Atropa - die R
ache des Fri
edens.

Keine Antworten, aber viele Gedanken

 

Voller Spannung auf die gut besprochene Inszenierung des jungen chilenisch-stämmigen Regisseurs Antú Romero Nunes von Tom Lanoyes „Atropa“ mache ich mich auf den Weg in die Gaußstraße. Dort erwartet mich ein volles Foyer mit gebannten Festivalbesuchern und jungen Menschen. Auf der Bühne wird es gleich um Figuren aus der griechischen Mythologie gehen, um aktuellen Krieg und Terror, Frieden, Kultur und den Zusammenhang all dessen. Doch stopp. Atropa, was heißt das eigentlich?

Spätestens der Flyer zum Stück verrät dies. Es ist eine Pflanze, ein Nachtschattengewächs, welches synonym als Todeskraut benannt wird. Zugleich ist es die Bezeichnung für die den Lebensfaden durchschneidende Schicksalsgöttin. Von Schicksal und Tod sind die vier in weiß gekleideten und auf einem Bühnenbild von Stuhlreihen agierenden männlichen, beeindruckend schauspielernden Figuren gewiss geprägt. Denn es geht um den Krieg zwischen den Trojanern und den Griechen. Nachdem Helena, verkörpert von Julian Greis, durch die Griechen geraubt wird, muss im Gegenzug Iphigenie aus Troja weichen. Um jeden Preis führt ihr Vater, der Oberbefehlshaber Agamemnon, Krieg und gewinnt. Doch dies mindert das Leid nicht, sondern verstärkt lediglich das Ausmaß dessen. Der Stoff wird durch mythologische Personen erzählt und doch lässt sich die Problematik auf heute übertragen, auf den Irakkrieg und 9/11. Kulturen bekämpfen sich und es scheint keine Alternative zu geben. Doch die muss es geben, durch Empathie und kulturellen Austausch kann die eigene Kultur viel besser geschützt werden, als durch blutige Verteidigung. Fragen tun sich auf. Wie kann fremdes Leid verstanden werden, wie Krieg und Demokratie zusammenpassen? Und warum scheint all dies bereits seit je her ein menschlichen Problem zu sein?

Keine Antworten, aber viele Gedanken zirkulieren in den vielen Monologen der Figuren um diese Probleme. Denn die Worte treiben die Spannung und die Geschehnisse des Abends. Das Bühnenbild wirkt minimalistisch und funktional, der schwarze Hintergrund der Wände und Stühle lässt die weißen Gestalten intensiver zur Geltung kommen. Musik erklingt hin und wieder und transportiert neben den starken Männerstimmen Spannung und Auflockerung zugleich. Zudem wird viel mit Licht gearbeitet und so auch der Publikumssaal teilweise erleuchtet. Stellenweise stehen dann die Schauspieler zwischen Bühne und Publikum und es wirkt als ob auf der einen Seite der Stuhlanreihungen Leere, auf der anderen Fülle herrscht. Angesichts der Themen assoziiere ich dabei die Frage nach Verantwortung für vorherrschende Situationen wie Terror und Krieg. Wie lässt sich die „andere Seite“ und fernes Leid verstehen, wie Gerechtigkeit für beide schaffen?

Das zeitweilige Dazwischen der Figuren passt auch zu der Arbeitstechnik von Nunes, denn neben dem anspruchsvollem Inhalt und der aktuellen politischen Bezüge erfahren wir Zuschauer hier zugleich eine spannende Auseinandersetzung mit dem Theater und der Herangehensweise an Figuren. Die Figuren spalten sich immer wieder in Spieler. Einfache Theatermittel werden hinterfragt. Es entsteht eine Metaebene, indem die Schauspieler ihre Worte, die natürlich oft nicht ihre wahre Meinung sind, durch Zwischeneinschübe relativieren, indem sie diese kommentieren und dabei doch nicht ihre wahre Identität annehmen. So wird etwa in einer Nacktszene die Scham der Situation angesprochen. So werden Subjekte quasi aufgelöst und neu geformt. Dies erleichtert auch das Wechselspiel zwischen der Verkörperung der Schauspieler von Mann und Frau.

Insgesamt ist es somit ein ungewöhnliches und dynamisches Stück, welches Konzentration erfordert und doch zu begreifen ist. Auch weil man es an den Alltag und unsere Realität anwenden kann und es zum nachdenken anregt. So ist ein Besuch von „Atropa“ oder auch des ebenfalls von Antú Romero Nunes in der Gaußstraße zu sehenden Stücks „Invasion“ ganz gewiss sehr lohnenswert und horizonterweiternd.


Lea Toporan