Kunst u
nd Demok
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Gespräch mit Armgard Seegers/ Hamburger Abendblatt anlässlich der Bundestagswahl im September 2013

 

Hamburg Demokratie ist die Herrschaft des Volkes. Eines ihrer Merkmale ist das Mehrheitsprinzip. Kunst ist das Ergebnis eines kreativen Prozesses, gelegentlich auch der Prozess selbst, Kunst ist Gestaltung. Vertragen sich Demokratie und Kunst eigentlich? Braucht Kunst statt demokratischer Abstimmung nicht vielmehr Einen, der entscheidet: „So wird’s gemacht“? Einen Regisseur oder Dirigenten, der das letzte Wort hat? Wir sprachen über diesen Konflikt mit Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters und letzter Entscheider, wenn es darum geht, wer im Ensemble spielt, wer inszeniert und wie der Spielplan aussieht.

Hamburger Abendblatt: Kann man sich Demokratie in der Kunst leisten? Sollte eine Mehrheit darüber abstimmen, wie ein Bild, ein Roman, ein Musikstück oder eine Inszenierung auszusehen haben?

Joachim Lux: Dazu sage ich entschieden: Jein. Komponisten, Maler, Schriftsteller sind Künstler, die alleine arbeiten. Sie haben die absolute Hoheit über ihr Kunstwerk. Beim Theater ist das anders: da brauchen wir zwar einen Leitwolf, einen Regisseur, aber die Arbeit entsteht dennoch in und mit der Gruppe. Wenn es einem Regisseur nicht gelingt, die Schauspieler hinter sich zu versammeln, kann keine gute Inszenierung entstehen. Und wenn er ihnen alles recht macht und demokratisch abstimmt, dann kann auch keine gute Inszenierung entstehen. Wenn ein Schauspieler etwas nicht spielen will, dann spielt er es nicht. Es geht also um Vermittlung. In der Politik heißt das, ‚man nimmt die Leute mit’. In der künstlerischen Gruppenarbeit muss man das künstlerische Ego jedes Mitspielers, jedes Orchestermusikers, jedes Schauspielers mitnehmen. Als Regisseur oder Dirigent muss ich alle beteiligen.

Abendblatt: Das ist keine Demokratie, das ist Manipulation.

Lux: Das ist pädagogisches Vermögen und künstlerische Überzeugungskraft.

Abendblatt: Der Schauspieler sieht beispielsweise den Hamlet als Kind, der Regisseur sieht ihn als Intellektuellen. Was macht man da?

Lux: Jedenfalls wird nicht abgestimmt. Man muss vermitteln. Dabei geht es allerdings in den seltensten Fällen um Kompromisse, denn der Mittelweg ist bekanntlich der Tod.

Abendblatt: Demokratie braucht Kunst, aber braucht Kunst auch Demokratie?

Lux: Wenn damit gemeint ist, dass der Betrieb darüber abstimmt, was gezeigt wird, sage ich nein. Es gab in den 70er Jahren das Mitbestimmungstheater. Das ist nicht glücklich verlaufen. Gegenfrage: braucht Kunst politische Demokratie?

Abendblatt: Auf jeden Fall.

Lux: Wieso?

Abendblatt: Weil man mit staatlich verordnetem realistischen Sozialismus oder mit diktatorisch festgesetzten Bücherverbrennungen keine Kunst bekommt. Ohne Demokratie kann man nicht frei agieren.

Lux: Merkwürdigerweise ist Freiheit nicht die Voraussetzung für Kunst. Es gibt Sondersituationen, wo herausragende Kunstwerke in Diktaturen entstanden sind. Im Deutschen Theater zu Zeiten der DDR wurde fantastisches Theater gemacht. Kunst sucht sich Freiräume.

Abendblatt: Kunst braucht Auseinandersetzung.

Lux: Genau. Kunst zeigt den Menschen den Unterschied zwischen dem, was sie glauben, sehen, hören oder erleben zu müssen und dem, was sie wirklich erleben. Man braucht Neugier. Und die Lust, sich auseinander zu setzen.

