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„El Classico“ – ohne Verlängerung: Der Regisseur und Drehbuchautor Ingo Haeb zieht Parallelen zwischen Mundruczos Spieleranordnung und dem spanischem Fußball-Finale ,Copa del Rey'.

Während ich Kornél Mundruczós „Die Zeit der Besessenen“ nach Dostojewskis Klassiker „Die Dämonen“ im Thalia Gaußstraße sah, fühlte ich mich ständig an den Vorabend erinnert.

Am Vorabend hatte ich zufällig entdeckt, dass auf dem ZDF „El Classico“ gezeigt wurde: Real gegen Barca. Das ist eine grundsätzlich interessante Partie, allein schon aus der Tradition des Duells heraus - die dem König Ergebenen aus Madrid gegen die Aufständischen aus Katalonien -, aber auch weil in der spanischen Liga derzeit wohl der beste Fußball der Welt gespielt wird. Seit einem Jahr aber gibt es eine weitere spezielle Note in diesem Wettstreit, die auch Sportmuffeln erklären könnte, warum sich manch einer 90 Minuten vor die Kiste hängt, um „22 Männern dabei zuzusehen, die einem Ball hinterher jagen“ (Zitat vieler Unwissender). Seit dieser Saison hat nämlich der Portugiese Jose Mourinho in Madrid das Sagen und Mourinhos Strategie ist die, die Strategie des Gegners zu zerstören. Während sein Gegenüber, Barca-Trainer Guardiola, das schöne, schnelle, offensive Spiel propagiert und seinen Spielern einimpft, stets den konstruktiven Pass zu spielen, hat Mourinho sich in den vergangenen Jahren in Porto, London-Chelsea und Mailand den Ruf eines Erfolgsgaranten erarbeitet, indem er das Spiel der Anderen analysiert und seiner Mannschaft eine Taktik verpasst, die die Stärken des Gegners blockiert.

Das Spiel war zudem das Finale um die „Copa del Rey“, es musste also einen Sieger geben. Und da es ein fairer, gerechter „Classico“ werden sollte, wurde das Match nicht im „altehrwürdigen Bernabeu“ zu Madrid oder im „altehrwürdigen Camp Nou“ zu Barcelona, sondern im Stadion von Valencia ausgetragen, einer dem Expriment angemessen neutralen Nebenbühne des spanischen Fußballs.

Das Duell begann nervös, aber langsam. Man „tastete sich ab“, wie es im Reporterjargon heißt. Dann aber ein, zwei gute Einzelaktionen der Madrilenen, ansehnlich, jedoch ohne Ertrag. Barcelonas Spielaufbau wurde von Mourinhos Zerstörungstaktik verschluckt, es kam einfach kein Spielzug über mehrere Stationen zustande. Bisweilen trieben die kampfeslustigen Real-Spieler die Katalanen derart in die Enge, dass selbst diesen geschulten Technikern ein paar peinliche, zotige Fehler unterliefen. Noch ein, zwei gute Einzelaktionen bis zur Pause, das war´s dann. Eine zähe erste Hälfte. So etwas nennt man gerne „Fußball für Feinschmecker“. Mourinho soll´s recht sein, er weiß, dass er mit seiner „Destructora“ nicht die Herzen des Publikums gewinnen wird. Und er weiß, dass seine Strategie die ultimative Prüfung für Guardiolas Idealisten ist. Wenn sie gegen ihn bestehen, wenn sie auch hier in Valencia zaubern können, dann haben sie es sich auch verdient. Nur durch seine Absage an die Schönheit des Spiels, glaubt er, werde dieser Abend zum „Classico“.

Das Halbzeitprogramm mit dem verkürzten „heute-journal“ gab Gewissheit, dass man hier das spanische Pokalfinale schaute und nicht etwa ein niederklassiges, auf simples Gebolze beschränktes Spiel des USC Paloma Barmbek-Uhlenhorst. Und in der zweiten Hälfte wurde man dann auch für seine Geduld belohnt. Barcas konstruktives Spiel kam ins Rollen. Es musste gar nicht immer in Richtung Tor gehen. So wie der Ball zirkulierte, wie da scheinbar unabhängige Aktionen etwas Zusammenhängendes ergaben, das war schon wunderbar anzuschauen. Und manchmal, fast überraschend, stand auf einmal einer der Rot-Blauen vor Reals Torwartheld Casillas und zwang diesen zu einer Großtat. Jetzt machte es Spaß, zuzusehen. Dass es noch 0:0 stand, dass Torraumszenen immer noch Mangelware waren, machte nichts, denn es gab Stafetten zu bewundern, die teilweise erst in der Zeitlupe nachvollziehbar wurden.

Real fand quasi nicht mehr statt. Das konstruktive Spiel dominierte. Doch als die Schlussphase begann, die letzte Viertelstunde, da offenbarte Mourinhos Taktik ihre wahre Genialität. Denn wenn Barcelona Zeit braucht, um das eigene Spiel in Tore umzusetzen, dann verliert es die Geduld und damit auch die Linie. Die eben noch breit angelegten Spielzüge, in denen man Ball und Gegner hatte laufen lassen, wurden nun simpler, berechenbarer, banaler. Barca wollte ein Tor, den Sieg – unbedingt. Und da fiel ihnen nicht mehr viel ein. Die Bälle wurden einfach lang nach vorne geschlagen, in der Hoffnung, jemand möge mit seinem Kopf irgendwie da ran kommen. Doch es blieb beim torlosen Unentschieden.

Es musste also die Verlängerung her. Jene Zugabe, die es im Theater nicht gibt. Und in dieser Verlängerung waren es dann die Zerstörer, die die Oberhand behielten. Ein simpler Doppelpass über links, eine saubere Flanke und Cristiano Ronaldo, der neben dem Bremer Torwart Tim Wiese wohl eitelste Fußballer der Welt, netzte per Schädel ein. Schluss, Aus. Fast. Denn nachtragenswert ist sicherlich die Anekdote, dass einem der Madrilenen die „Copa del Rey“, die Schale des Königs, beim traditionellen Jubel auf dem Dach des Mannschaftsbusses aus der Hand fiel und unter den Rädern des Kraftwagens zu einem Tablett umgestaltet wurde. Irgendwann ist es wohl zu spät, das Destruktive zu stoppen.

Ingo Haeb ist Regisseur, Drehbuchautor und Professor and der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg

P.S.: Nach „Die Zeit der Besessenen“ schalte ich wieder den Fernseher ein, ich brauche noch irgendetwas, bevor ich schlafen gehe. Da läuft „Die Brücken am Fluss“, eine Schnulze mit Clint Eastwood als Fotograf und Meryl Streep als frustrierter italienischer Hausfrau. Sie kommen sich beim Abendessen näher. Er: „Manchmal glaube ich, ich bin vom Fotografieren besessen.“ – Sie: „Wie wird man das, besessen?“ – „Ich weiß es nicht. Man ist es einfach. Man kann es nicht erklären.“ – „Jetzt reden Sie wie ein Künstler!“


Ingo Haeb