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Atropa - Rache des Friedens

 

Die Griechen sind sauer: Man hat ihnen das Weib gestohlen, die allerschönste unter den Frauen: Helena. Im kollektiven Stolz gekränkt ziehen sie, unter dem Kommando von Agamemnon gen Troja, sie zu befreien und um ja alle Griechen hinter sich zu wissen, opfert der Oberbefehlshaber mal eben seine liebste Tochter, um auch jeden Zweifel über die Sinnhaftigkeit dieses Rachefeldzuges auszuräumen. Troja im Flug erobert (10 Jahre) und dem Erdboden gleichgemacht, scheint man sich kaum noch für Helena, den angeblichen Ursprung des Krieges zu interessieren, besteht die größte Sorge doch darin, den Kindsmord an Hektors Sohn zu rechtfertigen, ohne sich im Dickicht der Widersprüche selbst ein Bein zu stellen. Es gilt, wie so oft, potenzielles Aufbegehren auszumerzen, hat man doch unter Blut, Schweiß und Tränen den Frieden im Namen der Freiheit „wiederhergestellt“.

Atropa ist eine Parabel auf die Kriege im nahen Osten, in der vier Männer, die zum größten Teil Frauen spielen in ein Luftschloss nach dem anderen stolpern. Eineinhalb Stunden lang schälen sie sich nach und nach durch viele Oberflächen, ohne jedoch zur Frucht der Erkenntnis, zu einer Lösung zu gelangen. Hat man im einen Moment das Gefühl, der Mann auf dem Stuhl sei eine Frau, zieht sie sich aus und ist zur Überraschung doch noch Mann. Entpuppt sich der verheißungsvolle Monolog von eben als ausgemachter Schwachsinn, steht die nächste Ebene der Reflektion an, bis diese wieder so weit aufgeblasen wird, bis sie platzt. Überhaupt wird sich viel entpuppt, in diesem wunderbaren Stück unter der Regie von Antù Romero Nunes, das glücklicherweise keine Antworten gibt. Im Gegenteil, es verstärkt das unbehagliche Gefühl, man sei Teil einer ganz schön unglaubwürdigen Illusion: Zuhause rühmen wir uns mit der Marke Demokratie, während wir andern Ortes „tun, was getan werden muss.“ Die Freiheit müsse erkämpft werden, heißt es aus Agamemnons Mund, doch wie ist das, wenn man auf der anderen Seite steht?

Gleich wer auf welcher Seite steht, haben alle Vier in allen Variationen ein Identitätsproblem. „Ich bin nicht Ich.“ Dieser Satz zieht sich durch die verschiedenen Schichten des Stückes und wenn eines klar wird, dann dass es sich hier um eine Gruppe hilfloser Menschen handelt, die alle die Opferrolle für sich beanspruchen.

Atropa wird der Komplexität des Geflechts aus Machtgier, Angst vor schwindenden Ölreserven, Angst vor dem Fremden, Werten wie Freiheit und Gleichberechtigung, die im Krieg mehr Klotz am Bein, als Säulen der Identität zu sein scheinen und eben diesem Krieg, in dem es niemals klare Fronten gegeben hat, gerecht.

Julian Greis, Daniel Lommatzsch, Andre Szymanski und Rafael Stachowiak zeigen eine bewundernswerte Leistung und schaffen es durch intensives Spiel, dicht am Publikum, dieses zu entführen, in die Welt der Ambivalenz, der unendlichen Widersprüche zu locken, um am Ende ein großes Nichts zu hinterlassen. Nach der Gewalt, kommt immer das Nichts. 


Akin Sipal