Abendblatt: Das finden viele anstrengend.

Lux: Es gibt ja keinen Zwang, sich mit Kunst zu beschäftigen. Die Sprache Kleists, Hölderlins, die Bilder Picassos, Jazzmusik, sie erschließen sich nicht sofort. Aber es gibt in der Kunst seit Jahrtausenden Hervorbringungen, die die Menschen als große Bereicherung erleben. Oft sogar wegen der Mühe, die man sich machen muß, sie zu verstehen.

Abendblatt: Das so genannte Regietheater gibt es ja erst seit 120 Jahren, vorher haben Schauspieler ihre Sicht auf die Rolle dargestellt. Das Regietheater kommt gelegentlich in Verruf, weil eine sehr persönliche Sicht einem Stück übergestülpt wird.

Lux: Sehr undemokratisch. Aber wie gesagt: Theater ist ein Gruppenprozess. Dazu gehört der Intendant, der entscheidet, von wem er welches Stück inszeniert sehen möchte, dazu gehört der Regisseur, die Schauspielertruppe, aber auch der Autor und viele andere. Glücklich ist diese Verbindung, wenn Gegensätze in Schwingung kommen, sich aneinander reiben.

Abendblatt: Der Staat subventioniert Kunst, muss sich aber aus Inhalten rauslassen. Staatskunst gab es in der DDR, wo nur eine bestimmte Betrachtung zugelassen war.

Lux: Im Außenverhältnis geht es bei Theatern, die staatlich subventioniert sind darum, dass wir versuchen Bedürfnisse zu wecken, von denen die Menschen noch gar nicht wissen, dass sie sie haben. Das war schon bei den alten Griechen so. Das ist das Gegenteil von Markt und auch nicht demokratisch.

Abendblatt: Aber Sie haben doch in der vergangenen Spielzeit das Publikum darüber abstimmen lassen, was es sehen will.

Lux: Bei der Publikumsabstimmung haben wir dank der Zuschauer zum Beispiel ein Stück entdeckt, das seit zwanzig Jahren zu Unrecht kaum mehr gespielt wurde. Dürrenmatts „Die Ehe des Herrn Mississippi“. Aber viele wollen es sehen. Wenn wir keinen Markt für unser Angebot finden, gibt es uns nicht. Ein Theater ohne Zuschauer ist tot. Pointiert: Wir produzieren nicht marktgängig, müssen uns aber einen suchen. Wir tun so, als seien wir autonom und buhlen zugleich ums Publikum. Wenn wir nur zeigen würden, was das Publikum angeblich will, dann entfiele der Grund für die Subventionen, dann könnten wir uns genau so gut ausschließlich am Markt bewähren. Wir sind aber nicht dazu da, lückenlos Bedürfnisse zu befriedigen. Andererseits: wenn wir nur produzieren, was wir für Kunst halten, dann verfehlen wir möglicherweise das Publikum.

Abendblatt: Das bedeutet?

Lux: Im Idealfall kommt beides zusammen: künstlerische Arbeit und Publikumsnähe. Dann ereignet sich das Theater als soziales und künstlerisches Lagerfeuer der Gesellschaft in ihrer Breite. Der Trend momentan ist genau entgegengesetzt: viele wollen sich nur noch per Applikation ihren ganz individualisierten Internetzugang zu dem verschaffen, was sie interessiert. Dieser Trend ist das komplette Gegenteil von dem, was wir am Theater machen. Oder Sie bei der Zeitung. Sie geht davon aus, dass der Mensch sich für Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur etc. interessiert, und nicht nur für die Börsenkurse. Wir behaupten, dass unsere Arbeit viele interessiert und nicht nur Spezialisten. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal und, davon bin ich überzeugt, angesichts zunehmender Selbstmarginalisierung unsere Zukunft und unsere Chance.

