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Rede beim Senatsempfang anlässlich der Hamburg Welcome Days am 21.10.2011 von Joachim Lux

 

Sehr geehrter Bürgermeister,
lieber Olaf Scholz,
sehr geehrte Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Barbara Duden,
sehr geehrte Vertreter des konsularischen Korps,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Welcome Centers,
liebe Gäste der Hamburg Welcome Days,

eine weiße Orchidee – eine weiße Orchidee im Fenster unserer neuen Wohnung – das war meine persönliche erste Begegnung mit Hamburg, als ich vor über zwei Jahren mit meiner Familie selbst neu in die Hansestadt kam. Neue, uns unbekannte Nachbarn aus der Umgebung hatten es geschafft, sie in die vollkommen leere und überdies abgeschlossene Wohnung zu stellen. Wir kamen als Neubürger und Zuwanderer zurück aus dem Ausland nach Deutschland und irgendjemand in der Millionenstadt rief uns zu „Herzlich willkommen!“ Wir pflegen die Pflanze bis heute wie einen Talisman, der mehr ist als nur eine Blume. Der Mensch lebt von kleinen Gesten.

„Guten Tag und Herzlich willkommen in Hamburg! Sagt auch die Stadt zu ihren Neubürgern. Die Welcome Days sind eine wunderbare Erfindung – soweit ich weiß einzigartig. Aber auch notwendig: Denn in der Tat richten sich die Anforderungen von Migration, Wandel und Wechsel heute an jeden. Im Kleinen wie im Großen, im nationalen wie im internationalen Bereich. Schon vor 15 Jahren schrieb der bekannte Soziologe Richard Sennett sein damals Aufsehen erregendes Buch „Der flexible Mensch.“

An diese Anforderungen haben wir uns längst gewöhnt – bewältigt aber haben wir sie nicht unbedingt. Denn wir werden aus unseren nationalen oder regionalen Kontexten herausgerissen und sollen lernen, immer wieder neu anzufangen. Abenteuerlust aber ist nicht jedermanns Sache. Von dem Professor, der mit seiner Partnerin in Hamburg lebt, aber in Göttingen unterrichtet über den leitenden Angestellten, der für drei Jahre nach Hamburg versetzt wird bis zum Studenten, der einen Studienplatz findet und dem Migranten, der aus Ost- oder Südeuropa zuwandert – das Spektrum ist groß und wird täglich größer.

Diese Dynamik ist sehr sehr reizvoll. Ich selbst habe das in Wien – einer Stadt zwischen Orient und Okzident - zehn Jahre lang erlebt, wo die Populationen aus dem slawischen und dem türkischen, mittlerweile aber übrigens auch aus dem deutschen Raum besonders massiv vertreten sind. Die Anforderungen an den Einzelnen, sich mit dem kulturellen Wechsel zu arrangieren und ihn zu bewältigen, sind hoch: wer bin ich? Wie behaupte ich mich? Geht es um Assimilation? Anpassung? Integration? Interkulturelle Autonomien? Um Gleichwertigkeit von allem in einem großherzig-naiven Multikulti? Um eine Leitkultur, wie andere meinen? Um Identitätshybride, die ein konsistentes Ich verweigern?

Seit Jahrzehnten gibt es auch in Deutschland ein Gemisch der Völker. Wenn die türkische Fußballnationalmannschaft spielt, gibt es in Köln ohrenbetäubende Autokorsi, wenn man ins Saarland fährt, erlebt man eine frankophile Atmosphäre, wenn Sie in Berlin sind, stoßen Sie auf ein Gemisch aus Russen, Türken, Polen und anderen. Und wenn Sie in Hamburg sind, stoßen Sie auf eine angelsächsische Atmosphäre in der eigenartigen Mischung aus Abgrenzung und Weltoffenheit. Der Hafen hat diese Stadt schon immer gezwungen, sich einerseits zu definieren im Sinne von „So sind wir und nicht anders- bitte respektiere die Codes unserer Gesellschaft“ und sich andererseits gegenüber den Kulturen der Welt zu öffnen. In diesem Spagat hat Hamburg jahrhundertelange Übung. Denn über den Hafen kamen schon immer viele Menschen aus der ganzen Welt nach Hamburg. Aber auch umgekehrt: er war – besonders im 19. Jahrhundert das Auswanderertor in die neue Welt: Amerika. Das auch sprachlich angelsächsische der „welcome days“ ist also hier nicht modische Attitüde, sondern es entspricht der Stadt.

Die Herausforderung an die Städte, den urbanen Lebensraum so zu gestalten, dass er lebendig bleibt, dass er sozial bleibt und nicht verwahrlost, ist unbestritten enorm.

Ich habe heute die Ehre, zu Ihnen als Vertreter der Kultur zu sprechen. Denn es ist ganz sicher so, dass im städtischen Raum weniger die shopping malls als zum Beispiel die Kultur eine zentrale Möglichkeit ist, sich in der neuen Umgebung zu verankern und die Stadt als Lebensraum anzunehmen. Denn es sind – gleichgültig ob es sich um Museen handelt, um Oper, Konzert oder Schauspiel – Orte, wo der Mensch sich spiegelt und sich mit den Traditionen und der Gegenwart der europäischen Kultur auseinandersetzen kann.

