COPY & PASTE: Urau
fführung "Axol
otl Roadkill"

Kunst aus dem Kämmerchen: Über Lebensleid, Copy & Paste - mit Max Dax (Publizist), Florian Waldvogel (Kunstverein) und Bastian Kraft (Regisseur), Moderation Tarun Kade

 

Anlässlich der Uraufführung von Helene Hegemanns Skandalroman “Axolotl Roadkill” am Thalia Theater fand eine Diskussion statt, die nicht nur die Haltlosigkeit der sogenannten Plagiatsdebatte aufzeigte, sondern sich mit Kunstproduktion heute beschäftigte. Max Dax, bis vor kurzem Spex-Chefredakteur, Regisseur Bastian Kraft und Florian Waldvogel, Leiter des Hamburger Kunstvereins diskutierten unter Moderation von Tarun Kade am 28. November 2010.

Tarun Kade Was sagt der Fall Helene Hegemann über Kunstproduktion heute aus? Spielt Authentizität überhaupt eine Rolle, wenn man über Kunst spricht oder geht es gerade darum, nicht authentisch zu sein. Und was ist eigentlich Authentizität?
Christoph Schlingensief schrieb in seinem Blog, dass Helene Hegemann „die von ihr sicher auch bewunderten, und gleichzeitig hinterfragten, und die von einer 17-jährigen auf dem erwachsenwerdentrip nachgeplapperten philosophischen redereien einfach mal durch ihren mund, ihr hirn und ihren geist hatte laufen lassen.”, was er “völlig legal, jedem zu wünschen!” fand „und ganz nebenbei auch manchmal sehr gesund, denn man muß nun nicht jede sexual- oder drogenpraktik selber erlebt haben, um endlich mitreden zu können... (sagt ernst jünger), anders als die ganzen einsamen schreiber, die da wochen-, monate-, jahrelang in ihrem kämmerchen an ihren worten und sätzen basteln,” um dann irgendwann “endlich zeigen zu können, dass sie so einsam und alleine, an der welt gelitten und gekratzt haben,” und danach in ihr Kämmerchen zurückeilen und laut aufschreien, wenn jemand anders arbeitet.
In der Spex gab es kürzlich einen Schwerpunkt zum Thema "Kunstsprache Theater". Was war das Ergebnis der mit Christoph Schlingensief, Helene Hegemann, Monika Ginterdorfer und René Pollesch geführten Gespräche?

Max Dax Eigentlich sagten alle vier: Ja es geht darum, diese eigene Sprache zu haben, aber nein, deswegen muss man nicht allein aus seinem Ge-nie schöpfen. Elend und Leid muss nicht aus sich selbst herausgesogen, herausgequetscht werden, sondern man kann in der heutigen Zeit, die geprägt ist von dem Umstand, dass es das Internet gibt und dadurch einen bisher ungekannten Zugang zu Quellen, Archiven, Dialogen und Auseinandersetzungen, auch mit Copy & Paste arbeiten. Wie man die Quellen kenntlich macht und wie die eigentlichen Urheber entlohnt werden, ist eine Satellitenfrage dazu. Ich glaube, wir reden hier über einen Gezeitenbruch, der vergleichbar ist zu dem von Stummfilm zu Tonfilm.

Tarun Kade Viele Kritiker scheinen erwartet zu haben, dass es sich bei „Axolotl Roadkill“ um einen authentischen Jugendroman handelt. Mit hoher "Street Credibility", wie es in einer MTV-Dokumentation über den Berliner Rapper Sido immer wieder hieß. Spielt diese Form der Authentizität bei heutigen bildenden Künstlern eine Rolle?

Florian Waldvogel Es gibt bestimmt Künstler, bei denen das eine große Rolle spielt, aber kulturelle Produktion ist von einem gesellschaftlichen Kontext gar nicht zu trennen. Das Gedächtnis ist sowieso die älteste Samplemaschine der Welt. Und darauf greift man immer zurück. Speziell im Kunstbereich ging es auch schon immer darum, die Vätergeneration umzubringen, sich auf Anderes zu beziehen und zu etwas Neuem zu machen. Die Copyrightbestimmung ist hier gar nicht so ausgeprägt. Sonst müsste man bei Leuten wie Tobias Rehberger jedes Mal ein ganzes Buch für die Referenzliste zu dem jeweiligen Kunstwerk drucken. Es ist oft das Problem für Autoren, die mit Copy & Paste arbeiten, dass es beim Copyright laut Gesetzgeber nicht um den Inhalt geht, sondern um geschriebene Sätze und Formulierungen, die wahrscheinlich zigtausendmal in anderen Kontexten schon aufgetaucht sind. Und dennoch sind sie rechtlich geschützt. Ich bin deswegen zum Beispiel gegen jegliches Copyright.

