Annette Kurz i
m Interview mit de
r oT Kunst SZENE

Ein Gespräch zwischen Bühnenbildnerin Annette Kurz und SZENE-Redakteurin Hanna Klimpe

 

"Ich bin wie eine Bildhauerin, die Raum und Inhalt formt."

Annette Kurz entwirft komplexe Bühnenbilder, die sie als szenische Objekte bezeichnet, worin Schauspieler agieren. Auch mit den Objekten von Franz Erhard Walther soll gespielt werden. Inmitten der Ausstellung des Vordenkers der interaktiven Skulptur in der Hamburger Kunsthalle ein Gespräch über Zeit, Bewegung, Raum, Energie und das Verhältnis von Kunst und Bühne.

oT: Welche Assoziationen haben Sie als Bühnenbildnerin bei einer Installation wie „Sieben Orte für Hamburg“?
Annette Kurz: Das ist einmal der Rahmen, der den direkten Bezug herstellt zwischen dem Einfluss der Renaissancemalerei auf die Bühnenbildnerei: Eine Theaterbühne hat einen Rahmen wie der Rahmen eines Gemäldes. Piero della Francesca hat angefangen, uns die Perspektive vorzuspiegeln, und die italienischen Bühnenbildner des 16. Jahrhunderts haben das aufgegriffen: Sie haben im dreidimensionalen Raum der Bühne die malerische Imitation der dritten Dimension gedoppelt und dadurch die perspektivische Illusion der Gemäldemalerei fortgeführt. Das ist das Prinzip der Guckkastenbühne, oder wie man im Französischen sagt, théâtre à l\'italienne. Die Worte, die Franz Erhardt Walther hier in die Rahmen gesetzt hat, sehe ich als Weiterentwicklung der von den Renaissancemalern begonnen Suche nach der Darstellung der Realität, außerdem ist auch meine Arbeit stark von Sprache beeinflusst. Und die Parameter „Zeit“ und „Bewegung“ machen den Raum aus, in der bildenden Kunst wie im Theater.

Sie haben bildende Kunst und Kunstgeschichte in Paris und danach Bühnenbild in Straßburg studiert. Was hat Sie am Theater gereizt?
Während des Kunststudiums gab es einen Kurs, der hieß espace scénique (dt.: szenische Räume). Das hörte sich interessant an, und dann habe ich gemerkt, das es dort um Bühnenbild ging. Zu der Zeit hatte ich einen Freund, der immer Freikarten fürs Theater bekam. Tagsüber studierte ich Kunst und fast jeden Abend ging ich ins Theater, und das hat sich dann übereinandergelegt.

Welche bühnenähnlichen Kunstformen wie Installationen oder Performances inspirieren Sie am meisten?
Ich bin offen für alles. Wenn der Inhalt des Kunstwerkes mich anspricht, ist mir die Form egal. Am meisten schöpfe ich aber aus Konzeptkunst und Land Art, zum Beispiel die Installation „Lightning Field“ von Walter De Maria, wo er Stahlstangen in die Wüste gesteckt hat, in die der Blitz einschlägt. Das ist für mich die absolute Metapher für die Art, wie ich Bühnenbild machen will: Ich möchte in dem Raum, der mir zur Verfügung steht, etwas schaffen, was die Energien kristallisiert, wobei der Blitz bei mir in den Schauspieler fahren und ihm zu Gute kommen soll.

Möchten Sie mit Ihren Entwürfen der Natur nahe kommen? Sie haben einmal gesagt, es würde sie nicht interessieren, realistische Räume zu entwerfen. 

Ich glaube, ich habe da wieder ein ähnliches Problem wie der Renaissancemaler. Der hat versucht, auf die Leinwand die Natur und dazu etwas Transzendenteres zu bannen, und ich versuche, ein Universum in diese 9,50 x 7,50 Meter große Bühnenöffunung hineinzuzaubern und hineinzubitten. Was mich an der Natur reizt, ist die Weite und die Unendlichkeit. Die hundert Rohrglocken bei „Die Brüder Karamasow“ zum Beispiel werden nach hinten kleiner und dichter, also wieder perspektivisch, und um der Unendlichkeit so nahe wie möglich zu kommen, habe ich den Fußboden in Wellen gelegt, die nach hinten auch kürzer und schneller werden. Wenn der Schauspieler hinten auftritt und nach vorne läuft, dann hat man das Gefühl, die Bühne sei viel tiefer als 16 Meter.

Sie haben auch schon in Museen gearbeitet, z.B. haben Sie die szenische Lesung von Navid Kermanis „Dein Name“ in den Deichtorhallen ausgestattet. Vor was für Herausforderungen stellt Sie ein Museumsraum im Vergleich zur Theaterbühne?

In einem Museum stehen Kunstwerke, die nicht einfach nur Gegenstände sind, sondern wie Wesen, die Raum und Aufmerksamkeit einfordern, und alles, was der Künstler in sie reingelegt hat, ist in ihnen enthalten. Wenn wir dann mit Schauspielern in dieses Museum kommen, müssen sich die Schauspieler, die uns den Text von Navid Kermani bringen, den Raum mit den Kunstwerken teilen. Das Interessante war, dass in dieser Ausstellung eine Art Geflecht zwischen dem inneren Raum des Kunstwerkes und den Schauspielern, die die Geschichte erzählt haben, entstanden ist. Das hat wie ein Teppich aus diesen beiden Ebenen gewirkt, die ja beide in sich auch noch ganz viele Ebenen transportieren. Das war eine tolle Erfahrung.

