Ein Interview mit N
icole Oder, der Regisseurin vo
n "ArabQueen"

„Das Theater soll die Menschen zum Nachdenken anregen“ Das Interview führte Cağlar Eğer am 1. Februar

 

Die Podiumsdiskussion ist soeben zu Ende und die Zuschauer des Stücks „ArabQueen“ verlassen gerade das Foyer des Thalia Theaters in der Gaußstraße. Wie vereinbart kommt die sympathische Regisseurin Nicole Oder direkt nach dem Podiumsgespräch auf mich zu, um ein Interview anlässlich der Lessingtage 2011 und ihrer eingeladenen Inszenierung „ArabQueen“ zu führen.

Eğer: Was waren Deine Beweggründe, „ArabQueen“ zu inszenieren?

Oder: Mich berühren diese Geschichten sehr, also zum einen lebe ich da und sehe Mädchen wie Mariam aus dem Roman ständig in Berlin. Außerdem betrifft es mich, weil wir dort alle zusammen leben und ich fand es wahnsinnig spannend, da mal hinter die Kulisse zu schauen. Des Weiteren kommen solche Stoffe so selten im Theater vor und ich finde es wichtig, dass diese Themen behandelt werden.

Eğer: Glaubst Du an die erzieherische Wirkung des Theaters oder glaubst Du, dass das Theater oftmals leider nur diejenigen erreicht, die ohnehin schon aufgeklärt und unvoreingenommen sind?

Oder: Ich glaube an die erzieherische Wirkung des Theaters, aber ich möchte keine explizite Botschaft in meinen Stücken geben. Meiner Meinung nach ist das Theater dazu da, um Menschen zum Nachdenken anzuregen. Denn ich habe auch nicht die Lösung…

Eğer: Das Theater soll quasi als ein Spiegel der Gesellschaft dienen…

Oder: …genau. Als Impuls oder als Denkanstoß, so dass man danach vielleicht aus dem Stück geht und sich über ein paar Sachen Gedanken macht, über die man sich vorher keine Gedanken gemacht hätte.

Eğer: Wie ist die Zusammenarbeit mit Güner Balci entstanden?

Oder: Die ist vor „Arabboy“ entstanden. Eigentlich muss man die Verleger ansprechen, um die Erlaubnis zu bekommen, ein Buch als Theaterstück zu adaptieren. Ich habe beim Fischer Verlag angerufen, aber es war schwierig, weil wir ein kleines Haus sind und uns zu der Zeit auch niemand kannte. Daraufhin habe ich einfach Güner direkt angerufen und ihr erzählt, dass ich ihr Buch gelesen habe, es spannend fand und dass es mich berührt hat. Ich fragte sie, ob ich es für die Bühne adaptieren dürfe und sie sagte ja. Und so ist es entstanden (lacht).

Eğer: Glaubst Du, die laufende Integrationsdebatte ist für den Integrationsprozess in Deutschland förderlich?

Oder: Nee, glaube ich nicht. Also ich finde es prinzipiell gut, dass es ein Thema ist, aber ich finde es schlecht, wie es besprochen wird – weil es unglaublich abstrakt und unglaublich medial ist. Sie reden in so großen Schlagworten wie z. B. „die Muslime“, aber genau deswegen machen wir solche Inszenierungen wie „ArabQueen“. Denn am Ende stehen Menschen dahinter. Solche Schicksale wie das von Miriam müssen gezeigt werden. Weil es ganz wichtig ist, dass diese Diskussion auf Augenhöhe stattfindet.

Eğer: Ist die Debatte nicht auf Augenhöhe?

Oder: Es wird nicht miteinander gesprochen, sondern übereinander und das ist das Problem. Das ist auch die Idee von diesem Stück: Vielleicht sollten wir weniger übereinander sprechen und mehr miteinander.

Eğer: Du hast nun schon einige Stücke zum Thema Integration gemacht. Ist dieses Thema Dein Herzanliegen?

Oder: Ja natürlich, weil ich da lebe, also ich komme selber aus…

Eğer: …weil Du vielleicht selber einen Migrationshintergrund hast?

Oder: (lacht) Naja, ich bin von Franken nach Berlin gekommen, aber ich bin sehr katholisch erzogen worden und komme aus einem Dorf. Mein Vater war Postbote und ich kenne Familienstrukturen, die so sind wie die in Berlin. Aber natürlich nicht so krass und ohne diesen unterschwelligen Druck, den man spürt. Deshalb interessiert es mich, diese Strukturen auch in anderen Geschichten zu finden.

Eğer: Hast Du jemals die Befürchtung gehabt, dass Du mit den Inszenierungen von „Arabboy“, „Sisters“ oder auch „ArabQueen“ von der türkischen oder arabischen Community in Deutschland missverstanden werden könntest?

Oder: Ja. Gerade bei „ArabQueen“ haben wir uns viele Gedanken gemacht, weil ja gerade durch das Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine große Diskussion losgetreten wurde. Es ist ja nicht so, dass wir eine Utopie zeigen, die sagt so kann es gehen, sondern man greift erst mal die Vorurteile auf. Diese möchten wir natürlich nicht bestätigen, aber es gibt sie schon und sie sind real. Es gibt auch Menschen, die in solchen Schicksalen leben und mir liegt es am Herzen ein Verständnis dafür zu schaffen. Gerade auch auf dieser Ebene, dass man sagt da ist dieses „Kopftuchmädchen“ , was eigentlich ja ein sehr negativer Begriff ist, aber die Frage stellt: Wie geht es diesem Mädchen denn? So glaube ich, kann am Ende vielleicht irgendwie ein gegenseitiges Verstehen anfangen. Für mich war es immer der Schlüssel, dass man seinen Figuren auf Augenhöhe begegnet. Man ist sozusagen mit dem Herzen an ihnen dran. Ich denke auch, dass man die Figur nicht vorführen oder verraten darf.

