Nachruf auf D
imiter Gotsc
heff

Hamburger Abendblatt, 21.10.2013

 

Dimiter Gotscheff war einer der bedeutendsten Regisseure des deutschen Gegenwartstheaters und gehört sowohl der Generation wie auch dem Rang nach in eine Reihe mit Einar Schleef, Heiner Müller und Jürgen Gosch. Er hat, wie diese, sein Theater aus dem unbedingten Willen zum radikalen künstlerischen Ausdruck gemacht. Seine Arbeit war kompromißlos und unbeeinflußt von vermeintlichen Publikumsbedürfnissen, zeitgeistigen Moden und Feuilleton.
Gestern ist Dimiter Gotscheff nach kurzer, aber schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren in Berlin gestorben. Die Nachricht, die sich binnen kürzester Zeit verbreitete, hat die Theaterwelt schwer erschüttert. Er war ein Künstler von hohem Rang, auf den wir alle nun verzichten müssen.
In den letzten Jahrzehnten hat Dimiter Gotscheff vor allem in Berlin und in Hamburg inszeniert. Er hat über zehn Jahre in Hamburg gelebt und im Theaterleben dieser Stadt mit insgesamt 14 Inszenierungen viele Spuren hinterlassen. Zunächst bei Frank Baumbauer am Schauspielhaus hat er später das Thalia-Theater über drei Intendanzen hinweg - sowohl bei Jürgen Flimm und Ulrich Khuon wie auch bei mir – künstlerisch stark geprägt.
Es ist schwer unmittelbar nach der Todesnachricht einen Menschen, der einem nahestand, zu charakterisieren oder gar zu würdigen. Wir müssen atmen, hat er immer gesagt. Und schweigen. Und zur Not weiterschweigen! Oft wurde auf seinen Proben stundenlang geschwiegen. Er hasste Geschwätz. Ursprünglich aus Bulgarien stammend blieb er immer ein Fremdling und bestand auch auf dieser Fremdheit: Fremd im Westen, fremd auch im Kulturbetrieb. Er hatte einen grimmigen Humor, balkanesische Bärbeißigkeit und eine von vielen nicht vermutete Zartheit. Ja,  eine gewisse Rohheit im Umgang mit Menschen bei gleichzeitiger Menschenfreundlichkeit schloß sich bei ihm nicht aus. Sein Gesicht haben sicher viele Hamburger Theaterbesucher in Erinnerung: eine zerfurchte Landschaft, oft vom tief herabhängenden Haupthaar verschattet. Versuche, seine Einzigartigkeit als Künstler zu beschreiben, füllen mittlerweile mehrere Bücher. Vielleicht kann man am besten so sagen: Er lehnt das ab, was der Zuschauer gemeinhin für Theater hält, nämlich die nachschaffende Beschreibung von Welt, mit psychologischer Konsistenz. Gotscheff sucht anderes: er lehnt das psychologische Figurenspiel ab. Stattdessen sucht er Archetypen und nimmt für sich in Anspruch, was auch jeder Maler oder Musiker tut: nämlich mit seinem Pinsel und seiner Farbe die Gestaltung der Welt zu betreiben.
Seine Bewunderung galt den Plastiken Giacomettis, seine Heimat war weder Deutschland noch Bulgarien, sondern die Probebühne, sein Material die Körper der Schauspieler. Und die Texte der Antike, die Stücke von Shakespeare, Büchner, Tschechow, Beckett, Koltes und vor allem Heiner Müller.
Meine persönliche Arbeit hat Gotscheff so lange und intensiv begleitet wie sonst keiner, seit Mitte der Achtziger Jahre über ein halbes Theaterleben hinweg. Als es ihn Mitte der Achtziger Jahre nach Deutschland verschlug, zunächst nach Köln, war seine erste Arbeit dort Heiner Müllers „Quartett“ – eine Arbeit, die wie eine Bombe einschlug. Seine letzte Arbeit im Westen galt wiederum einem Werk von Heiner Müller: „Zement“. Dazwischen lagen viele bedeutende Arbeiten, an manchen habe ich in Köln, Düsseldorf oder am Burgtheater mitgewirkt. Hamburg war eine wesentliche und vor allem dauerhafte Station in seinem Schaffen: Manche werden sich an „Germania III“ an Frank Baumbauers Schauspielhaus erinnern, an seine „Strassenecke“ von Hans Henny Jahnn, an seinen „Tartuffe“ oder an Peter Handkes „Immer noch Sturm“. Seine letzte Hamburger Arbeit aber galt ebenfalls Heiner Müller. Sie steht in der Gaußstrasse auf dem Programm, ihr Titel ist eine Art Lebensprogramm, aber sie klingt, aus der Perspektive von heute, auch nach Abschied:“ Leeres Theater. Träume. Witze. Atemzüge.“ Das Thalia wird diesen Abend am kommenden Sonntag und einige Male mehr in seinem Gedenken spielen.
Viele Schauspieler haben mit ihm eine Heimat verloren, einen Anker, der sie der reinen Betriebsamkeit entreißt. Es war sein bulgarischer Großvater, der dem Kind Dimiter erzählt hat, daß Orpheus aus dieser Gegend kommt. Nun: Gotscheff hat viel gesungen, unter anderem uns im Westen die Leviten. Aber er hat sich keine Illusionen gemacht, sondern mit Büchner gesagt: „Der Mensch ist geschaffe, Staub, Sand, Dreck.“ Einstens haben wir gemeinsam einen Abend über Menschen aus den bulgarischen Rhodopen gemacht, die sehr sehr alt geworden sind, einen Abend über die „Vom Himmel Vergessenen““ Dieses Schicksal ist ihm erspart geblieben. Aber wir trauern trotzdem. Dimiter Gotscheff ist nicht ersetzbar. Darum trauere ich, darum trauert das Thalia-Theater in tiefem Schmerz. Er war so etwas wie der letzte Mohikaner in unserem Nomadenvolk. Aber er hätte nicht gewollt, daß wir trauern. Sondern daß wir feiern, Witze reißen: Leben.


Joachim Lux