Das Bühnenbild hat als eigenständige Kunstform z.B. in Frankreich einen viel höheren Stellenwert hat als in Deutschland. Wie erklären Sie sich das?

Ich glaube, das hat mit dem Kulturverständnis in Frankreich zu tun, wo die Grenzen grundsätzlich fließender sind. Der Renaissancemensch der lateinisch geprägten Kulturen, der Kriegsherr war und gleichzeitig eine unglaubliche Bildersammlung hatte, ist in der französischen Kultur viel verwurzelter. In Frankreich hat man als Künstler eher eine inhaltliche Stärke, die in verschiedenen Kunstformen ihren Ausdruck finden kann. Ich habe vor 25 Jahren im Jeu de Paume in Paris eine Ausstellung des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers gesehen, in der auf einer ganz kleinen Bleistiftskizze stand: L\'espace, c\'est la conquête de l\'espace. Meine Stärke ist Raum, ich bin wie eine Bildhauerin, die Raum und Inhalt formt – aber hier gibt es keine Schublade, die so richtig dazu passt.
 
Sie haben mehrfach die Bedeutung des Schauspielers bei der Konzeption Ihrer Bühnenbilder erwähnt. Haben Sie manchmal Bilder im Kopf, die sie nicht realisieren können, weil dort kein Platz mehr für die Schauspieler wäre?

Das gibt es, aber es ist ja auch ganz schön, wenn man den Raum teilen muss. Man muss ein gutes Gleichgewicht finden. Es gibt auch eine Art, Bühnenbilder zu machen, bei der man sich diese Sorgen nicht machen muss. Da baut man eine Art Realität für die Schauspieler und die Zuschauer, in der die Geschichte stattfindet. Meine Herangehensweise ist eine andere: meine szenischen Objekte sind ein bisschen wie Kunstwerke, die auch Raum brauchen. Im besten Fall brauchen sie ganz viel Raum, nehmen sich aber total zurück und geben alle Energien, die sie eingesammelt haben, an den Schauspieler zurück.

Bei Kunstinstallationen wird primär der Zuschauer mit ins Kunstwerk einbezogen, im Bühnenbild der Schauspieler. Was macht das für einen Unterschied für das Verhältnis zwischen Objekt und Mensch?
Ich glaube, der Unterschied liegt vor allem im Verhältnis zur Zeit. Im Theater ist der Zeitraum, in dem ich Erkenntnisse gewinnen kann, vorgegeben – auch wenn die Vorstellung hoffentlich noch nachwirkt. Im Museum hingegen besteht in dem Moment der Aufnahme, der Begegnung mit dem Kunstwerk die Freiheit der eigenen Zeit.

Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass der Betrachter ein Kunstobjekt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann. In Ihrem Bühnenbild zu „Die Brüder Karamasow“ haben Sie Sinnsprüche auf russisch auf den Boden geschrieben. Schmerzt es Sie, wenn Sie daran denken, dass ein Zuschauer in der letzten Reihe im Parkett solche Details gar nicht zu Gesicht bekommt?

Je nachdem, ob man im Theater im Parkett oder im dritten Rang sitzt, sieht man etwas ganz Anderes. Das denke ich immer mit. Deswegen gibt es den Fußboden mit den Sinnsprüchen, der ist für den dritten Rang, und das Parkett kann dafür die Vertikalität der Stahlrohre erfassen. Einerseits denke ich natürlich, schade, dass nicht alle alles sehen, andererseits bin ich froh, dass jeder etwas Spezifisches sieht.

Das Gefühl für die Dreidimensionalität des Raumes geht angesichts der perfekten mimetischen Nachahmung von Wirklichkeit im Virtuellen zunehmend verloren. Sie haben einmal auf die Frage „Wozu Theater?“ mit „Raum für Gegenentwurf“ geantwortet: Welche Bedeutung kann Theater und Kunst für die heutigen Herausforderungen der Wahrnehmung haben?

Jedes Kind, das aufwächst, kennt die Darstellung des Raums vor allem als Imitation eines dreidimensionalen Raumes auf einer zweidimensionalen Bildfläche. Museen und Theater sind da umso wichtiger, um das Haptische, das Sinnliche, die Erfahrungen des Raumes wieder zu vermitteln: Man läuft durch ein Museum und hat ein Gefühl zu weiß oder rot, wir können um die Dinge herumlaufen und merken, wie sie Gefühle in uns auslösen. Das Theater hat, glaube ich, noch dazu den Vorteil, dass es dort immer eine Geschichte gibt. Und das Bedürfnis nach Geschichten ist ein urmenschliches Bedürfnis.

Und wenn man die Geschichte ins Museum holt – in was für einem Museum würden Sie gerne einmal ein Bühnenbild entwerfen?

Ein altes Naturkundemuseum wäre so ein Traum, aber ehrlich gesagt, würde ich gerne in jedem Museum eine Arbeit machen, bei der ich mich mit dem spezifischen Ort inhaltlich und architektonisch auseinander setze.

Annette Kurz, geboren 1967 in Hamburg, studierte Bildende Kunst und Kunstgeschichte in Paris und Bühnenbild in Straßburg. Sie entwirft Raumkonzepte für Theater, zuletzt in Luk Percevals Inszenierungen von „Jeder stirbt für sich Allein“ und „Die Brüder Karamasow“, und die Oper, z.B. „La Traviata“ an der Hamburgischen Staatsoper. Als Dozentin lehrte sie u.a. an der Koninklijke Academie voor Schoone Kunsten in Antwerpen, an der Université de Bordeaux, an der École des Arts Décoratifs in Strasbourg und der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Seit 2009 ist sie Ausstattungsleiterin des Thalia Theaters.