Tarun Kade Bastian, bist du vor Beginn der Inszenierungsarbeit ins Berg-hain auf Recherchereise gegangen, um den Roman möglichst authentisch auf die Bühne bringen zu können?

Bastian Kraft Nein, für mich war es befreiend, dass ich von einem ganz an-deren Blickwinkel auf den Text gucken konnte. In Interviews sagt Helene, dass für sie der Reiz an Literatur-, an Kunstproduktion ist, sich an ihrem Schreibtisch in einen Heroinrausch begeben zu können, ohne diesen real durchmachen zu müssen. Gerade dieses Potenzial und diese Freiheit haben mich interessiert. Die Welt des Spiels und des Scheins, wie es in dem Roman heißt.

Max Dax Das Künstliche ist ja meist auch viel interessanter als das scheinbar Authentische. Der Film von John Ford „The Man Who Shot Libery Valance" endet mit der Frage, ob der wirkliche Killer genannt werden soll oder ob man doch lieber das schreibt, was der Geschichte zu-träglich ist. Dann kommt dieser schöne Satz: "When the legend becomes fact, print the legend.” Das ist doch kulturelle Praxis seit Jahrhunderten. Bob Dylan überschreibt seit Jahrzehnten Songs von anderen Musikern und gibt sich selbst den Credit. Und dabei interessiert auch nur die Legende des Großkünstlers Dylan.

Tarun Kade In "Axolotl Roadkill" heißt es: "Weil meine Arbeit und mein Diebstahl authentisch werden, sobald etwas meine Seele berührt. Es ist egal, wohin ich die Dinge nehme, wichtig ist, wohin ich sie trage."

Bastian Kraft Ich nehme das nicht als reine Formfrage wahr, sondern es fasziniert mich, auch auf mich selbst oder andere Menschen mit diesen Begriffen zu gucken. Plötzlich scheint die Möglichkeit auf, dass man nicht unbedingt authentisch und echt sein muss. Ich kann mich selbst als Patchwork-Person empfinden, in der viele Einflüsse zusammenkommen, von Eltern, Freunden, Erlebnissen, Fernsehserien, Schulen etc.

Tarun Kade Das heißt, dass diese Formdiskussion im engen Zusammen-hang mit der Konstruktion von Identität steht. Was ich bin, hat auch damit zu tun, wie ich Kunst, Text oder was auch immer produziere.

Max Dax Ich würde sagen, ja. Ich glaube, dass “Axolotl Roadkill” ein wirklich prototypisches Buch unserer Zeit ist, in der Art wie es mit dem Zwischenfeld zwischen dem wirklich Erlebten und dem Fiktiven, umgeht. Das ist für mich in der Literatur und beim Schreiben gerade faszinierend, dass endlos viele Menschen sich bemüßigt oder genötigt fühlen, in Blogs ihr Leben zu erzählen. Und das wird da interessant, wo die Grenzen zwischen wirklich Erlebtem und Fiktiven verschwimmen.

Tarun Kade Aber auch deswegen, weil die Grenze bewusst existiert und mit ihr gespielt wird. Gerade die Möglichkeit, dass einiges auch tatsächlich passiert sein könnte, macht ja einen großen Teil des Reizes aus.

Florian Waldvogel Das glaube ich zum Beispiel nicht. Ich bin ja ein Fan von Tom Kummer, in dessen Interviews Leute wie Mike Tyson plötzlich über Heidegger und andere hochkulturell verankerte Personen sprechen. Auch wenn man weiß, dass diese Interviews erfunden sind, funktionieren sie auf einer anderen Ebene trotzdem. Es ist vollkommen egal, ob das erlebt oder geklaut ist, weil es um deine eigene Imagination als Rezipient geht.

