Pressestim
men zu Die drei S
chwestern
„Spielleiterin Christiane Pohle erlag am Hamburger Thalia Theater keinen wohlfeilen Aktualisierungs-Verlockungen, kasperte nicht mit Videoprojektionen herum, warf keine zeitgenössischen Zitate an die Wände. Nicht in Fallen tappen, lieber Fallen stellen: Pohle jagt Anton Tschechows genervte Landgesellschaft um die Schwestern Olga, Mascha und Irina, in einen riesigen, spitz zulaufenden Dachboden. Hier geistern sie durch ihr staubiges, verwinkeltes Gefängnis, einen düsteren Raum ohne Aussicht. Lediglich ein Radio empfängt kosmische Kurzwellengeräusche, verwehte Musik und zerhackte Stimmen. Man ist offenbar nicht allein im Weltenraum. […] Vertrauen ins Stück und gleichzeitig ironische Distanz: Schon nach kurzer Zeit zeichnet sich eine mutige Gratwanderung der Regie ab - das erzeugt Spannung. Was kann man bei Tschechow mehr erwarten? „Die drei Schwestern“, wie das Stück jetzt in Hamburg um einen bestimmten Artikel zugespitzt heißt, werden von der Regisseurin Pohle im Wortsinne vorgeführt und verarbeitet, wie es nur in einer bildkräftigen Bühne wie dieser (erdacht von Annette Kurz) möglich ist. […]“ - Spiegel Online
„ Ein Schutzraum für die Lamentierenden ist dieser fabulöse Dachboden, ein Ur-Ort des Theaters, an dem Sehnsucht noch zelebriert werden kann und wo ein Panoptikum der Hypersensiblen die ihm angemessene Zuflucht findet: Tschechows drei Schwestern fungieren dabei als abgekämpft patzige, sich oft beschwerende Gastgeberinnen, die so launisch wie genussvoll Hof halten, während ihr Bruder Andrej (ein in verzweifelter Schüchternheit gefangener Sebastian Zimmler) an unzähligen alten Radioapparaten herumschraubt, ihren Sendungen aus der Ferne lauscht oder versonnen das Theremin spielt, jenes wunderliche elektronische Instrument, das zum ersten Mal 1921 öffentlich erklang – in Moskau. […] Vieles von dem, was es dort an Schauspielerei zu sehen gibt, ist schlichtweg wunderbar: Wenn der massige Josef Ostendorf als selbstgefälliger Schulmeister in Erwartung eines Kostümfestes mit Adventskranz auf dem Kopf und Lamettabrille auf den Augen von absurder Würde in jammervolle Selbsterniedrigung wechselt zum Beispiel. Oder wenn Birte Schnöinks gedemütigte Natalja Iwanowna sich erst damit blamiert, dass sie der unbarmherzigen Irina (Lisa Hagmeister) eine Geburtstagskarte schenkt, die beim Aufschlagen Tina Turners "Simply the Best" spielt, nur um später zur bösartig entflammten Patriarchin aufzusteigen. Ihr hasserfüllter Ausbruch, laut und schneidend und auf schreckliche Weise ergreifend, ist ein herzklopfender Höhepunkt. Einer von vielen. […] Ganze Passagen des Textes werden musikalisch verdichtet: Dialoge überlappen einander, Sätze werden leitmotivisch wiederholt, wütende Eskalationen ergeben ein furioses Crescendo, bei dem die Müllsäcke zerrupft werden und man den Inhalt eines Feuerlöschers versprüht. Dann wieder Stille. In den besten Momenten dieser kunstfertigen Montage ergibt sich schwerelose Poesie, ein tragikomisches Netz kostbarer Ausdrucks- und Interpretationsintensitäten, ein Auskosten feinster Regungen und bestürzender Charakterisierungen.“ - nachtkritik.de
„Regisseurin Christiane Pohle hat Anton Tschechows berühmtes Stück in eine spektakuläre, aber düstere Dachbodenkonstruktion verlegt. Die dreistündige Inszenierung nimmt sich Zeit, atmosphärische Spannung aufzubauen. Keine Knalleffekte, sondern sehr gut dargestelltes Menschendrama, untermalt mit einigen musikalischen und poetischen Elementen.“ - Hamburger Morgenpost
„Der Realitätsverlust einer am Abgrund taumelnden Gesellschaft hat Anton Tschechow bewegt, als er sein Stück „Die drei Schwestern“ schrieb, und er bewegt, aktuell zugespitzt, Christiane Pohle in ihrer Inszenierung am Thalia Theater. […] Im Mittelpunkt die drei Schwestern und ihr Bruder Andrej, die seit dem Tod des Vaters in der russischen Provinz dahindämmern, immerfort hoffend auf ein schöneres Leben. Ihre Sehnsucht kristallisiert sich in einem stets wiederholten Ausruf: „Nach Moskau!“ Mit dieser Grundkonstellation, die feinste psychologische Ausdeutungen ermöglicht, gibt die Regisseurin sich nicht zufrieden. Ihr Blick wendet sich ab vom vorrevolutionären Russland und hin zu uns heute viel näher liegenden Geschichtsräumen. Auf der aus schweren Holzbalken zusammengefügten Bühne (Annette Kurz) sind Radiogeräte aufgereiht, aus denen es verheißungsvoll tönt: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn.“ Aber das von Zarah Leander beschworene Wunder gibt es weder im untergehenden Nazi-Deutschland noch im zusammenbrechenden Dasein der drei Schwestern. Radios als Illusionsmaschinen. Und der fatale Hang zum Selbstbetrug treibt immer neue Blüten in den endlosen Gesprächen der Gesellschaft auf dem Dachboden, die im Selbstmitleid stark ist, im Mitleiden aber schwach. […] Soziale Kälte, deren Fluchtpunkt irgendwo in der Gegenwart liegt. Christiane Pohle zeigt das nicht mit erhobenem Zeigefinger oder geballter Faust. Vielmehr erlaubt sie sich sogar Abirrungen in die Tortenschlacht-Komödiantik mit Josef Ostendorf als Protagonist, sie inszeniert den Abschied Werschinins (Alexander Simon) von Mascha (Cathérine Seifert) als knackige Slapsticknummer, lässt Irina (Lisa Hagmeister) und ihren unglücklichen Leutnant Tusenbach (Thomas Niehaus) mit großer Geste zu Boden sinken. Zum Schluss aber stellt sie alle lauten Töne ab, und es wird ganz still. Die Trauer des ungelebten Lebens - und ein verdorrtes Bäumchen ist ihr Symbol.“ - Lübecker Nachrichten