hat diese exzellent präsentieren können.
Jedoch wünscht man sich bei solch talentierten Schauspielern, dass deren Potential voll ausgeschöpft wird, sodass man zum Beispiel nicht tausende Szenen benötigt, um das Elend der Weber darzustellen, sondern nur eine gute Verkörperung.

Letztendlich ist  Kornél Mundruzcós Inszenierung von „Die Weber“ eine hervorragende, durchaus überzeugende Sozialkritik, die sich an die aktuelle Zeit richtet. Um diese jedoch noch besser umzusetzen, wäre es eventuell notwendig gewesen, sich auch sprachlich von Hauptmanns Vorlage zu distanzieren. Und wenn auch Taten mehr sagen als reine Worte, so wäre es eine gute Tat gewesen, die Schauspieler nicht so zu unterfordern.
Luise Lämmerhirt, Max Markowski, Leibniz Privatschule Elmshorn, JG 11

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Betritt man den Saal, warten auf einen zwei alte Nähmaschinen vor dem Metallvorhang der Bühne. Wie durch den Namen des Stückes, wird auch somit der Fokus der Geschichte, auf die Lage der Weber zu Beginn der Industrialisierung und des Kapitalismus Mitte des 19. Jahrhunderts, umgehend deutlich. Dem Publikum bleiben hier und auch im Stück selbst keine Fragen offen, für welche im Folgenden jedoch auch kaum Platz ist. Die Inszenierung des Theater- und Filmregisseurs Kornél Mundruczó konfrontiert das Publikum mit Wirkungen, wie ich sie im Theater noch nie erlebt habe. Wirkungen die eine solche Kraft haben, dass die Verarbeitung dieser zu viel Raum in den Köpfen der Zuschauer einnimmt, um sich mit Verständnisproblemen der Aufführung auseinander setzen zu können. Schon mit Beginn der ersten Szene wird dies unumgänglich klar.
Der Vorhang geht auf und mit Erleuchten der grellen Neonröhren wird einem ein gefühlt Tonnen schwerer Stein auf die Brust gelegt.
Zu sehen ist eine unordentliche und herunter gekommene Weberei, übersetzt in eine modernere Jeansfabrik, mit einer dreckigen Küche und, eher sporadisch wirkenden, Metallhochbetten an der Rückwand. Der Raum ist gefüllt mit Mundschutz tragenden Kindern und wenigen Erwachsenen, welche jeweils verschiedene Aufgaben der Jeansproduktion ausführen. Die giftigen Chemikalien und der Wasserdampf ziehen in Form von Nebelwolken durch den gesamten Raum und das Beißen der Säure in den Atemwegen ist auch ohne Gerüche durchaus vorstellbar. Die Stimmung des Geschehens, begleitet durch einen rhythmischen Takt der Arbeitsgeräusche, ist kaum zu beschreiben. Eine so umgehende, überwältigende und unausweichliche Wirkung von Depression, Bedrängung und vor allem Schock, ist mir in der Gesamtheit meiner Theaterbesuche noch nie begegnet. Sowohl unter den Charakteren, als auch in Form von gekonnter Interaktion Jörg Pohls, als einer der Weber, mit dem Publikum, wird schnell und deutlich gezeigt, wie jede Sekunde des Lebens der Weber von deren Geschäft abhängt und in was für einer Aussichtslosigkeit sie sich befinden, da ihr Werk im Zuge der Industrialisierung an großer Bedeutung verliert. Kombiniert wird dies mit ungewöhnlichen, dadurch aber interessanten, Filmmitteln, welche auf eine große Leinwand, die sich über dem Weberraum befindet, angestrahlt werden. Hierbei wird der Zuschauer glauben gemacht, er sähe die Aufnahme eines Verhandlungsgespräches der Weber und Moritz Bäcker mit sowohl Pfeifer, als auch dem Fabrikanten Dreissiger. Im Weiteren wird allerdings klar, dass dieses hinter der Leinwand live gespielt, aufgenommen und über den Beamer übertragen wurde. Somit hat es eine viel größere Wirkung als die Leinwand über der Weberei hochgefahren, und das Bühnenbild der Aufnahme offengelegt wird. Äußerst gelungen ist hierbei die erneut sehr klare Aussage des Stückes, wobei das Bühnenbild eines Hamburger Markengeschäftes, wie man es am Neuen Wall oder Jungfernstieg finden würde, als Welt der Fabrikanten und Reichen, direkt über dem Weberraum aufgebaut ist. Dieser wird somit in den Untergrund der gezeichneten Welt gestellt, über welchem das Leben derer stattfindet, die von dem Leid der Weber profitieren. Erneut wird auf diese Weise die bedrückende Stimmung des Weberraumes geradezu umrandet und verstärkt.
Besonders beeindruckend in dem gesamten Bühnenbild von Márton Ághs ist jedoch die Liebe fürs Detail. Sowohl die Weberei, ausgestattet mit mehreren Regalen, verschiedenen Arbeitsplätzen und Werkzeugen, als auch das Modegeschäft, dessen Wände und Decken aus dem Publikum heraus, echtem Mamor unwahrscheinlich ähnlich sehen und versehen sind mit Sonnenbrillen, Schuhen und, dem Stück entsprechend, Jeans Hosen und Jacken, lassen keine Lücken aufweisen. Auch die technische Installation des Bühnenbildes ist herausragend, wobei diese gegen Ende genutzt wird, um das Geschäft Dreissigers, im Rahmen der Schüsse des Weberaufstandes, auf eindrucksvollste Weise zu zerstören und in Chaos zu versetzen. Entgegen dem allgemeinen Trend eines modernen, sehr bescheidenen Bühnenbilds oder gar einer leeren Bühne, ist das ausführliche Bühnenbildkonzept für das Stück unabkömmlich. Die zwei verschiedenen Räume und Höhen werden mit Bravur eingesetzt und in Zusammenspiel gebracht, wodurch das Stück nicht zu einem einzigen Zeitpunkt langweilig ist. Allerdings ist dies längst nicht nur dem Bühnenbild zu verdanken. In der Gesamtheit des Handlungsbogen lassen die Extreme der Ausübung emotionaler Strapazen, sowohl auf die Charaktere, als auch auf die Zuschauer niemals nach, wodurch ich an Szenen die durch besondere Schockwirkung gezeichnet waren, bis an die Tränen getrieben wurde. Nicht nur aus Trauer, sondern aus purem Entsetzen über das, was sich auf der Bühne abspielte. Besonders Loben möchte ich hierbei die dramatische Ausarbeitung der Krankheit und Verpflegung der Mutter Baumert, welche auf eine solch makabere Weise dargestellt wird, dass einem nichts als Atemstocken bleibt. Die schauspielerische Leistung von Victoria Trauttmansdorff als die Mutter Baumert ist vor allem in dieser Szene mehr als beeindruckend.
Ähnliche Höhepunkte stellen die Einsätze des Weberliedes dar, wobei einem nicht nur die Lautstärke sondern auch das starke rhythmische Zusammenspiel des Liedes mit dem Geschehen und die unfassbare Darstellung von Wut und Rachelust der Weber und des Moritz Bäcker, den Atem nehmen.
Einzigartig an dem gesamten Stück ist der Aufbau einer solch mächtigen Stimmung, welche  durchgehend aufrechterhalten wird, dass selbst bei kleinen Witzen die Lust zum Lachen vollends vergangen ist. Die Inszenierung ist definitiv nicht zum Lachen und nichts für schwache Nerven, was jedoch genau der Grund für meine außerordentliche Bewunderung ist.
Sie stellt den Verlust, die Wut, die Ungerechtigkeit, den Hass, die Aussichtslosigkeit und, nicht zu unterschätzen, den Schrecken in der reinsten Form dar und bildet ein, als für mich nichts anderes zu bezeichnendes, Meisterwerk.
Ida Plumpe, Eric-Kandel-Gymnasiums in Ahrensburg. 17 Jahre , Jg 11

