La Int
itulada

Ein Spiegel aus Kolumbien

 

Für die Lessingtage 2011 hat das Thalia Theater die Inszenierung "La Intitulada" aus Bogotá eingeladen. Es ist ein sehr starkes Theaterstück voller Abbilder schrecklicher Realitäten, wie wir sie aus Lateinamerika kennen. Es zeigt ein Kolumbien der sozialen Ungerechtigkeiten und projiziert ein scheinbar allseits bekanntes Bild von den Verhältnissen des südamerikanischen Kontinents auf die Bühne der Gaußstraße. Eine Zusammenstellung von kleinen Geschichten um Armut, Gewalt und Prostitution. Wir sehen Szenen mit Menschen, die auf dem Boden liegen. Kinder und Erwachsene verlieren ihr Leben oder ihr Zuhause. Militär tritt auf Körper von Toten ein. Wir sehen ein Kind, das seine Mutter verloren hat, ein Mädchen das aus Hunger zur Prostituierten wird. Das alles begegnet uns in einem sehr reduzierten Bühnenbild – sehr nah und sehr persönlich. Für mich ist es genau dieses Persönliche, was das Stück ausmacht. Es rettet vor dem Abgleiten in die ewigen alten Klischees über Armut und ihre sich wiederholenden Geschichten. Wahre Geschichten, die stets Gefahr laufen auf einseitige Betrachtungen und stereotype Erwartungshaltungen reduziert zu werden, womit sie selbst zu einer bloßen Ware im Nord-Süd-Kulturgüterhandel werden.
Die schweren Szenen, die wir in "La Intitulada" sehen, machen die Inszenierung zu einer sehr intensiven und emotionalen Darstellung, die von persönlichen Geschichten und den Erfahrungen der Darsteller lebt. Die Theatergruppe "Wuatapuy" ist ein Projekt das aus der realen Armutsbekämpfung in Bogotá entstanden ist. Als solches zeigen sie, ganz wie im wirklichen Leben, eben nicht nur Schwierigkeiten und Armutsklischees sondern auch Glücksmomente und Alltag. Karneval und Musik überschneiden sich mit Leid. „La intitulada“ ist kein Armutsspektakel, sondern zeigt das Leben auf der Bühne, inszeniert und dramaturgisch bearbeitet. Und gleichzeitig ist es auch ein Spiegel der Wirklichkeit. Das ist Theater. Ein Theater, welches uns einen Spiegel vorhält, um uns dazu anzuregen, unsere eigenen Klischeevorstellungen zu überdenken.


Gabriela Riffel