Eğer: Du inszenierst schon das zweite Mal bei den Lessingtagen. Was bedeutet dieses Festival für Dich?

Oder: (lacht) Ich hoffe, dass ist der Beginn einer wunderbaren Tradition. Wir spielen gerne in Hamburg. Wir gehen jetzt ganz oft auf Gastspiele, wenn wir die Möglichkeit bekommen. Dieses Stück ist zwar in Berlin angesiedelt, aber es ist jetzt nicht nur Theater für Neukölln. Deswegen ist es ganz wichtig, dass es auf Reisen geht. Natürlich ist es super, dass wir auch in Hamburg sind.

Eğer: Ist Mariam in Deiner Inszenierung eine starke Persönlichkeit?

Oder: Wie fandest du es? War sie stark oder eher nicht?

Eğer: Ich fand Mariam stärker als Rashid den Protagonisten von „Arabboy“.

Oder: Also ich finde Mariam auch stark. Bei „ArabQueen“ hatten alle Frauen eine starke Persönlichkeit. Das soll eine aufmunternde Wirkung auf diese jungen Mädchen haben und der Apell ist, dass sie tough und stark sein sollen.

Eğer: Kannst Du uns etwas mehr zu den Charakteren der Hauptpersonen sagen? Was waren Deine Beweggründe dafür sie so darzustellen? Was unterscheidet Mariam von Rashid? Ist vielleicht einer Täter und der andere eher Opfer?

Oder: Nein. Es ist immer schwierig, weil beide Täter und Opfer zugleich sind. Das habe ich sowohl bei „Arabboy“ als auch bei „ArabQueen“ versucht zu zeigen. Obwohl Arabboy wahrscheinlich schon mehr Täter als Opfer ist. Mariam im Gegensatz ist mehr Opfer als Täter. Opfer ist so ein hilfloser Begriff, der gefällt mir für Mariam auch nicht besonders gut.

Eğer: Für einige sind solche Theaterstücke oder auch Bücher ein Einblick in eine „Parallelgesellschaft“. Wie war es denn für Dich als Du das Buch gelesen, und später dann als Theaterstück gesehen hast?

Oder: Das war für mich auch so. Es ging ja mit „Arabboy“ los, als ich das Buch gelesen habe und dann war ich auch ehrlich gesagt ganz schön schockiert. Ich habe mich gefragt, ob es wirklich so ist oder nicht? Dann versucht man ein bisschen Mäuschen zu spielen. Das war bei „ArabQueen“ auch so ähnlich. Wir sind in Einrichtungen für junge Mädchen gegangen und hatten das Gefühl in eine „Black Box“ zu schauen. Ich muss dazu sagen, dass es auch nicht migrantisch ist. Ich kann auch einen deutschen Nachbarn haben, der Atomphysiker ist und der ist für mich genauso eine „Black Box“ in seinem Alltag, wie er lebt. Oder Kasulke, der Hartz IV empfängt, der ist mir auch ganz fremd. Ich finde, dass es eine universelle Idee ist und genau das finde ich so schön beim Theater. Das Theater ist ein Ort, wo sich solche Welten begegnen können, die sich unter anderen Umstanden nie treffen würden.

Eğer: Welche weiteren Themenbereiche reizen Dich?

Oder: Ich trage gerade den vierten Teil der Trilogie mit mir herum. Also das ganze wird eine Trilogie in vier Stücken, weil bei „ArabQueen“ alle Darsteller weiblich sind und es trotzdem viel um die Männer geht. Aber auch sehr undifferenziert und da würde es mich interessieren, was mit den Männer ist. Denn sie stehen auch unter Zwängen. Ich stelle es mir nicht einfach vor, der Familienpatriarch zu sein, denn man steht da auch unter diesen Familiengefügen und sie haben vielleicht einen Bruder, der das Oberhaupt der Familie ist. Da würde es mich interessieren, wie diese Menschen mit dieser Situation umgehen.

Eğer: Welches Buch, welche Geschichte würdest du gerne einmal auf einer Bühne inszenieren?

Oder: Das verrate ich dir nicht (lacht). Ein bisschen habe ich mich mit dem vierten Teil der Trilogie schon verraten – aber auch ein ganz anderer Stoff wäre mal interessant.

Eğer: Hast Du das Gefühl, dass die türkische und die arabische Community nicht genug Gebrauch von den kulturellen Angeboten hierzulande macht oder fehlen eventuell einfach auch interessante Inhalte?

Oder: Zum einen denke ich, dass die interessanten Inhalte fehlen und man könnte annehmen, dass sie denken, dass diese Kulturform oder Kunstform nicht für uns gemacht ist. Es gibt auch so wenige Schauspieler mit Migrationshintergrund in den Ensembles der Theater. Dann kann ich es auch nachvollziehen, dass man sich dadurch nicht so wirklich angesprochen fühlt.

Eğer: Welche weiteren Projekte können wir von Dir in nächster Zeit auf der Bühne erwarten?

Oder: Am 11. Februar habe ich eine Premiere. „Volksmund. Wo man singt, lass dich ruhig nieder“, das wird ein musikalischer Abend. Da ist deutsches Volksliedgut drin und auch Volksliedgut aus anderen Ländern. Es ist eine Familienfeier und eine Farce. Also mal was lustiges (lacht).


Cağlar Eğer