Der xenophobe Wicht in uns

Probentagebuch "Integrier mich, Baby"

Es ist ja eigentlich Binsen- und Stammtischweisheit zugleich: in jedem von uns steckt ein, wenn in den besten und auch sehr häufigen Fällen winziger und nicht sehr lautstarker, xenophober Wicht, der sich hin und wieder zu Wort meldet. Dieser Wicht ist ein Parasit, der sich unterschiedslos gar in den vorbildlichsten Weltbürgern und Weitgereisten einnistet – auch wenn genau diese hier vermutlich protestieren.

Der beste Beweis für diesen Umstand ist, dass sich bei der Lektüre von Sarrazin oder anderen Obszönitäten von allen Haaren des Haupthaares, die sich dabei sträuben, mindestens drei nicht aufrichten, sondern ihre Zustimmung geben wollen: „Eigentlich ist da doch was Wahres dran.“, oder: „Auch ich will keine Unterwanderung…“ und so weiter…

Der fortgeschrittene Integrist, also wirklich jeder, der an dem Kulturdiskurs der letzten Wochen bei uns teilnimmt, weiß spätestens seit dem zweiten Tag der intensiven Begegnung, dass es nicht darum geht, in dem Suppenwürfel der Marke „Kultur“ ausnahmslos alle Geschmacksverstärker, Aromen und Gewürze zu konzentrieren, die die Welt hervorbringt. Es geht nur um die Überwindung dessen, wofür der Wicht steht und aus welchem Gefühl heraus er sich regt: Angst. Und es gibt zu denken, dass die deutsche Sprache nicht nur Begriffe wie Kindergarten, sondern auch die German Angst exportiert hat.

Das alles aber – die Haarspalterei um Ausdrücke und Bezeichnungen, political correctness und die ganze bis zur Unerträglichkeit ambitionierte Debatte von Multikulti und tralala – interessiert den Profi-Integristen überhaupt nicht. Der nämlich isst still und glücklich Marinas (man erinnere sich ihres italienisch-österreichischen Hintergrunds) Hähnchen nach chinesischer Rezeptur mit Shitake-Pilzen, tanzt Cumbia, tauscht sich über regionale Rituale aus und betrachtet nahezu alles Fremde mit einem wohlwollenden Blick, der Sonderbarkeiten als Bereicherung erfasst und diese irgendwo in die Landschaft der ihm vertrauten Dinge integriert.


Ron Mieczkowski