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Das Theater der antidepressiven Traumata

„Menschen verlassen das Land und kehren zurück mit Erfahrungen, die auf extreme Weise anders sind als die ihrer zurückgebliebenen Mitmenschen“ sagt Jonathan Shay über die aus dem Irak und aus Afghanistan heimkommenden amerikanischen Soldaten. Shay ist Psychotherapeut, der in den USA seit vielen Jahren in der Betreuung von Kriegsveteranen tätig ist. In Deutschland ist er durch sein Buch „Achill in Vietnam: Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust“ bekannt geworden, in dem er Parallelen zwischen dem Vietnamkrieg und dem Trojanischen Krieg aufzeigt, die belegen, dass Kriege in jedem Zeitalter permanente seelische Zerstörungen bei Individuen und Gesellschaften verursachen.

Wir beschäftigen uns im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg seit mehr als 15 Jahren mit Soldaten, die psychisch verändert oder traumatisiert aus den Auslandseinsätzen zurückkehren und die psychotherapeutische Hilfe benötigen. Von Anbeginn gab es über unsere Arbeit viele Diskussionen, insbesondere auch darüber, ob das, was die Bundeswehrsoldaten jetzt erleben, vergleichbar sei mit dem, was ihre Väter und Großväter im 2. Weltkrieg erleben und erleiden mussten. Auch von Regie und Dramaturgie des Thalia Theaters wird jetzt im Rahmen der Aufführung von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem Schicksal des Kriegsheimkehrers Beckmann nach Hamburg und den aus Afghanistan rückkehrenden Bundeswehrsoldaten.

Dieses Thema der Traumatisierung ist bei uns in der Klinik alltäglich präsent und umso mehr erwartete ich gespannt die Inszenierung und dramaturgische Umsetzung am Thalia Theater. Das Stück gehörte in meiner Generation in der Oberstufe zur „Standard-Literatur“ im Deutschunterricht. Wir besuchten als Schüler auch eine Inszenierung am Schauspielhaus in Köln, die mir noch als sehr düster – heute würde ich sagen: depressiv – in Erinnerung ist. Wir mochten als junge Leute diese „Kriegsgeschichten“ auch nicht mehr hören, die noch häufig die Gespräche unserer Väter untereinander dominierten.

Vor der jetzigen Aufführung saßen wir in einem Café in der Nähe des Theaters zufällig an einem Tisch mit einem älteren Herrn aus Göttingen, der wegen des Stückes nach Hamburg gekommen war und uns von einer Aufführung in den 50er-Jahren am Deutschen Schauspielhaus berichtete, die so beklemmend gewesen sei, dass hinterher zunächst niemand applaudieren wollte.

Ganz anders die aktuelle Inszenierung des Stückes am Thalia Theater, zu der man Regie, Dramaturgie und Schauspielern nur gratulieren kann. Mich hat die Umsetzung dieses Themas der „Kriegstraumatisierung“ überrascht, in den Bann gezogen, begeistert und mir neue Aspekte des Krankheitsbildes „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) – wie es in unserer Fachsprache heißt - eröffnet. Das Stück ist nicht mehr nur düster, depressiv, dennoch nachdenklich stimmend. Die Verzweiflung, die Zerrissenheit, das Überwältigtwerden von Erinnerungen und Albträumen wird durch die Darstellung von Felix Knopp in seiner ganzen Fülle lebendig. Die Ohnmacht gegenüber den immer wieder sich Bahn brechenden inneren Bildern wird deutlich, die Macht der ungewollten Erinnerungen bekommt eine immense Kraft. Der Traum vom Knochenxylophon spielenden General ist so ausdrucks- und lautstark, dass die ganze Wucht auch körperlich erfahrbar wird. Traumatisierte werden von ihren Intrusionen – so nennen wir die unvermittelt auftretenden Erinnerungsfragmente - in dieser Art und Weise überrumpelt, können sie nicht beherrschen und erleben alles wie im „hier und jetzt“, ohne zeitliche oder emotionale Distanz. Menschen, die solche Art sich aufzwingender Erinnerungen nicht kennen, können sie häufig auch nicht verstehen. Traumatisierte sind gequält von Scham und Schuld, fühlen sich einsam und unverstanden, glauben, sie seien die Einzigen, die mit ihren Erlebnissen nicht klar kommen, ziehen sich zurück und bleiben „draußen vor der Tür“…

Bei mir bleibt das Gefühl, ein besonderes Theatererlebnis gehabt zu haben, das mir auch neue Aspekte hinsichtlich der psychotherapeutischen Arbeit mit traumatisierten Soldaten eröffnet hat. Ich habe es vor allen Dingen auch meinen Mitarbeitern im therapeutischen Team empfohlen.

Karl-Heinz Biesold ist als leitender Arzt der Abteilung Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg tätig. Dort behandelt er regelmäßig Soldaten, die nach einem Einsatz an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Er hat selbst an vier Auslandseinsätzen teilgenommen: in Bosnien, im Kosovo und zweimal in Afghanistan.


Karl-Heinz Biesold