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28. Mai 2017


Der Überlebenskampf fordert die Arbeiter in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu drastischen Maßnahmen heraus. Die Löhne werden immer geringer und der Vorrat an Lebensmitteln so knapp, dass kaum noch die Versorgung der Familien möglich ist. Sie töten und essen schließlich ihre Haustiere, gehen auf die Straße und revoltieren.
Diese Produktion im Rahmen des Theaters der Welt 2017, unter der Regie des gefeierten Kornél Mundruczó, projiziert die Handlung des Sozialdramas in die Gegenwart, zeigt auf einer ausgefeilten Bühne in zwei Ebenen oben die besser gestellten Fabrikanten in einem noblen Geschäft am Hamburger Rathausmarkt und unten die unter erschreckenden Bedingungen schuftenden Weber mit ihren Kindern, die für ebenjene hochqualitative Jeans herstellen und dafür höchstens Almosen erhalten.
Eindrucksvoll ist die Leistung der Schauspieler, besonders der Kinder, die das Publikum in ihre sozialen Milieus mitnehmen und bis zum Schluss gespannt bleiben lassen. Die Auflösung zeigt die bröckelnde Gesellschaft anhand der einkrachenden Bühne, um die es fast schade ist. Wenngleich die Botschaft von Verfasser und Regisseur gewissermaßen bereits während der gesamten Handlung eindeutig ist und eine Überraschung erspart bleibt, ist man doch deutlich angeregt, sich mit dem Thema weiter auseinanderzusetzen.
Nicht alle Zuschauer scheinen zum Ende der Aufführung begeistert, doch sie war bildgewaltig und multimedial. Eine ganz besondere Interpretation des Hauptmann-Stoffs und für jeden Theater-Liebhaber zu empfehlen; kein Theaterabend, den man schnell vergisst.
Eins wurde besonders einprägsam vermittelt: Revolution. Nach einer gewaltigen Trommeleinlage der Weber und Weberkinder hätte man den Schluss erwarten können. Doch der fünfte Akt kommt noch: Der alte Hilse, ein Konservativer, welcher dem Aufstand nichts abgewinnen kann, hätte lieber alles wieder beim Alten und webt inmitten der Schießereien weiter. Sofort wird er von einer Kugel getroffen, es wird plötzlich vermeintlich still und völlige Dunkelheit legt sich über den Saal.
Robert H., Ehemaliger Schüler der Sophie-Barat-Schule