Ei
n Somm
ernachtst
raum

Die dunkle Seite des Begehrens

Von Felix Meyer zum Wischen

Eine Inszenierung des Sommernachtstraums zu besuchen weckt bei den meisten Theaterbesuchern sicher nicht die Erwartung, einen besonders überraschenden Abend zu verbringen. Dafür ist der Stoff zu vertraut und bereits in zu vielen Variationen bekannt. Ob Oper (Benjamin Britten), zeitgenössische Literatur (Botho Strauß: Der Park) oder hollywoodkompatible Verfilmung (von 1999, mit Michelle Pfeiffer als Titania und Christian Bale als Demetrius): die verschiedenen Bearbeitungen der beliebten Shakespeare-Komödie sind schier zahllos. Umso angenehmer vermag es zu überraschen, dass es dem Ensemble um Regisseur Stefan Pucher gelingt, dem Publikum noch frische und unerwartete Bilder zu präsentieren.
Die Rahmenhandlung des Stücks, die bevorstehende Doppel-Hochzeit des Athener Herzogs Theseus mit der von ihm besiegten Amazonenkönigin Hippolyta sowie von Demetrius und Hermia (die jedoch eigentlich Lysander liebt), eröffnet in der Optik eines hochprofessionellen Kinotrailers auf einer riesigen Leinwand den Abend und führt so die ersten Figuren des Stücks ein, noch bevor die Schauspieler die Bühne überhaupt das erste mal in persona betreten haben. Die Videowand ist in Puchers Inszenierung überhaupt ein viel genutztes Mittel. Mal schwebt sie, wie ein Fremdkörper fast, nur im Hintergrund des Geschehens, mal ist sie perfekt integrierter Bestandteil der Bühne und wird zu einem Requisit unter vielen. Doch egal wie wesentlich – oder unwesentlich – sie für eine Szene auch sind, stets ziehen die aufwendigen Videoarrangements unweigerlich die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich. Jedoch mit höchst unterschiedlichem Effekt. Mal unterstützen sie die Illusion der Metamorphose von Mensch zu Esel, dann wiederum verleihen sie einer Gesangseinlage die schrille Wirkung eines MTV-Videoclips.
Letzteres wird durch die Kostüme, für die sich Marysol del Castillo verantwortlich zeigt, noch betont. Oberon gleicht optisch einem Dirk Bach in freizügiger Lederkluft, Titania erscheint dem Publikum wie die Travestie-Version David Bowies und Puck gewandet sich in einen eleganten schwarzen Smoking, der ihn schon rein optisch bestens zur Moderation einer Revue prädestinieren würde. Zugleich steht die so gar nicht klassische und märchenhafte Kleidung der Bewohner des Elfenwaldes in starkem Kontrast zur sehr üppigen, fast Anti-minimalistischen Ausstattung der Bühne. Wiesen und Bäume entstehen hier nicht vorwiegend vor dem geistigen Auge des Betrachters, Bühnenbildner Stéphane Laimé führt sie dem Publikum ganz gegenständlich vor Augen. Und wenn dann Titania (Sebastian Rudolph) vor der Videoleinwand, begleitet von Elfen an E-Gitarre und Keyboard, ihren „Lover Boy“ besingt, ergeben sich durchaus interessante Kontraste in der Wirkung zwischen den Figuren und ihrer Umgebung. Nicht nur den Athenern erscheinen die Bewohner des Elfenwaldes als Täuscher, auch die Wahrnehmung des Zuschauers wird durch die nicht ihrer Umgebung gemäßen Elfen herausgefordert.
Abseits von Zauberwald und Athener Hof versuchen in den so genannten „Handwerkerszenen“ Squenz, Zettel & Co. die laienhafte Inszenierung der „Tragische[n] Komödie um die Liebe zwischen Pyramus und seiner Thisbe“ auf die Bretter zu stellen. Für diese Szenen setzt der „Sommernachtstraum“ des Thalia Theaters unter anderem auf die Hamburger Comedy-Truppe Studio Braun (Heinz Strunk, Rocko Schamoni & Jacques Palminger). Ein echtes Heimspiel also für das Trio, was sich auch hörbar in den Publikumsreaktionen widerspiegelt. In diesen Aufzügen ist das Stück schlicht und ergreifend eine leichte und lockere Komödie, jedoch in ständigem Grenzgang zwischen Komik pur und belanglosem Klamauk. Diese Akzentuierung verschleppt sich jedoch stellenweise in den Zauberwald hinein, was unglücklicherweise zu einigen Eseleien auch ohne Beteiligung des verwandelten Zettel führt. Doch während die Schauspielertruppe um Zimmermann Squenz auch als Durchbrechung der tiefer liegenden Tragik der nur scheinbar leichten und komischen Geschehnisse um Wirrungen und Verwechslungen fungiert, geht es im Walde des Elfenkönigs gerade nicht nur leicht und heiter zu. Es geht dort im Kern nicht um die Komik der Liebe und auch nicht um Sex – obwohl die Liebe immer wieder ironisiert beschrien wird und auch der Sex zu Genüge vorhanden ist, von der teils sexualisierten Kostümierung (Oberon, Titania) hin zum angedeuteten Akt zwischen Elf und Esel. Vielmehr geht es um Einsamkeit und um die dunkle, archaische Seite des Begehrens.
Diese Gebrochenheit zwischen der Komik und Tragik, des Strebens gegen die Einsamkeit gleichermaßen, kommt in Jens Harzers ausgesprochen spielfreudiger Darstellung des Puck herausragend zum Tragen. Mal erscheint er dem Publikum als lockerer, verschmitzter Spaßmacher, um im nächsten Moment fließend in eine tragischen Melancholie einzutauchen, wie sie nur ein wehmütiger Narr auszustrahlen vermag. Und trotz all der starken, manchmal fast überladenen Bilder aus üppiger Kulisse, Videoleinwand und grellem Scheinwerferlicht, gepaart mit einem vielfältigen Einsatz musikalischer Elemente, sind es gerade diese stillen Szenen mit den gebrochenen Figuren des Stücks, die wahre Highlights der Inszenierung darstellen.

Felix Meyer zum Wischen, studiert Philosophie, Germanistik und Vergleichende Religionswissenschaften an der Goethe- Universität, Frankfurt/Main


Felix Meyer zum Wischen