Abendblatt: Trotzdem wird behauptet, nicht alle würden es nutzen und deshalb solle das Theater weniger Subventionen bekommen. Bei vielen Menschen brennt allerdings auch nie das Haus und man braucht trotzdem eine Feuerwehr. Demokratie heißt auch, im Interesse aller zu handeln.

Lux: Ich bin ein Anhänger des politischen Solidarprinzips, auch bei der Kultur:  Allein die vier Hamburger Staatstheater haben über eine Million Zuschauer pro Jahr, rechnet man die Festivals hinzu, die Privattheater, die Konzerte, so kommen über zwei Millionen Zuschauer zusammen, mit den Museen sind es noch viel mehr. Es gibt also durchaus einen beachtenswerten Markt, der auch wirtschaftspolitisch von Interesse ist. Hinsichtlich der Subventionen hat das Thalia eine weiße Weste: es erwirtschaftet mehr als jedes andere deutsche Theater. Und doch braucht es die Subvention als antipopulistischen Schutzwall.

Abendblatt: Kunst ist ja keine elitäre Veranstaltung, aber die Herstellung von Kunst ist schon elitär, weil einige Menschen eben mehr begabt sind oder mehr von einer Sache verstehen als andere. Das gilt ja in allen Berufen. Auch im Sport ist es so, wer schneller laufen kann, wird Erster.

Lux: Das ist in allen Branchen und Bereichen so, also auch im Theater, aber auch in der politischen Demokratie. Das Grundgesetz sieht vor, dass der Konflikt zwischen dem latenten Laientum der Bevölkerung und dem Spezialwissen der Fachleute vermittelt wird: durch die repräsentative Demokratie. Sie schützt vor Elite und vor Populismus gleichermaßen und sorgt – wie beim Theater – dafür, dass der Wählerwille nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt durchschlägt. Das Instrument des Volksbegehrens ist dabei eher die Ausnahme. Aber auch die Fachkompetenz einer vermeintlichen Elite wird eingebremst. Das Verhältnis des Publikums zum Theater ist in einem ähnlichen Spannungsverhältnis.

Abendblatt: Churchill hat gesagt, ‚das letzte Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem Wähler’.

Lux: Wir schätzen die Zuschauer und halten sie nicht für Trottel, aber erlauben uns dennoch, von ihren Wünschen abzuweichen. Deswegen ist in der Politik die Mitte der Legislaturperiode meist die beste Phase. Und beim Theater? Wer entscheidet denn, was eine gute Aufführung ist? Die Applauslänge?

Abendblatt: Die Spezialisten. Die Menschen, die sich hauptberuflich mit Theater beschäftigen.

Lux: Dennoch ist auch das nicht die alleinige Wahrheit.

Abendblatt: Aber Sie sind der Repräsentant des Thalia Theaters. Sie haben die Legitimation, zu entscheiden, was hier gespielt werden soll. Merkwürdigerweise möchten ja gerade in der Kunst viele Menschen mitreden. Beim Bau eines Fahrzeugs, in der Technologie gibt jeder zu, dass er Laie ist, in der Kunst wollen viele es besser wissen, wie man ein Bild malen oder ein Stück inszenieren soll.

Lux: Merkwürdig, ja. Aber Hybris ist trotzdem fehl am Platz. Man braucht auch Demut. Und Verbindlichkeit gegenüber seiner „Kundschaft“.

Abendblatt: Morgen ist Bundestagswahl....

Lux: Kann Theater spannender sein als dieser Wahlkampf?

Abendblatt: Ja

Lux: Finde ich auch. Der Wahlkampf war seicht und konfliktlos – wie die abgerundeten Autos und die Parkbuchten, offenbar ein Trend der Zeit. Da kann man nur hoffen, dass Theater polarisiert, frech, entschieden und experimentell ist. Den Konsens nicht behauptet, bevor er überhaupt entstanden ist. Ergo: nicht demokratisch bzw. demokratisch, weil konfliktfähig.