Auch das Thalia Theater, für das ich hier heute spreche, versucht, sich mit den gewandelten Verhältnissen in unseren europäischen Gesellschaften auseinander zu setzen. Denn es kann einfach nicht sein, dass wir an den beinahe 500.000 Hamburgern mit nicht-deutscher Herkunft vorbeigehen. Das ist im Schauspiel – sofern es sich um fremdsprachige Menschen handelt - zugegebenermaßen schwerer als beispielsweise in der Musik, denn die Bühnensprache bleibt natürlich deutsch. Ich will in gebotener Kürze ein paar Beispiele unserer Bemühungen nennen:

1. Zu allererst knüpft das Thalia explizit an einen Dramatiker an, den Hamburg – sich im 18. Jahrhundert nicht mit Ruhm bekleckernd – de facto mit Berufsverbot belegt und aus der Stadt vertrieben hat, weil er den Dialog der Kulturen wollte: ich spreche von Lessing. In seinem Sinne knüpfen wir mit einem alljährlichen Festival, das Fragen des Interkulturellen thematisieren will, an die Grundherausforderung einer internationalen und auch kosmopolitischen Gesellschaft an. Im Rahmen dieses Festivals gibt es auch die auf Anhieb sensationell erfolgreiche „Lange Nacht der Weltreligionen“, zu der sich wirklich die internationale Stadtgesellschaft in ihrer Vielfalt im Theater versammelt. Hier geht es aber nicht darum, einer neuen Religiosität zu huldigen, sondern darum, sich mit den Grundtexten unserer Kulturen zu beschäftigen, die – je tiefer man in die Vergangenheit geht – mehr verbindet als trennt.

2. Ein anderes Beispiel: In diesen Tagen ist uns der 50. Jahrestag des Zuwanderungsabkommens mit der Türkei ein wichtiger Anlass, um eine Woche lang, ein anderes kleines Festival „Goldene Hochzeit“ in enger Partnerschaft mit der Türkischen Gemeinde Hamburg zu organisieren. Schon ab morgen präsentiert das Thalia Theater Gastspiele aus der Türkei und setzt sich in verschiedenen Projekten mit den Problemen und Hoffnungen unserer türkischstämmigen Mitbürger auseinander.

Aber nicht nur. Das Theaterprojekt „Integrier mich, Baby!“ dreht die Fragestellung kurzerhand um. In der Science Fiktion Vision des Jahres 2033 geht es um den kleinen Rest von 20% Deutschen ohne jeden Migrationshintergrund und um die Frage, wie diese Minderheit von Deutschen sich in eine flächendeckend interkulturelle Gesellschaft integriert – eine Vision übrigens, die nicht für Deutschland, aber für die USA in absehbarer Zeit Wirklichkeit werden wird, wenn die hispanisch geprägte Population die Majorität erringen wird….

3. Aber auch jenseits von speziellen Veranstaltungen versuchen wir zu zeigen, dass wir uns öffnen für die Stadt in ihrer Vielfalt: Wir vernetzen uns mit Hamburg PIASTA, (Interkulturelles Leben und Studieren in Hamburg), mit dem Ziel gemeinsam auch internationale Studierende fürs Theater zu begeistern. In diesem Bemühen steht uns übrigens auch das Welcome Center als Partner zu Seite. Wir haben ganzjährig ein Programm Thalia International, zunächst Thalia Migration genannt, aufgelegt – für Menschen, die neu in die Stadt kommen und einen Anker suchen, neugierig sind auf die Sprache und Kultur unserer Stadt.

4. Aber auch in den Aufführungen, die wir präsentieren, versuchen wir immer wieder zweierlei: zum einen Texte zu präsentieren, in denen sich Fragen von Heimat- und Heimatverlust stellen (Handke „Immer noch Sturm“), vor allem aber große europäische Erzählungen und Stoffe auf die Bühne zu bringen, wie Fausts Reise in die große Welt, Shakespeares „Hamlet“ oder Cervantes „Don Quijote“ – Texte und Stoffe also des gesamteuropäischen Erbes, Texte, für die sich eigentlich jeder interessieren können müßte.

5. In seinem Inneren ist das Theater im übrigen längst internationalisiert. Denn die Künstler, die bei uns arbeiten, stammen oft aus anderen europäischen und auch außereuropäischen Ländern, aus Belgien (Perceval) , Ungarn (Mundruczó, Marton), Bulgarien (Gotscheff), Chile (Nunez) etc. Das erinnert an eine zentrale Aufgabe der Künste: nämlich den Blick des Fremden auf das Eigene zu ermöglichen.

Aber: Trotz aller angestrebten Internationalität geht es uns am Thalia wie den Hanseaten selbst: Wir sind offen und innovativ, aber wir wollen und können nicht die Tradition des Thalia Theaters leugnen. Es ist so etwas wie das Wohnzimmer des hanseatischen, traditionsreichen, norddeutschen Bürgertums. Aber es ist wie dieses: offen sich zu erweitern - traditionsbewusst u n d innovativ.

Ich kann Ihnen allen nun heute leider nicht weiße Orchideen schenken, aber ein kleines Willkommensgeschenk habe ich Ihnen doch mitgebracht. Ich lade jeden Neubürger herzlich ins Thalia ein! Wenn Sie innerhalb von drei Monaten nach Ihrem Zuzug zu uns kommen möchten, erhalten Sie an der Abendkasse zwei Freikarten. Am besten bringen Sie die Anmeldebestätigung des Einwohnermeldeamtes mit!

In diesem Sinne: Welcome! Machen Sie das Thalia zu Ihrem kulturellen Heimathafen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Auf bald, in Ihrem Thalia Theater