Max Dax Das ist alles andere als egal, sobald es um Journalismus geht. Journalismus basiert auf Vertrauen. Als Leser eines Zeitungsinterviews gehe ich davon aus, dass sich der Journalist ein Interview nicht ausgedacht hat, sondern diese Sätze so auch gesagt wurden. Das ist der Unterschied zur Literatur.

Tarun Kade Es gibt auch den Unterschied zum Theater. Auf Proben hört man manchmal den Vorwurf an Schauspieler: "Ich glaube dir das nicht". Als guter Schauspieler gilt ein Schauspieler, dem man glaubt, was er auf der Bühne betreibt, wie auch immer es ihm gelingt, diesen Glauben herzustellen.

Bastian Kraft Mich interessiert es persönlich überhaupt nicht, wenn man auf der Bühne eine vollgekotzte Toilette und Lebensleid zeigt. Mich interessieren Menschen auf der Bühne, die mir eine Geschichte erzählen und mir so dreist ins Gesicht lügen, dass ich Ihnen glauben will. Oder die einen Gedanken auf der Bühne so verfolgen, dass ich selbst mitdenken kann, ohne bevormundet zu werden. Im Theater ist das zunächst eine Formsache, aber die Frage, die der Roman Frage stellt, ist inwieweit man diese formalen Prinzipien, über die wir hier reden, für die reale Lebenswelt nutzbar machen kann. Ich glaube, dass uns deswegen diese Form gerade so umtreibt. Nicht so sehr, weil da vielleicht textlich etwas geklaut wurde. In der ganzen Diskussion ging es ja vor allem darum, ob dieser Mensch, der uns da als 16-jähriges wohlstandsverwahrlostes Mädchen verkauft wurde, ob dieser Mensch authentisch ist oder eine dreiste Betrügerin.

Max Dax Das hat tatsächlich auch mit der Blogkultur zu tun. In dem Moment, wo man im Internet einem Universum von Leuten schreibt, die man nicht sieht, stellt man sich als Autor automatisch die Frage: was bin ich be-reit zu sagen, was empfinde ich als notwendig zu sagen, was dichte ich hinzu, was kopiere ich? Selbst wenn ich alles zusammenkopiere, erstelle ich mir ja trotzdem eine Persona, von der andere denken, dass ich es sei. Ich bin mir sicher, dass Rainald Goetz sein Internettagebuch “Abfall für alle” mit einem Konzept im Kopf begonnen hat, wie viel Privatheit er erlaubt. Ein Selfmodelling-Konzept. Ich bin mir aber sicher, dass sich seine eigene Autorposition im Prozess des Schreibens verändert hat und ich glaube, dass das bei anderen, die solche Erfahrungen des Blogschreibens machen, auch früher oder später eintritt. Diedrich Diederichsen hat zu Rainald Goetz damals gesagt, dass der Blog im Grunde die spannendste neue Möglichkeit in der Literatur ist - fuelled by Internet. Das liegt auch an der Auseinandersetzung mit der sofortigen Öffentlichkeit. Diese Zeitverzögerung, die es früher gab, dass ein Text geschrieben wird - da sind wir wieder beim Kämmerlein - und der wird dann drei Jahre später veröffentlicht, das gibt es ja in dieser Ausprägung von Schreiben nicht mehr. Das stellt deswegen noch lange nicht den klassischen Roman in Frage oder die klassische Interpretation eines traditionellen Stoffs auf der Bühne. Aber es ist eine neue Selbstverständlichkeit hinzugekommen, die offensichtlich von vielen Leuten noch nicht akzeptiert werden kann, weil da vielleicht diese Authentizitätsfrage gestellt wird, die ich mir aber gar nicht stelle. Ich habe sowieso eine riesengroße Skepsis gegenüber dem Authentischen. Das größte Monument der Authentizität ist ja wohl Bruce Springsteen mit seinem schwitzendem Oberkörper und seinem Ruf in die Wildnis und davon ist nichts wahr. Und trotzdem wird der Begriff der Authentizität immer mit ihm verbunden, nur so als Beispiel.

Florian Waldvogel Ich habe während des Gesprächs die ganze Zeit über-legt, was denn eigentlich das authentischste Kunstwerk ist. Mir fällt da immer nur Carl Spitzweg ein: “Der arme Poet.”

Erschienen in SUPER PAPER #15 Januar 2011
www.superpaper.de


Tarun Kade